Schülerzukunft im Container?

Schülerzukunft im Container?Görlitz, 24. Februar 2021. Grundsatzbeschlüsse liefern zwar Grundsätze, lassen aber vor allem die Hintertüren für Änderungen weit offen stehen. Das zeigt sich nun auch zwei Jahre nach dem Grundsatzbeschluss des Görlitzer Stadtrates zum Neubau einer Oberschule in der Innenstadt, denn Oberbürgermeister Octavian Ursu hat vorgeschlagen, die Neupläne erst einmal auf Eis zu legen.

Abb.: Container, die eher wie eine Lernanstalt anmuten, vor der Scultetus-Oberschule in Görlitz-Königshufen
Bildrechte: Stadtratsfraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne, Görlitz
Anzeige

Stadtratsfraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne bezieht Stellung

Begründet wird der Beschluss, jetzt nicht zu bauen, mit finanziellen Schwierigkeiten und einem geringeren Anstieg der Schülerzahlen als vor zwei Jahren prognostiziert. Die nappen Kassen hatte die Stadtratsfraktion bereits akzeptiert, nicht ohne jedoch neue Vorschläge auf den Tisch zu legen. Die Resignation der Rathausspitze kommentiert die Fraktionsvorsitzende von Motor Görlitz/Bündisgrüne, Dr. Jana Krauß.

Von Dr. Jana Krauß. Aus mehreren Gründen sind wir gegen die von OB Ursu vorgeschlagene Verschiebung des Projekts "Neue Oberschule in der Görlitzer Innenstadt West". Zunächst beruht die von der Verwaltung erstellte neue Bedarfsprognose auf der Betrachtung des Rückgangs der Geburtenzahlen in den Jahren 2018/2019 und 2019/2020. Das ist zum einen ein sehr kleiner Zeitraum (kleine Sprünge nach oben oder unten gab es zuletzt regelmäßig bei den Geburtenzahlen). Zum anderen setzt diese Prognose voraus, dass kaum Kinder nach Görlitz zuziehen werden.

Mit dieser Annahme würde vorauseilend akzeptiert, dass Görlitz in seinen Bemühungen um eine Erhöhung von Lebensqualität und Familienfreundlichkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze zur Steigerung des Zuzugs junger Familien scheitert. Das ist nicht hinnehmbar. Weiterhin ist es bereits jetzt so, dass die Oberschulen in Görlitz voll ausgelastet sind, Schülerinnen und Schüler in Containern unterrichtet werden. Aus der neuen Prognose ergibt sich, dass selbst in den Jahren mit den größten Unterschieden zur Prognose von 2018 75 Prozent einer neuen, zweizügigen Oberschule belegt wären. Unsere Schlussfolgerung aus der neuen Prognose lautet: Wir brauchen eine neue Oberschule, daran hat sich gegenüber März 2019, als der Stadtrat den Grundsatzbeschluss zum Bau einer Oberschule fasste, nichts geändert.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass angesichts der schwierigen Haushaltslage Prioritäten gesetzt werden müssen. Diese liegen für uns bei der Zukunftsfähigkeit unserer Stadt – eine hohe Qualität der Bildung von Kindern und Jugendlichen ist dafür essenziell. Schulen können über Geld aus dem Strukturwandel gefördert werden. Für arme Kommunen beträgt die Förderquote bis zu 95 Prozent. Für eine solche Förderung muss ein Beitrag zum Strukturwandel geleistet werden. Warum denken wir Schule also nicht weiter als bisher? Als Bildungscampus, wo Jung und Alt gemeinsam lernen. Als Modellschule für digitale Anwendungen oder für innovative MINT-Ausbildung.

Ähnliches forderte in der letzten Stadtratssitzung auch CDU-Stadtrat Gerd Weise. Im besten Fall wird daraus ein ganzheitliches Strukturwandelprojekt, mit dem wir nicht nur eine moderne Oberschule erhalten, sondern in der Innenstadt-West den Strukturwandel kreativ gestalten. Dafür braucht es die Verankerung des zu erwartenden Eigenanteils bereits im Doppelhaushalt 2021/22. Das werden wir in die Haushaltsverhandlungen einbringen.

Mehr:
Argumente für eine neue Oberschule in Görlitz



Kommentar:

Sind Schulen Teil des Strukturwandels? Ob man den Strukturwandel nun über die Digitalisierung oder die Umstellung der carbonbasierten Wirtschaft auf andere Energieträger definiert: Die Antwort ist immer: "Ja!"

In Finanzierungsfragen ist, unabhängig von der aktuellen Situation, die Tischdecke für den Tisch der Begehrlichkeiten wohl immer zu klein, das Gezerre daran hingegen groß. "Es gilt, Prioritäten zu setzen!", wissen kluge Politiker – oder sagt man heutzutage Politisierende?

Bleiben wir bei den Prioritäten: Wir stehen an der Schwelle zu einem Zeitalter, in dem neue Viren oder deren Mutationen viral gehen – eine Behauptung, die sich aktuell in der Praxis beweist und angesichts der nicht mehr zurückdrehbaren Globalisierung Bestand haben wird. Die Annahme, irgendwann sei die Corona-Pandemie vorbei und alles wie zuvor, zeugt von der verbreiteten Unfähigkeit langfristigen Denkens. Das ist kein Vorwurf, denn diese Unfähigkeit begründet sich in evolutionären Prozessen, kurz gesagt: Kurzfristige Zusammenhänge versteht jeder, niemand fasst eine heiße Herdplatte an, sich die Gesundheit mit ungesunder Lebensweise langfristig zu ruinieren, das ist hingegen verbreitet.

So gesehen brächte eine neue Schule zunächst den Vorteil räumlicher Überkapazitäten, was das Abstandhalten unter den Schüler erleichtern würde. Moderne Luftaufbereitungsanlagen würden sicherlich gleich integriert. Und auch aus unternehmerischer Sicht macht ein Schulneubau durchaus Sinn, wenn man die kybernetische Kalkulation bemüht. Jeder Unternehmer weiß: Wenn ich neue Aufträge – hier den Zuzug Jüngerer und infolge Kinder – möchte, muss ich die nötigen Kapazitäten auf möglichst neuestem Stand vorhalten, meint

Ihr Thomas Beier

Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: red / Thomas Beier | Bildrechte: Stadtratsfraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne, Görlitz
  • Erstellt am 24.02.2021 - 08:14Uhr | Zuletzt geändert am 19.03.2021 - 12:43Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige