Persönlichkeiten verlassen Kuratorium der Stadthallenstiftung
Görlitz, 7. Februar 2021. Dr. Wolfgang Thierse, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages, Prof. Tomasz Tomaszewski, Professor an der Akademie der Künste in Berlin und Präsident der Internationalen Beethovengesellschaft, haben dem Kuratorium der Görlitzer Stadthallenstiftung den Rücken gekehrt. Nun haben sich mit Motor Görlitz/Bündnisgrüne und den Bürgern für Görlitz zwei Görlitzer Stadtratsfraktionen dazu gemeldet.
Statements von zwei Fraktionen des Görlitzer Stadtrates
Thema: Stadthalle Görlitz
Die Stadthalle Görlitz wurde 1910 als Veranstaltungsort des Schlesischen Musikfestes eröffnet. Hoher Sanierungsbedarf und die ungenügende Selbstfinanzierung führten im Jahr 2005 zur Einstellung des Betriebs und zu Verkaufsbestrebungen seitens der Stadt Görlitz. Die Ende Januar 2010 vom Stadtrat beschlossene Sanierung wurde, ohne dass Arbeiten am Gebäude begonnen hätten, im Oktober 2012 gestoppt, weil Fristen für Fördermittel zu kurz waren. Erst 2018 stellten Bund und Land Geld für eine über die Sicherung hinausgehende Sanierung bereit. Eine große Herausforderung stellen die Betriebskosten für die Stadthalle Görlitz dar.
- Wird die Stadthalle Görlitz ein Kostengrab? [05.05.2022]
- Finanzierungsloch bei Sanierung der Görlitzer Stadthalle [09.03.2022]
- Görlitzer Unternehmerverband zur Stadthalle Görlitz [27.01.2022]
Zum Ausscheiden von Wolfang Thierse und Prof. Tomasz Tomaszewski aus dem Kuratorium der Stadthallenstiftung
Von Mike Altmann, Fraktionsvorsitzender von Motor Görlitz/Bündnisgrüne
Am Freitag berichtete MDR Radio Sachsen, dass Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sowie der Präsident der internationalen Beethovengesellschaft und Professor an der Akademie der Künste, Tomasz Tomaszewski, aus dem Kuratorium der Görlitzer Stadthallenstiftung ausscheiden. Begründung ist die Berufung des Vorsitzenden der AfD-Fraktion Lutz Jankus in das Gremium. Jankus war im November 2019 in einer Listenwahl im Stadtrat mit den Stimmen der AfD-Fraktion ins Kuratorium gewählt worden. Vor einigen Monaten geriet er durch seine frühere Mitgliedschaft bei der NPD in die Schlagzeilen.
Unsere Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne fürchtet einen Schaden für den Ruf der Stadt Görlitz, der weit über das Projekt Stadthalle hinausreicht: Wir müssen es ernst nehmen, wenn sich zwei renommierte Persönlichkeiten zurückziehen. Jetzt wollen wir klären, ob die Stadtratsvertreter im Kuratorium der Stadthallenstiftung neu gewählt werden können. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die sächsische AfD nun vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft und beobachtet wird, haben wir eine besondere Sorgfaltspflicht, wer in unseren Gremien die Stadt Görlitz vertritt. Hierzu wollen wir im Verwaltungsausschuss beraten, zunächst nichtöffentlich. Ein entsprechender Vorschlag ist an die Fraktionen und den Oberbürgermeister gegangen. In der Beratung soll auch geklärt werden, wie die Kommunikation zwischen Rathaus und den Mitgliedern des Kuratoriums verläuft. Nach unserer Kenntnis wurden weder Thierse noch Tomaszewski über die Neubesetzung des Gremiums informiert. Das wäre ein klarer Affront gegenüber zwei wichtigen Botschaftern, die überregional für das Projekt Stadthalle und somit die Stadt Görlitz werben wollten.
Fraktion Bürger für Görlitz – Der Fraktionsvorstand:
Mitteilung des Fraktionsvorstandes zum Thema Kuratorium der Stadthallenstiftung
Von Yvonne Reich, Karsten Günther-Töpert und Prof. Dr. Joachim Schulze
Wir haben erfahren, dass zwei hochgeschätzte Persönlichkeiten das Kuratorium der Stadthallenstiftung Görlitz verlassen haben: Herr Dr. Wolfgang Thierse, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages und Herr Prof. Tomasz Tomaszewski, Präsident der Internationalen Beethovengesellschaft, Professor an der Akademie der Künste in Berlin.
Medienberichten zufolge liegt der Grund darin, dass der AfD-Fraktionsvorsitzende im Görlitzer Stadtrat Lutz Jankus Mitglied des Kuratoriums der Stadthallenstiftung ist. Dieser Umstand, der auf eine Wahl im November 2019 zurückzuführen ist, ist offenbar erst vor kurzem und "durch einen Zufall" bekannt geworden, so Herr Dr. Thierse laut einem MDR-Bericht. Wir nehmen das zum Anlass, über diesen Schritt der beiden Kuratoren hinaus zu grundsätzlichen Fragen Stellung zu nehmen.
Zum Sachverhalt:
Die Stadthallenstiftung Görlitz ist eine "Stiftung bürgerlichen Rechts", die 2016 durch die Große Kreisstadt Görlitz, die KommWohnen Görlitz GmbH, die Stadtwerke Görlitz AG und den Förderverein Stadthalle Görlitz errichtet wurde. Im Kern geht es darum, Mittel für die Sanierung und Zugänglichmachung der Stadthalle zu beschaffen. Neben dem Vorstand gibt es einen Stiftungsrat und das Kuratorium. Mitglieder des Kuratoriums sind: Ein Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege, zwei Mitglieder des Görlitzer Stadtrates, zwei Vertreter der Görlitzer Stadtgesellschaft, weitere Kuratoren, die vom Stiftungsrat bestellt werden.
Mit der Kommunalwahl 2019 wurde es erforderlich, unter anderem auch die zwei Mitglieder des Stadtrates für das Kuratorium zu wählen, die als Kuratoriumsmitglieder dem Stiftungsrat zur Bestellung vorzuschlagen sind. Die entsprechenden Handlungen erfolgten in der Stadtratssitzung am 28.11.2019. Es wurden zwei Listen für die Wahl aufgestellt:
- Liste 1 AfD mit Lutz Jankus und Alexander Lehmann.
- Liste 2 Bündnisfraktion/CDU mit Dieter Gleisberg und Prof. Dr. Joachim Schulze. Der Bündnisfraktion gehörten damals StadträtInnen der Bürger für Görlitz, von Bündnis 90/Die Grünen, Motor Görlitz und der SPD an.
Es konnte jeweils eine Stimme abgegeben werden. Laut Protokoll des Wahlergebnisses gab es 32 abgegebene Stimmen, alle gültig. Auf die Liste 1 AfD entfielen 13 Stimmen, auf die Liste 2 Bündnisfraktion/CDU 19 Stimmen. Das übliche d´Hondtsche Verfahren wurde angewendet. Gewählt waren somit die jeweils Erstplatzierten der Listen, also Dieter Gleisberg/CDU und Lutz Jankus/AfD.
Man könnte jetzt noch feststellen, wie es mit der Anwesenheit der Fraktionen im Detail zum Wahlzeitpunkt bestellt war, um hier Spekulationen über mögliches "abweichendes" Wahlverhalten in die eine oder andere Richtung anzustellen. Wir sind sicher, dass unsere Fraktionsmitglieder alle für unsere Liste gestimmt haben. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass im November 2019, als "die Reihen noch fest geschlossen" waren, AfD Stadträte unsere Liste gewählt haben. Bei 13 Mitgliedern der AfD und 13 Stimmen für die AfD-Liste kann man zunächst entsprechende Schlüsse ziehen. Eine Unterstützung der AfD wäre dann gegeben und zu verurteilen, wenn zu dieser Wahl weniger als 13 AfD-Stadträte anwesend waren.
Der Vorschlag in der Vorlage 0072 aus 19-24 an den Stiftungsrat erfolgte zwingend und ohne Spielräume aus dem Ergebnis einer ordnungsgemäßen Wahl, so wie auch in vielen anderen Fällen der Besetzung unserer Ausschüsse, Aufsichtsräte und anderen Stiftungsgremien.
Zur Bewertung aus unserer Sicht:
An unserer Haltung zur AfD kann kein Zweifel bestehen. Die Schande, dass diese von zunehmend mehr Verfassungsschutzbehörden als "Verdachtsfall" eingestufte Partei in den Bundestag, Landtage, Kreistage und Stadt- und Gemeinde nach dem Willen zu vieler WählerInnen einziehen konnte, ist groß. Und sie ist als solche durch uns als Mitglieder einer Stadtratsfraktion nicht zu beheben. Wohl wissend, dass dadurch Rechtsextremismus und (Neo-)Nazismus in Überzeugungen und Taten nicht verschwinden werden, und davon ausgehend, dass es Auffang- und Nachfolgeorganisationen geben wird, setzen wir auf ein kommendes Verbotsverfahren. Dieses wird auch anders bewertet werden bezüglich der Gefahren für unsere verfassungsmäßige Ordnung als im Fall der NPD.
Der unnachgiebige und unablässige Kampf gegen die Feinde der Freiheit ist für uns Verpflichtung aus der Barbarei des Nationalsozialismus und Teil unserer Staats- und Stadträson. Wir erinnern an den Aufritt von Josef Goebels in der Görlitzer Stadthalle im März 1945 vor einem augenscheinlich enthusiastischen Publikum, an die von den Nazis vertriebenen und ermordeten Görlitzerinnen und Görlitzer, an die gepeinigten und zu Tode gebrachten Menschen im Stalag VIII A und im KZ-Aussenlager im Biesnitzer Grund und an den Todesmarsch nach Rennersdorf.
Bis zu einem kommenden Verbot und auch ohne ein Verbot bleibt es bei unserer Haltung, dass es mit der AfD und ihren Vertretern keinerlei Zusammenarbeit und über das uns von Gesetzes wegen Auferlegte hinaus auch keine Duldung geben darf. Erst recht keine klammheimliche Kumpanei.
Man mag das als Schwäche sehen, dass wir auf die Einhaltung von Wahlgesetzen, Gemeindeordnung und Ortssatzungen verpflichtet sind und diese unbedingt einhalten. Auch gegenüber einer Partei, die erkennbar Grundwerte mit Füssen tritt, Verfassungsorgane verspottet und offenbar eine autoritäre, nationalistische und rassistische Gesellschaft anstrebt und sowie mit Kräften paktiert, die schon länger vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft werden. Ob örtliche Funktionsträger der AfD in so etwas verwickelt sind (Identitäre, Ein Prozent Oybin, Junge Alternative), mag sich gegebenenfalls nach entsprechender Untersuchung herausstellen. Wir wissen es nicht.
Diese "Schwäche" ist aber für uns Demokraten eine Stärke, die uns von autoritär geführten Gesellschaften unterscheidet. Die Vertretung der AfD in Gremien unserer kommunalen Selbstverwaltung liegt in der Verantwortung der GörlitzerInnen, die sie gewählt haben, nicht in unserer. Wir dürfen und wollen das Recht nicht beugen. Einfluss auf die Besetzung von Gremien können wir nur im Rahmen des Zulässigen nehmen, so wie wir das etwa durch gemeinsame Listen getan haben.
Noch ein Wort zur Entscheidung der Kuratoren Dr. Wolfgang Thierse und Prof. Tomasz Tomaszeski:
Natürlich bewegt uns Ihre Entscheidung. Und sie schmerzt uns. Görlitz stand im Sommer 2019 im Fokus der Aufmerksamkeit internationaler Presse bis hin ins Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten oder Frankreich. Es bestand die reale Gefahr, dass Görlitz als erste größere deutsche Stadt von einem AfD-Oberbürgermeister vertreten wird nach innen und nach außen. Die AfD war schon siegessicher, bot alle Kräfte auf. Ein solcher Sieg – in der Heimatstadt des Sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und in der Europastadt – wäre von weit mehr als einer symbolischen Bedeutung gewesen. Es hätte über Görlitz hinaus Wirkungen gehabt, vor allem, was die Regierungsbildung im Freistaat angeht. Was das unter den Pandemiebedingungen heute für Auswirkungen gehabt hätte in Stadt und Land, möchten wir uns nicht ausmalen.
Die politischen Implikationen des Sommers 2019 waren uns bewusst und wir haben besonnen gehandelt: In der ersten Phase mit unserer gemeinsamen OB-Kandidatin Franziska Schubert und im zweiten Wahlgang nach dem – bei einem großen Erfolg mit 28 Prozent – uneigennützigen Verzicht unserer Kandidatin durch die klare und tatkräftige Unterstützung von Octavian Ursu, der mit 55 zu 45 Prozent gegenüber dem AfD-Kandidaten obsiegte.
Wir haben Stand gehalten und halten weiter Stand in einer schwierigen Lage. Die AfD wurde stärkste Partei bei den letzten Wahlen und ist stärkste Fraktion – sie bewegt aber nichts und kann nichts bewegen, so lange es kein Beispringen von Stadträten aus den anderen Fraktionen gibt. Daran festzuhalten bei einer Partei, die ein Verdachtsfall ist, ist zwingend.
Sehr geehrter Herr Dr. Thierse, sehr geehrter Herr Professor Tomaszewski, wir müssen Ihre Entscheidung respektieren. Leider hat unser OB Octavian Ursu Sie nicht umstimmen können. Es ist verständlich, dass Sie nicht mit dem Fraktionsvorsitzenden der AfD und ehemaligem NPD-Mitglied in einem Kontext stehen wollen. Selbst, wenn es um so ein bedeutsames geschichtliches Zeugnis geht wie unsere Stadthalle, die prominente Unterstützung braucht. Wie gesagt, wir halten Stand, wir müssen Stand halten in schwieriger Lage. Und jede ideelle Zuwendung und Unterstützung von überzeugten Demokraten um unsere Stadt herum für unsere Stadt und ihre Menschen hilft uns und ist und bleibt uns willkommen.
Mehr:
Frage statt Kommentar:
Wie verhalten sich jetzt die verbliebenen Kuratoriumsmitglieder?
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- Quelle: red | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 07.02.2021 - 13:07Uhr | Zuletzt geändert am 07.02.2021 - 13:46Uhr
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