Eine Antwort auf den Görlitzer Neujahrsempfang

Görlitz, 26. Januar 2016. Von Hans-Peter Bauer. Das Dilemma des sogenannten ländlichen Raums im Landkreis Görlitz sind seine Verluste durch die Binnenmigration und die unzureichende Immigration. Infrastrukturen für verödende Landstriche sind teurer als solche in Ballungsräumen. Durch die Bindung der Zuweisungen (auch die des Kulturraumgesetzes) an die Einwohnerzahlen der Landkreise verschärfen sich die Skalenverluste noch mehr. Der Wegzug der Jungen, der Gebildeten, der vielen jungen Frauen, schafft erhebliche Lücken bei der Regeneration von Funktionsträgern und unterminiert die demokratischen Strukturen in bereits besorgniserregendem Ausmaß.
Abbildung oben: Das agile Theater in Zittau, eine Spielstätte der Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zitttau GmbH, zählt zu den kulturellen Bastionen im Landkreis Görlitz.

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Kultur ist harter Standortfaktor geworden

Thema: Stadthalle Görlitz

Stadthalle Görlitz

Die Stadthalle Görlitz wurde 1910 als Veranstaltungsort des Schlesischen Musikfestes eröffnet. Hoher Sanierungsbedarf und die ungenügende Selbstfinanzierung führten im Jahr 2005 zur Einstellung des Betriebs und zu Verkaufsbestrebungen seitens der Stadt Görlitz. Die Ende Januar 2010 vom Stadtrat beschlossene Sanierung wurde, ohne dass Arbeiten am Gebäude begonnen hätten, im Oktober 2012 gestoppt, weil Fristen für Fördermittel zu kurz waren. Erst 2018 stellten Bund und Land Geld für eine über die Sicherung hinausgehende Sanierung bereit. Eine große Herausforderung stellen die Betriebskosten für die Stadthalle Görlitz dar.

Ursache der Mobilität sind interessanterweise weniger die sogenannten "harten Faktoren" wie Arbeitsplätze, Wohnraumversorgung oder Sozialversorgung: Ursache der einseitigen Mobilität vom ländlichen und mittelstädtischen Bereich in die Ballungsräume sind vor allem Vorstellungswelten. Diese mentalen Prozesse gilt es näher in den Blick zu nehmen. Die kontraproduktiven Diskussionen des Vereins "Bürger für Görlitz" zur Kultur, zum Berzdorfer See und zur Infrastruktur unserer Stadt sind dabei alles andere als hilfreich. Schon die ablehnende Haltung zur Wiederbelebung der Stadthalle zeugt von einer einseitigen, den Willen der Bürger missachtenden Kommunalpolitik.

Die hier interessierende Frage ist, welche Art von Kunst und Kultur die Vorstellungswelten zugunsten des sogenannten ländlichen Raumes – der ja faktisch urban geprägt ist und wesentlich aus den Mittelstädten 20.000 – 60.000 Einwohner als Bezugsgröße besteht – umprägen kann. Welche spezifischen Instrumente zur Resilienzstärkung müssen als strategische "Mindestmaßnahme" ausgebildet werden? Ist es die Art von Kulturtourismus á la Österreich? Ist es die Umbenennung des Berzdorfer Sees in Görlitzer See?

Nach Schätzung der österreichischen Wirtschaftskammer sind bereits "mehr als ein Viertel des heimischen Tourismus ein reiner Kulturtourismus. Festwochen, Sommerfestspiele beleben totgesagte Regionen, und zählen dort oft schon zu den wichtigen Einkommensquellen". Diese ausgewiesenen Effekte in Österreich verdienen hier bei uns Beachtung, sie bedürfen einer systematischen Stärkung (zum Beispiel Mittelerhöhung mit mehrjähriger Mittelbindung, Privilegierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Initiativen, Erleichterung und Unterstützung bei der Antragsstellung und Förderung mit vereinfachten Antrags- und Abrechungsverfahren).

Die Klärung folgender Fragen ist bedeutungsvoll:

    • Es wäre zu fragen, durch welche Regelungen die organisatorische und künstlerische Erneuerung der Kultureinrichtungen begünstigt werden kann?
    • Ist die Bündelung der künstlerischen Ressoucen im Landkreis unter Einbeziehung der Stadthalle der richtige Weg, sie auch ökonomisch für die Region interessant zu machen?
    • Welche Querschnittsaufgaben lassen sich aus den sich ständig verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ableiten (beispielsweise Tourismus, Migration, Alterung der Gesellschaft), vor allen Dingen, welche kulturelle Bildungsaufgaben sind zu erfüllen?

    Ein positives Beispiel zu kulturellen Bildungsaufgaben liefern die praktizierten Jugendkonzerte unseres Theaters, die sich nicht nur steigender Beliebtheit erfreuen, sondern die auch einen wirksamen bildungspolitischen Auftrag erfüllen. Welche Hilfsleistungen des Freistaates sind dafür sinnvoll, um auch mit den Mitteln der Kulturpolitik die Reaktionsfähigkeit und die selbsttätige Erneuerung der Kommunen zu unterstützen? Das SächsKRG gibt darauf keine ausreichende Antwort.

    Die Animositäten im Lausitzer Theaterdreieck sind nicht dazu angetan, die Region um den Landkreis Görlitz zu stärken. Das Zurateziehen von Experten aus dem Kulturbereich ist wirklich kein Ersatz für eine wissenschaftliche Expertise zu diesem Thema. Aus diesem Grunde ist der "Runde Tisch" zur brachliegenden Stadthalle im Februar 2016 von außerordentlicher Bedeutung für Kunst und Kultur im Landkreis Görlitz.

    Die Kultur ist, im Gegensatz zur Meinung einiger hochrangiger Ökonomen, ein harter Standortfaktor geworden. Langsam aber sicher wird die Umkehr dieser ökonomischen Lehrmeinung in den Universitäten Einzug finden und hoffentlich auch in den Köpfen des BfG-Vereins.

    Wiedergabe eines am 25.Januar 2016 auf facebook erschienenen Beitrags mit freundlicher Genehmigung des Autors, geringfügig redigiert. Fotos und Bildunterschriften sind redaktionell ergänzt.

    Kommentar:

    In Diskussionen mit Unternehmern gibt es regelmäßig die Argumentation, echte Wertschöpfung schaffe nur die Industrie oder das industrienahe Handwerk. Davon - und nur davon - sei schließlich abhängig, wieviel Kultur man sich leisten könne.

    Dass das so nicht stimmt, zeigt sehr schnell ein Vergleich Deutschland - USA. In den Staaten, immerhin Industrienation Nummer Eins, finden sich riesige Landstriche, in denen institutionalisierte Hochkultur nicht mehr vorkommt, in Deutschland hingegen dürfte es kaum jemanden geben, der im Hundert-Kilometer-Radius weder Theater noch Oper findet - im Gegenteil, selbst von Görlitz aus gesehen besteht reiche, um nicht zu sagen: luxoriös reiche Auswahl. Entscheidend für Kulturangebote ist also weniger die Wirtschaftsleistung als der politische Wille als Entäußerung kultureller Tradition.

    Und der Erhalt kultureller Angebote ist nötiger denn je, für den gesellschaftlichen Diskurs, für die Attraktivität einer Region. Allerdings müssen die Einrichtungen auch ihrer Verantwortung gerecht werden: Wenn ein Theater sich ständig mit Zauberflöte & Co. beim Publikum anbiedert, gehören Mittel umgelenkt, beispielsweise in die Kleinkunst, wo viele hervorragende Talente "ihr Ding" machen ohne Chance, je in den hochsubventionierten Bereich aufzusteigen.

    Zurück zur Wirtschaft. Die Potenziale Deutschlands als klassisches Industrieland sind begrenzt, zuviel Produktion und zunehmend Engineering ist längst in die sogenannten Schwellenländer abgewandert.

    Um eine Region wie den Landkreis Görlitz zu entwickeln, sind Unternehmen gefragt,
      • die dazu beitragen, dass Waren und Dienstleistungen aus der heimischen Region bezogen werden können
      • die andererseits überregionale Absatzmärkte haben, um unabhängig von geringer Kaufkraft vor Ort zu sein, aber auch Kaufkraft vor Ort zu generieren.
      • Außerdem sind hier Unternehmen Mangelware, die in der Lage sind, sehr gut ausgebildete Berufseinsteiger zu beschäftigen.

      Allerdings sind Kriterien wie Betriebsgröße und Zahl der Arbeitsplätze - sorry - dabei eher nachrangig. Erste Aufgabe von Unternehmen ist es nun mal, marktfähige Waren und Dienstleistungen anzubieten und nicht etwa Arbeitsplätze zu schaffen - Arbeitsplätze sind so gesehen eher eine angenehme und wünschenswerte Folge wirtschaftlicher Prosperität.

      Um Wirtschaft voranzubringen ist weniger "Wirtschaftsförderung" als vielmehr der Abbau von Barrieren, die Wirtschaft und Menschen in ihrer Entfaltung behindern, nötig. Der Landkreis Görlitz braucht vor allem ein noch besseres Klima, das es für Unternehmen, völlig unabhängig von der Betriebsgröße, interessant macht, sich hier anzusiedeln oder hier zu starten.

      Kultur gehört - neben weiteren Faktoren - unbedingt dazu, als harter Standort- wie auch Wirtschaftsfaktor,

      meint Ihr Thomas Beier

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    • Quelle: Hans-Peter Bauer | Kommentar: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
    • Erstellt am 26.01.2016 - 11:20Uhr | Zuletzt geändert am 26.01.2016 - 12:47Uhr
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