Oberbürgermeister-Spekulationen für Görlitz: Es ist kompliziert
Görlitz, 16. Mai 2019. Glaubt man dem, was in Görlitz die Spatzen von den Dächern orakeln, wird es bei der Oberbürgermeister- resp. Oberbürgermeisterin-Wahl in Görlitz wohl einen zweiten Wahlgang geben, für den zum jetzigen Zeitpunkt für viele nur eins wahrscheinlich ist: Einer der beiden verbleibenden Bewerber wird AfD-Mann Sebastian Wippel sein. Ob die Mitbewerberin Franziska Schubert von den Bündisgrünen, unterstützt von den Bürgern für Görlitz e.V., vom Kommunalpolitischen Netzwerk Motor Görlitz e.V., von der SPD Görlitz und anderen, oder Octavian Ursu als CDU-Mitbewerber nochmals antreten, hängt von weitergehenden wahlstrategischen Überlegungen ab. Von der Linken, für die Jana Lübeck kandidiert, wird für einen zweiten Wahlgang eine Wahlempfehlung erwartet. Der folgende Gastbeitrag greift das Thema auf.
Symbolfoto: Wer besetzt demnächst den Görlitzer Oberbürgermeistersessel?
Eine Zerreißprobe für den sächsischen Ministerpräsidenten
Thema: Oberbürgermeisterwahl Görlitz
Am 26. Mai 2019 wird in Görlitz im ersten Wahlgang über einen neuen Oberbürgermeister resp. eine neue Oberbürgermeisterin abgestimmt. Amtsinhaber Siegfried Deinege tritt nicht noch einmal an.
- Glückwunsch und Wunsch nach Veränderung [17.06.2019]
- Ursu dankt seinen Wählern [17.06.2019]
- Weißer Rauch über dem Görlitzer Rathaus [17.06.2019]
Von Uwe Tschirner. Der CDU-OB-Kandidat von Görlitz setzt auf Sicherheit, am überdimensionalen Plakat vor dem Marktkauf in Görlitz habe ich mich heute (Anm. d. Red.: am 14. Mai 2019) richtig erschrocken. Die Überwachungskamera auf dem Motiv war fast größer als der zu Wählende. Die Christdemokraten buhlen um die Stimmen der Populisten und das ohne Not.
Das wird eine ganz spannende OB-Wahl, die erst nach dem 26. Mai an Schärfe gewinnt. Keiner der vier Kandidaten wird die absolute Mehrheit erzielen – soweit lehne ich mich mal aus dem Fenster. Der smarte AfD-Wippel wird in den zweiten Wahlgang einziehen – und Franziska Schubert und Octavian Ursu werden miteinander reden müssen. Wer tritt noch einmal an, wer unterstützt wen?
Sollte die grüne Frau mit dem so lustig rot wehenden Haar mehr Stimmen als Ursu erzielen, stehen die Christdemokraten vor einer Zerreißprobe. Sollten sie Ursu noch einmal, ohne Hoffnung auf Erfolg, in den Ring schicken oder ohne Wahlempfehlung aus dem Rennen um das Görlitzer Rathaus aussteigen? Man könnte die Demokratin Franziska Schubert unterstützten, eine Wahlempfehlung für den AfD-Kandidaten mag ich mir noch nicht ausmalen.
Die Konsequenzen liegen auf der Hand: Schenkt man der AfD den Sieg, muss man in den kommenden drei Monaten mit dem Gegenwind aus dem Görlitzer Rathaus für Kretschmers Direktkandidatur im Landtagswahlkampf rechnen und mit dem Stigma eines blauen Oberbürgermeisters in einer großen und strategisch wichtigen sächsischen Stadt leben. Eine grüne Oberbürgermeisterin liegt aber auch außerhalb jeglicher Vorstellungskraft eines sächsischen Christdemokraten.
Kretschmer wird Wort halten müssen – keine Zusammenarbeit mit der AfD, hat er gesagt. Und die Wähler werden ihn beim Wort nehmen, spätestens am Wahlsonntag im September.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.
OB Wahl in Görlitz
Von Prof. Dr. Joachim Schulze am 16.05.2019 - 08:47Uhr
Ich teile die Einschätzung von Herrn Tschirner. Vermutlich wird es eine hohe Wahlbeteiligung geben . Nach der heute veröffentlichten Umfrage der SZ geben 30 Prozent an, sich noch nicht entschieden zu haben. Bemerkenswert an der Umfrage sind die Antworten auf die Frage, ob der/die OB aus Görlitz kommen muss. 57 % nein, 41 % ja.
Auch wenn in der ferneren Vergangenheit erfolgreiche OB keine gebürtigen Görlitzer waren, schien das ab den 90ern doch fast Gesetz zu sein. Der erste Wahlkampf des damals noch von der CDU gestützten OB Paulick lief so mit dem Slogan "Einer von uns" und AfD-Mann Wippel versucht ebenfalls mit seiner Görlitzer Geburtsurkunde zu punkten. Hier scheint sich etwas getan zu haben in der Mentalität einer Mehrheit. Wichtiger ist, wohin jemand mit unserer Stadt will, als die Frage , woher jenand kommt. Franziska Schubert kommt zudem noch ganz aus der Nähe....Das zweite ist das Gespür dafür, was der Stadt schaden würde. 52 Prozent sagen, ein AfD-OB Wippel schadet Görlitz, 37 Prozent verneinen das. Wenn ich mich mit Menschen aus der Wirtschaft und aus dem Tourismus unterhalte und mit an diesen Fragen interessierten Görlitzern zeigt sich genau diese Sorge .
Am 26ten wird bei der OB-Wahl niemand mit 50, 1 Prozent die Sache entscheiden. Kandidat Wippel wird mit Sicherheit weiter antreten. Für die AfD ist es bis rauf zur Bundesebene ein wichtiges Anliegen, ausgerechnet in der Europastadt Görlitz, der Heimatstadt von Ministerpräsident Kretschmer, den ersten Blauen OB zu stellen. Deswegen fliesst viel Geld und Promis und die bundesweite Abschlussveranstaltung zur EU-Wahl findet mit Prof. Meuthen zur Unterstützung von Herrn Wippel in der Landskronhalle statt. Man erhofft sich im Erfolgsfall eine Signalwirkung für die Landtagswahl und dann möglichst eine weitere Schlappe für MP Kretschmer, dem sein Direktmandat abgejagt werden soll. Das strategische Ziel besteht darin - wenn aufgrund der Landtags-Wahlergebnisse schon kein direkter Auftrag für die Regierungsbildung erfolgt, eine Koalition mit den dafür aufgeschlossenen Kräften in der CDU zu bilden. MP Kretschmer hat sich hier festgelegt, das ist glaubwürdig, dahinter kann er nicht zurück. Wird er auch gerade durch einen negativen Ausgang in Görlitz geschwächt, war's das für ihn. Das macht die OB-Wahl in Görlitz so besonders: die Folgen für die nächste Regierungsbildung in Sachsen und die Signale an Europa aus unserer Stadt . Alle, denen das nicht gleichgültig ist, müssen sich nach der Stimmenauszählung tief in die Augen schauen und kluge und verantwortungsbewusste Entscheidungen ohne falsche Eitelkeiten treffen. Zum Wohl von Stadt und Land. P.S. Hisst Europaflaggen!
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- Quelle: red / Uwe Tschirner | Foto: © Görlitzer Oberbürgermeister
- Erstellt am 16.05.2019 - 00:29Uhr | Zuletzt geändert am 16.05.2019 - 11:40Uhr
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