Wege zum Görlitzer Oberbürgermeister-Sessel
Görlitz, 5. Januar 2019. Von Thomas Beier. Zur Kommunalwahl am 26. Mai 2019 wird in Görlitz nicht nur ein neuer Stadtrat gewählt, sondern auch eine neuer Verwaltungschef in Gestalt eines Oberbürgermeisters oder einer Oberbürgermeisterin, was man an dieser Stelle fairerweise betonen muss. Zu befürchten ist, dass es den drei männlichen Kandidaten im Alltag zwar nicht an Charme und guter Erziehung mangelt, sie aber dennoch der Dame nicht ganz einfach den Vortritt auf dem Weg zum Oberbürgermeister-Stuhl lassen. Verlassen wir doch einmal die Niederungen des Oberbürgermeister-Wahlkampfes und schauen von oben, von einer theoretischen Ebene, welchen Ansprüchen ein Mensch an der Spitze der Stadtverwaltung möglichst gut gerecht werden sollte und wie die vier Kandidaten vorgehen.
Vier Kandidaten – urteilen muss der Wähler selbst
Thema: Oberbürgermeisterwahl Görlitz
Am 26. Mai 2019 wird in Görlitz im ersten Wahlgang über einen neuen Oberbürgermeister resp. eine neue Oberbürgermeisterin abgestimmt. Amtsinhaber Siegfried Deinege tritt nicht noch einmal an.
- Glückwunsch und Wunsch nach Veränderung [17.06.2019]
- Ursu dankt seinen Wählern [17.06.2019]
- Weißer Rauch über dem Görlitzer Rathaus [17.06.2019]
Zu allererst braucht's aber einen Ordnungsruf an zwei Drittel der Kandidaten aus dem Lager der drei testosterongesteuerten Oberbürgermeisterkandidaten: Da kursieren Gerüchte, dass politisch nicht genehme Gruppierungen schon mal als "Feind" bezeichnet werden. Das zeugt so wenig von Demokratieverständnis wie die Annahme, eine absolute Mehrheit sei die beste Arbeitsgrundlage in einer Volksvertretung. Wir sind doch nicht auf dem Sportplatz, wo in Überlegene und Unterlegene eingeteilt wird! Wahlen entscheiden darüber, wer in welchem Maße die Macht erhält, um Entscheidungen gemäß seiner Grundüberzeugungen (manchmal auch Lobbyisten und Spezies) durchzusetzen, wobei die Interessen der Minderheiten zu berückichtigen sind.
Die Kompetenzfrage
Bei der Wahl eines hormonell wie auch immer gesteuerten Oberbürgermeisters tritt eine Anforderung in den Vordergrund, die Abgeordnete durchaus, wie die Praxis zeigt, überspielen können: die persönliche Kompetenz, genauer gesagt, eine ganze Reihe persönlicher Kompetenzen, die sich in den unterschiedlichen Ebenen und Ausrichtungen zeigen.
Nehmen wir beispielsweise mal, weil für viele Menschen ein naheliegendes Kriterium, die fachliche Kompetenz. Da haben die Görlitzer freie Auswahl zwischen einem Diplom-Musiker, einem Polizeivollzugsbeamten, der Diplom-Verwaltungswirt (FH) ist, einem Kultur und Management Studenten, ausgewiesener Experte für System-Transfer, und einer auch international studierten Wirtschafts- und Sozialgeografin (Abschlüsse als Bachelor und Master), die als Expertin für Finanz- und Haushaltspolitik gilt.
Aber auch die soziale Kompetenz ist zweifelsohne von großer Bedeutung, wenn das Rathaus anständig und im Sinne der Bürger der Stadt Görlitz geführt werden soll. In die soziale Kompetenz fallen Fähigkeiten wie die zum "ergänzenden Aufeinanderzugehen", also nicht mit Feindbildern und Machtmitteln zu arbeiten, sondern Interessen zu berücksichtigen und die Stärken einzelner Personen und Gruppierungen für die Zielerreichung zu nutzen. Nur so lässt sich die Motivation, sich in Entwicklungen einzubringen, erhalten.
Erfolgreiche Führungskräfte – eine Oberbürgermeisterin oder ein Oberbürgermeister wird in der Erwartung gewählt, das zu sein – verfügen über eine weitere Kategorie: die emotionale Kompetenz. Hier geht es um die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Emotionen und die anderer Menschen wahrzunehmen, zu verstehen und in gewissem Maße zu beeinflussen. Leute, denen es an emotionaler Kompetenz mangelt, erkennt man leicht daran, dass sie Kritik in der Sache sehr schnell als persönlichen Angriff werten, andererseits nicht verstehen können, dass andere Leute andere Meinungen vertreten.
Erst eine ausgeprägte emotionale Intelligenz erlaubt es, Menschen nicht nur anhand ihres Verhaltens zu beurteilen, sondern auch ihre Handlungsmotive einschätzen zu können. Wenn beispielsweise jemand mehr Polizei fordert mit dem Ziel, Kriminalität einzudämmen, liegt neben der Frage, ob das Mittel tauglich ist, auch die Frage auf der Hand, ob es weitere Motive für diesen Anspruch gibt.
Für positive Entwicklungen bedeutsam ist die Ebene der spirituellen Intelligenz. Dahinter steckt unter anderem, dass man messbare Ziele umso besser erreicht, je stärker man daran glaubt. Ein stark verankertes Ziel führt zu psychologischen Effekten, die zum besseren Erkennen von Chancen durch selektive Wahrnehmung und zu mehr Unterstützung durch andere führen (wir nennen das Leithammel-Effekt, gemeint ist, dass Menschen oft jene unterstützen, die ihnen Orientierung geben).
So gehen die Görlitzer OB-Kandidaten vor
Nein, die geheimen Strategien und in Schubladen gebunkerten Taktiken und Notfall-Kommunikationsanweisungen liegen dem Görlitzer Anzeiger nicht vor. Nichtsdestotrotz entsteht ja so nach und nach ein Eindruck vom Vorgehen der einzelnen Kandidaten.Vielleicht hat sich Momo Riedmüller bei seiner späten Kandidatur ja von der Volksweisheit "Die Letzten werden die Ersten sein!" leiten lassen. Seine Wahlkampfslogan "White Wine statt White Power" macht ihn zwar nicht zum Darling der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, aber das deutsche Volk hat Aufklärung ja eh an ganz anderer Stelle nötig.
Der Wahlkampf von Sebastian Wippel, MdL, scheint von systematischer Sacharbeit gekennzeichnet. In vielen Mitteilungen widmen sich er und ein Parteigenosse – sagt man so? – Themen und Forderungen, die sich an konkreten Problemen orientieren, beispielsweise "Südwestumfahrung für Görlitz dürfte sinnvolles Projekt sein", "Huckepack-Verfahren für Lkw zügig umsetzen statt Studien darüber erarbeiten", "Innenminister lässt Schutzwesten im Ausland fertigen und ignoriert einheimisches Unternehmen" oder "OB-Kandidat Wippel hilft enttäuschten Stromkunden". In seinen Schwerpunkten ist Wippel keine Herausforderung zu groß – von der Strafvollstreckung über das EU-Ausschreibungsrecht bis hin zur Familie. Wer darüber und anderes mit Sebastian Wippel sprechen möchte, trifft ihn zu diesen Terminen im Gasthaus: 7. Februar 2019, 19 Uhr, Zum Alten Bahnhof, Görlitz-Hagenwerder, 13. Februar 2019, 19 Uhr, Gerichtskretscham, Görlitz-Ludwigsdorf, 20. Februar 2019, 19 Uhr, Nordquell, Görlitz-Königshufen, telefonische Voranmeldungen sind möglich unter 03581 - 6 86 16 34 .
Der dritte Mann ist Octavian Ursu, MdL. Er scheint vor allem auf die Kraft der Bilder zu setzen. In seiner Omnipräsenz zeigt er sich meist freundlich lächelnd, kann aber auch kritisch und sogar neutral gucken. Sein öffentlicher Terminkalender beweist, dass auch Zeit für viele Sitzungen – so am 5., 6., 7. und 8. Februar – aufgebracht werden muss. Ursu hat den Wählern gleich zu Beginn des Wahlkampfes bei seinen Stadtteilgesprächen aufs Maul geschaut, was natürlich schlau ist, weil er dadurch in der heißen Wahlkampfphase die Wählererwartungen besser kennt. Allerdings sprechen auch die anderen Kandidaten mit vielen Leuten.
Als einzige Dame bewirbt sich Franziska Schubert, MdL, um die Gunst der Görlitzer Wähler bei der Oberbürgermeisterwahl. Sie ist weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen (spricht fließend Englisch und Russisch, grundhaft Ungarisch und ein bisschen Italienisch und Spanisch, Polnisch sammelt sie sich gerade etwas zusammen, was ja in der Europastadt Görlitz-Zgorzelec nur von Wert sein kann). Ach so, erstklassig Deutsch kann sie auch. Für Schubert bilden, so der Eindruck, Wahlkampf und Sacharbeit eine Einheit. Handwerk, Feuerwehr, Vereine und Ehrenamt, Kultur, Wirtschaft insgesamt – sie punktet mit Fachwissen, Realitätssinn und ihrer offenen Wesensart. Ausgaben und ein gesundes Stadtsäckel in Einklang zu bringen, ist ureigenstes Ding der Finanz- und Haushaltsexpertin.
Und die Parteien dahinter?
Die sind in diesem Beitrag weggelassen – als kleiner Beitrag, Vorurteile, die jeder kennt und die doch viel zu oft nicht zutreffen, abzubauen. Vorurteile gegenüber Parteien sind immer wieder das Resultat unserer mediengeheizten Erregungsgesellschaft. Da ist eine Rückschau, was Parteien in den vergangenen Jahren erreicht oder positiv beeinflusst haben, ergiebiger. Hinzu kommt: Auf dem Oberbürgermeisterposten ist – wie generell auf kommunaler Ebene – die Parteizugehörigkeit nicht ganz so wichtig, hier geht es es nämlich gegenüber dem Bürger konkret zur Sache.Erwähnenswert ist eine Görlitzer Besonderheit: das kommunalpolitische Netzwerk Motor Görlitz, das außerhalb der Parteienlandschaft mittlerweile kräftig mitmischt, ohne jedoch die Parteien zu ignorieren. Eher besteht die Unsicherheit umgekehrt: Weil Motor als Netzwerk auch Kandidaten auf Listen bestehender Parteien unterstützen will, gibt es bei den Etablierten eine gewisse Verwirrung.*) Motor Görlitz setzt sich für eine konsensorientierte und enkeltaugliche Politik ein und schafft dafür ein Handlungsfeld, das nicht von den Schützengräben der Parteien zerfurcht ist: Jedes Gegeneinander ist ein Verlust, jedes Miteinander ein Zugewinn.
Prädikat: Hingehen!
Wenn der Wahlkampf zur Kommunalwahl im Mai und zu Landtagswahl im September 2019 dazu führt, dass sich mehr Bürger gesellschaftlich oder politisch betätigen: Nur gut! Zwei ausgesprochen Görlitz-relevante Termine sollte man sich vormerken:
- Donnerstag, 14. Feburar 2019, von 19 bis 21 Uhr,
Gerhart-Hauptmann-Theater, Demianiplatz, 02826 Görlitz:
Bürgerforum des Aktionskreises für Görlitz e.V. zur Oberbürgermeisterwahl
Es diskutieren die Oberbürgermeister-Kandidaten,
Moderation: Cornelius Pollmer, Regionalkorrespondent der Süddeutschen Zeitung.
Freier Zugang für alle Interessierten.
Update 10.02.2019: Die Platzreservierungstickets sind bereits vollständig verteilt und ohne ein solches besteht keine Aussicht auf Einlass. - Sonnabend, 16. Februar 2019, von 13 bis 17 Uhr,
Wichernhaus, Johannes-Wüsten-Straße 21, 02826 Görlitz:
Eine Halle für alle
Oberbürgermeister-Kandidatin Franziska Schubert lädt ein. Sie freut sich, dass die Sanierung in greifbare Nähe rückt, will aber zur Frage, was zukünftig mit der Stadthalle passieren soll, eine stärkere Bürgerbeteiligung. Das soll Lösungen "gemeinsam und miteinander" erleichtern. Im Mittelpunkt stehen Fragen zur künftigen Nutzung (wofür/wofür nicht), wofür die Stadthalle bekannt werden soll, wie jüngere die Stadthalle begeistert werden können, wie sie für die Zgorzelecer attraktiv wird und zu mehr Europastadt betragen kann, wie sie konkurrenzfähig wird und wer sie betreiben kann..
Dazu werden geladene Görlitzer ihre konkreten Ideen und Konzepte vorstellen und mit den Anwesenden diskutieren. Schubert: "Ich werden mir die Vorschläge in mein 'Pflichtenheft' als Oberbürgermeisterin schreiben und sie dem Stadtrat und der Görlitzer Verwaltung übergeben. Als Volkes Wille sozusagen. Von den Aufgaben her denken - und enkeltauglich entscheiden. Dafür trete ich an."
Anmelden zu "Eine Halle für alle"!
Bitte angesichts des großen öffentlichen Interesses und wegen der begrenzten Platzanzahl bis zum 12. Februar 2019 unter anmeldung@franziska-fuer-goerlitz.de.
*) Der vorstehende Satz ist gegenüber der Erstveröffentlichung, die an dieser Stelle eine nicht exakt interpretierte Nachricht enthielt, geändert.
Ergebnis: Welches ist Ihr wichtigstes Kriterium zur Görlitzer Oberbürgermeister-Wahl?
Umfrage seit dem 05.02.2019
Teilnahme: 743 Stimmen
Terminologie
Von Peter am 06.02.2019 - 09:03Uhr
Ist der Begriff "Parteigenosse" mit Absicht gewählt? Dieser ehemalige NSdAP Terminus soll Herrn Wippel bewußt in eine bestimmte Ecke manövrieren?!
Und im Gegenzug :
"Prädikat: Hingehen!", da wird FS exemplarisch erwähnt. Ist das unabhängiger, neutraler Journalismus?
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Fragen sind zum Beantworten da, die Redaktion bezieht Stellung:
Wir wissen nicht, wie sich AfD-Mitglieder untereinander anreden, deshalb auch das Fragezeichen.
Wenn Sie den Görlitzer Anzeiger, wie wir doch hoffen wollen, eifrig studieren, werden Ihnen die feinsinnigen Abstufungen von "Hingehen!", über "Prädikat: Hingehen!" bis zu "Prädikat: Unbedingt Hingehen!" aufgefallen sein. Wir vergeben diese frei Schnauze danach, wie relevant uns eine Veranstaltung erscheint (das ist freier Journalismus, falls Sie jedoch einen absolut "unabhängigen, neutralen" Journalisten kennen, freuen wir uns über einen Kontakthinweis). Was glauben Sie eigentlich, weshalb sich beispielsweise die F.A.Z. und die Süddeutsche Zeitung ein wenig unterscheiden? Richtig, weil sie nicht gleichgeschaltet sind!
Bitte beachten Sie, dass die meisten der im Artikel genannten Termine solche von Herrn Wippel (AfD) sind. Wir hätten diesbezüglich Kritik aus dem Lager der anderen Bewerber erwartet.
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- Quelle: Thomas Beier | Foto: nzchrissy2 / Chrissy H, Pixabay, Lizenz CC0 Public Domain
- Erstellt am 05.02.2019 - 09:05Uhr | Zuletzt geändert am 10.02.2019 - 13:41Uhr
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