Rückschlag: Ist das die Görlitzer Art?

Rückschlag: Ist das die Görlitzer Art?Görlitz, 14. Juli 2021. Von Thomas Beier. Man kann sich in Zeiten zurückversetzt fühlen, als Auftragskunst nur an Künstler, die den Mächtigen genehm waren, vergeben wurde. Im Streit zwischen der Künstlerin Lisa Maria Maier über ein verändertes Kunstwerk hat die Stadt Görlitz nun zurückgeschlagen.

Abb.: Die "Kulisse" am 12. Juli 2021
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In Warschau mutig sein, in Görlitz nicht?

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Frauenrechte – als "woman's rights" eine universelle Botschaft
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Thema: Ausstellungen in Görlitz und Umgebung

Ausstellungen in Görlitz und Umgebung

Görlitz verfügt nicht nur über fast 4.000 Baudenkmale, sondern ist eine Stadt der Museen und Ausstellungen. Hier befinden sich beispielsweise das Kulturhistorische Museum, das Schlesische Museum zu Görlitz, das Museum der Fotografie und das Senckenberg Museum für Naturkunde, im polnischen Teil der Europastadt das Lausitz-Museum. Darüber hinaus gibt es häufig Sonderausstellungen an anderen Orten, auch im Umland der Stadt sowie in der Dreiländerregion von Sachsen, Tschechien und Polen.

Um 13.31 Uhr teilte Lisa Maria Beier dem Görlitzer Anzeiger die schlechte Nachricht mit: "Der Kulturbürgermeister hat grad den Vertrag gekündigt mit der "Görlitzer Art" und setzt ein neues Ultimatum zum Abbau. Grade eben hat meine Anwältin mir das mitgeteilt. Er schliesst mein Werk aus der "Görlitzer Art" aus." – Da fragt man sich verblüfft: Ist das die Görlitzer Art?

Zur Erinnerung: Vor dem von Bauzäunen abgesperrten Haupteingang zu Stadthalle Görlitz steht die "Kulisse", eine fröhlich-hintersinnige Kunstinstallation. Weil dort der Verkehr zwischen Polen und Deutschland via Stadtbrücke, früher Reichenberger Brücke geheißen, vorbeikommt, hat die Künstlerin ihr Objekt mit Transparenten versehen, die auf der eher Polen zugewandten Seite auf Deutsch und Polnisch das Wort "Frauenrechte" tragen, während auf der Rückseite in den gleichen Sprachen "Abtreibung ohne Grenzen" zu lesen ist.

Nachdem gestern noch alles gut auszugehen schien, will die Stadt Görlitz nun in Gestalt von Kulturbürgermeister Dr. Michael Wieler Nägel mit Köpfen beziehungsweise eine "Görlitzer Art"-Austellung ohne die "Kulise" machen. Die Argumentation von Dr. Wieler hat der Görlitzer Anzeiger gestern im Beitrag "Abtreibungen grenzenlos?" veröffentlicht.

Aber was wird beanstandet? Dass Baier aus einem konkreten "Werk für Görlitz" nun eins für die Europastadt Görlitz-Zgorzelec gemacht hat? Was die Künstlerin geschaffen hat, ist ihre höchst eigene Aussage, die freilich unterschiedlich interpretiert und gewertet werden kann – das ist kein Nachteil von Kunst. Ein Kunstwerk jedoch als "eine bewusste Positionierung der Stadt", wie Dr. Wieler schreibt, zu werten, das haben nicht einmal die "DDR"-Kunstausstellungen in Bezug auf den vorgegaukelten Arbeiter-und-Bauern-Staat geschafft – ansonsten hätte Mattheuer zur VIII. sein "Hinter den sieben Bergen" gleich wieder unter den Arm klemmen können.

Was ist denn in Bezug auf das Verhältnis mit Polen zu befürchten? Der Zgorzelecer Bürgermeister Rafał Gronicz ist allemal schlau genug, zwischen Kunst und einem Statement der Stadt Görlitz zu unterscheiden. Und ein polnischer Freund hat auf Facebook geschrieben: "Wiele jest u nas normalnych osób, wbrew pozorom" (Bei uns gibt es viele normale Leute, anders, als es scheint). Eine junge Frau tritt für Frauenrechte ein und eine Stadt sieht sich als "eigentlich der falsche Platz" dafür. Vorschlag Dr. Wieler: "Wie mutig wäre es gewesen, einen – ggf. privaten Ort – in Warschau zu finden, um dort die Arbeit, als Teil der Ausstellung Görlitzer ART zu zeigen..." – Export eines ungeliebten Kunstwerks, aber als Teil der Görlitzer Art?

Schweifen wir mal ein wenig vom konkreten Fall ab. Ich bin den Polen noch immer dankbar für die künstlerischen Impulse aus einer freieren Schaffenswelt, die sie dem viel engeren Leben in der "DDR" gegeben haben, etwa durch die Zeitschrift POLAND. Vielleicht zeigt es sich als Mangel, wenn jemand seine Lebenszeit nur in einem Gesellschaftssystem verbracht hat, dass sich zwar freiheitlich nennt, aber Menschen erzeugt, die vor allem nichts falsch machen wollen, um Karriere und Netzwerke nicht zu gefährden. Und vielleicht können vor allem jene, die einen Großteil ihres Lebens vor 1990 im Osten verbracht haben, nicht nur zwischen den beiden Systemen besser unterscheiden, sondern auch deren viele Facetten viel detaillierter und schärfer erkennen – anders als jene Altbundesbürger, die mir in Gesprächen erklären wollen, wie das im Osten war und verdutzt gucken, wenn ich sage: "Ich war dabei." Meine Generation hat die Erfahrung "DDR" ungewollt gemacht und Begrenzung, die linke Macht mit sich bringt, erlebt, kann sie aber dennoch als wertvoll annehmen und anwenden.

Wie dem auch sei: Künstler, die jedes Gespräch damit beginnen, dass Kunst natürlich teuer sein muss, haben nicht verstanden, dass man selbst – und nicht die kaufenden Kunstfreunde – dafür verantwortlich ist, sich das Leben als Künstler leisten zu können. Lisa Maria Baier scheint mir da aus einem anderen Holz geschnitzt. Es mag nicht alles juristisch perfekt sein, was sie sagt, aber sie macht ihr Ding. Solche Typen waren schon immer sympathisch.

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Kommentare Lesermeinungen (2)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Görlitzer Art

Von Caspar Sawade am 17.07.2021 - 08:15Uhr
Es mag zunächst ärgerlich erscheinen, wenn ein Auftrag anders ausgeführt wird als vertraglich vereinbart. Juristisch betracht hat der Auftraggeber das Recht den Auftragnehmer zur Nachbesserung aufzufordern. Kommt dieser der Aufforderung nicht nach, kann er vom Vertrag zurücktreten. Dies ist vielleicht auch bei einem Kunstwerk so. Juristsch betracht ist dies auch kein Eingriff in die Kunstfreiheit, die Künstlerin darf ihre Kunst ja ausüben. Nur nicht im Rahmen des Vertrages mit der Stadt Görlitz.

Es geht aber um mehr. Frauenrechte und damit Menschenrechte werden in Polen durch eine Menschenrechte verachtende Politik systematisch mit Füßen getreten. Sich hinter der formal richtiger Argumentation des Vertragsrechtes zum Handlanger dieser Politik zu machen ist beschämend. Beschämend für die gesamte Stadtgesellschaft, in deren Namen die Stadt hier handelt.

"Kulisse" am falschen Ort

Von Kathi am 15.07.2021 - 12:37Uhr
Als ich neulich da vorbeifuhr dachte ich, dass das Theater aber komische Werbung für das Sommertheater, was gleich neben der Stadthalle ausgetragen wird, macht.

Der Schriftzug, der das eigentliche Thema der "Kunst" widerspiegelt, ist mir nicht ein bisschen ins Auge gefallen.

Ich würde sagen, falsch platziert.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © BeierMedia.de
  • Erstellt am 14.07.2021 - 13:51Uhr | Zuletzt geändert am 14.07.2021 - 16:49Uhr
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