Görlitz hat Kunst zum Mitnehmen

Görlitz, 10. Dezember 2016. Görlitz hat jetzt Kunst zum Mitnehmen: Ragnhild Becker und Gunar Seitz haben in der Neißestadt Gipsfiguren ausgesetzt. Was aus ihnen wird, bleibt spannend.

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"Visitors" in der Oberlausitz

Thema: Ausstellungen in Görlitz und Umgebung

Bild zu Ausstellungen in Görlitz und Umgebung

Görlitz verfügt nicht nur über fast 4.000 Baudenkmale, sondern ist eine Stadt der Museen und Ausstellungen. Hier befinden sich beispielsweise das Kulturhistorische Museum, das Schlesische Museum zu Görlitz, das Museum der Fotografie und das Senckenberg Museum für Naturkunde, im polnischen Teil der Europastadt das Lausitz-Museum. Darüber hinaus gibt es häufig Sonderausstellungen an anderen Orten, auch im Umland der Stadt sowie in der Dreiländerregion von Sachsen, Tschechien und Polen.

Das sieht knuffig aus und ist aus Alabaster-Gips, zwischen fünf und 25 Zentimeter groß, und heißt "Visitors", zu deutsch: Besucher.

Auch wenn die "Besucher" durchaus so aussehen, kommen sie doch nicht von einem anderen Stern, sondern aus Friedrichshafen am Bodensee. Hier werden sie vom Künstlerpaar Ragnhild Becker und Gunar Seitz hergestellt. Beide haben gestern einige Visitors in Görlitz an markanten Punkten hinterlassen.

Nach dem Aufstellen bleiben die durchnummerierten Kunstobjekte sich selbst überlassen. Das ist gewollt und Teil des Konzeptes: weitergeben, loslassen, teilhaben – so lange, bis ein aktiver Prozess entsteht, so die Philosophie. Die Visitors gehen auf die Reise, haben keine Besitzer und entziehen sich dem Kunstmarkt. Jeder Mensch, der eine Figur entdeckt, kann selbst entscheiden, ob er den Visitor stehen lässt, umsetzt oder mitnimmt.

Die Aktion ist international und offen. Bislang haben sich mehr als tausend Personen an der Aufstellung und der Dokumentation in Form von Fotos, Beschreibungen, Zeichnungen, Filmen oder Rückmeldungen beteiligt, berichtet das Künstlerpaar. Und: Landet eines der Objekte mal im Müll, ist das nicht weiter tragisch, denn über 17.000 Visitors finden sich bereits in 94 Ländern der Erde sowie im Orbit, in der Arktis und der Antarktis. Der höchste Visitor auf der Erdoberfläche steht beispielsweise in 5.000 Metern Höhe in den ecuadorianischen Anden, der tiefste am Toten Meer in Israel; seit 2005 gibt es zudem einen Unterwasser-Visitor südlich von Korsika.

Die Standorte sind durch Rückmeldungen verbürgt, so die Künstler. Ihre ungewöhnliche Aktion richtet sich "gegen elitäre Kunst im Elfenbeinturm". "Kunst gehört in die Öffentlichkeit und allen", ist Seitz überzeugt. Das Paar überlässt schon seit 2001 seine Visitors der Allgemeinheit. Die allererste Gipsfigur allerdings entstand bereits 1990 im Kreis Hersfeld-Rotenburg, sozusagen ein Vorläufer der heutigen Aktion. Die Figuren sind Unikate und ursprünglich aus dem Abfall größerer Kunstobjekte entstanden. Sie sind fünf bis zehn Zentimeter groß, weiß oder blau. Auf der Unterseite der Gips-Objekte klebt ein Etikett mit der Nummer des Visitors, der E-Mail-Adresse und Internetseite der Künstler. So können die Menschen die aktuellen Standorte im Netz weitergeben.

Inzwischen gibt es zudem eine seetaugliche Variante, den "Sea-Visitor" mit Strohhalm, der am Wasser ausgesetzt wird. Die Görlitzer Region hingegen geriet wegen ihrer Nähe zu den Nachbarländern ins Visier der beiden Künstler. "In diesem Jahr haben wir Grenzregionen ausgewählt", sagt Becker. Nach Grenzgebieten zu Frankreich, den Niederlanden und Österreich nun also das Dreiländereck. Schwerpunkt der Aussetz-Aktion ist dabei Zittau. Von dort aus solle die Kunstaktion in den Nachbarländern Polen und Tschechien weitergeführt werden, ergänzt Seitz.

Am 13. Dezember 2016 reist das Paar aus Kassel kommend an und bleibt bis zum Wochenende in der Region. Am Freitag werden die Visitors unter anderem in Görlitz ausgesetzt – insgesamt 25 Figuren. Das Künstlerpaar vom Bodensee freut sich bereits darauf, Rückmeldungen von den weiteren Reisen der Oberlausitz-Niederschlesien-Visitors zu bekommen.

Der Prozess

Die Visitors-Gipsfiguren werden einzeln oder in Gruppen in den unterschiedlichsten Ländern der Erde aufgestellt und können von dort aus weiterreisen. Wie, wo und wann die einzelnen Figuren ausgesetzt/aufgestellt werden, bestimmt jeder Aufsteller selbst.

Die Figuren können in Form und Farbe verändert werden; eigene Installationen und öffentliche Aktionen sowie Veröffentlichungen in der Presse sind mit den Visitors möglich. Jeder Aufstellende gibt seine Figuren frei. Dadurch entsteht eine Multi-Autorenschaft. Das Weitergeben, das Loslassen vom kleinen Kunstobjekt ist Teil des aktiven Prozesses. Die Objekte selbst haben keine Besitzer, sie entziehen sich dem Kunstmarkt.

Jedoch ind die Gipsfiguren vergänglich, sie verändern sich im Freien innerhalb kürzester Zeit. Das bedeutet: Jeder Visitor ist in seiner jeweiligen Situation sich selbst überlassen. Jeder Mensch, der einen Visitor sieht, kann selbst entscheiden, ob er den Visitor belässt, umsetzt oder mitnimmt. Die Aktion ist international und offen.

Bislang haben sich mehrere hundert Personen an der Aufstellung und ihrer Dokumentation in Form von Fotos, Beschreibungen, Zeichnungen und Filmen beteiligt. Am Chimborazo in 4.800 Metern Höhe steht der aktuell höchstgelegene und am Toten Meer in Israel bei 400 Metern unter dem Meeresspiegel der tiefstgelegenste Visitor. Der südlichste Visitor steht übrigens auf O'Higgins ( 63° 19' 15'' S , 57° 54' 03" W) vor der German Antarctic Receiving Station und der nördlichste in North Pole Alaska. Der erste Meeres-Unterwasser-Visitor befindet sich südlich von Korsika. Ein bronzener Pol-Visitor wurde am 22. April 2007 nahe des Nordpols 89° 48' Nord (Breitengrad) und 0° 58' Ost (Längengrad) auf einer Eisscholle, zusammen mit einer Driftboje, durch Dr. Christian Haas, Leiter des deutschen Projektbüros Cryosat, Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven, aufgestellt.

Ragnhild Becker und Gunar Seitz interessiert besonders der Fortgang der Aktion; jegliche Rückmeldung ist willkommen, egal, ob es sich um eine "Visitorsichtung" oder eine Umstellung oder Mitnahme handelt.

Mehr:
www.visitor-aktion.de

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  • Quelle: red | Fotos: Matthias Wehnert
  • Erstellt am 10.12.2016 - 01:27Uhr | Zuletzt geändert am 10.12.2016 - 12:48Uhr
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