Niederschlesien nach 1945

Niederschlesien nach 1945Görlitz, 8. Mai 2020. Der 8. Mai markiert nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, sondern zog zwangsläufig die Potsdamer Konferenz vom Sommer 1945 nach sich. In deren Folge kam es zur Aufteilung Deutschlands und Europas in Einflusssphären – in Osteuropa verlagerte installierte die Sowjetunion linke Regimes, die Diktaturen waren.

In der Görlitzer Galerie Brüderstraße
Archivbild: © Görlitzer Anzeiger
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Fotoausstellung thematisiert Grenzverschiebung und Bevölkerungsaustausch

Die Sowjetunion nutzte ihren Anteil am Sieg der Alliierten 1945 dazu, Deutschland den Friedensvertrag von Brest-Litowsk von 1918, durch den sich das junge Sowjetrussland auf die Grenzen aus der Zeit vor Peter I. zurückziehen musste, heimzuzahlen. Deutschland hatte nach dem Ersten Weltkrieg im Osten ein System von Vasallenstaaten installiert, das den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zugriff von der Barentssee bis zum Kaspischen Meer erlauben sollte. Im Sommer 1918 stimmte Sowjetrussland der Zahlung von sechs Milliarden Goldmark Reparationsleistungen an Deutschland zu.

Das erklärt – vereinfacht gesagt – aus sowjetischer Sicht die Westverschiebung der Sowjetischen Staatsgrenze und Polens zu Lasten der deutschen Ostgebiete nach dem Zweiten Weltkrieg. Zur in Potsdam beschlossenen Ausweisung der Deutschen aus dem neuen Polen, aus der Tschechoslowakei und Ungarn kam die Umsiedlung der Polen aus den nun sowjetisch gewordenen in die vormals deutschen Gebiete wie beispielsweise Schlesien. Die Sowjetunion installierte nun ihrerseits Vasallenstaaten an ihren Grenzen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Diese sogenannte Ostblock war militärisch im "Warschauer Pakt" und wirtschaftlich im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe" (RGW, im Westen COMECON genannt als Kürzel für Council for Mutual Economic Assistance) gleichgeschaltet.

Der Bevölkerungsaustausch in der Nachkriegszeit in Niederschlesien, zu dem die Vertreibung der Deutschen (Zeitzeuge Ingo Andratschke im Gespräch mit Thomas und Jörg Beier über das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen in Österreichisch-Schlesien, Vertreibung und neue Heimat; Quelle: Projekt HEYMAT – Was ist das?) gehörte, steht im Fokus einer Fotoausstellung, die nun in der Görlitzer Galerie Brüderstraße nach der coronabedingten Schließung wieder zu sehen ist. Diese Ausstellung veranlasst erneut, über die kulturellen und die in der Landschaft sichtbaren Folgen dieses Prozesses nachzudenken. Wer auf Spurensuche geht stößt beispielsweise darauf, dass der neue polnische Staat in ehemals deutschen Niederschlesien zuerst gut erhaltene Gebäude abreißen ließ, um Baumaterial für den Wiederaufbau von Warschau zu gewinnen – wohl aus Angst, diese völkerrechtlich nur unter seiner Verwaltung stehenden Gebiete wieder verlassen zu müssen.

Die Bilder der Ausstellung "Unheimisch / Nieswojość" mit Fotografien von Agata Pankiewicz und Marcin Przybyłko sprechen das schwierige, in Polen intensiv diskutiertes Thema des Bevölkerungsaustauschs an – ein Diskurs, der in dieser Form erst jetzt in der Enkel- und Urenkelgeneration der ersten polnischen Siedler möglich ist. "Der Diskurs ist zwar ein polnisches Phänomen, aber auch aus der deutschen Perspektive interessant und aufschlussreich. Es handelt sich ja um die ehemals deutschen Gebiete und um den Umgang mit dem deutschen Kultur- und Architekturerbe. Das große Publikumsinteresse bereits zur Eröffnung der Ausstellung sowie kontroverse Diskussionen über das ihr zugrunde liegende, gleichnamige Buch, stellen eindrucksvoll einen großen Bedarf an weiterer Aufarbeitung und Vermittlung des Themas in Polen und Deutschland unter Beweis", schreibt dazu Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz.

Die Ausstellung wird vom Kulturreferat am Schlesischen Museum zu Görlitz in Kooperation mit der Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH organisiert.

Prädikat: Unbedingt ansehen!
Bis zum 30. Juni 2020, montags bis freitags von 11 bis 18 Uhr, sonnabends von 13 bis 18 Uhr,
Galerie Brüderstraße, Brüderstraße 9, 02826 Görlitz.

Der Eintritt ist frei. In der Galerie gelten die üblichen Hygiene- und Verhaltensregeln zur Vorbeugung von Infektionen (Mund-Nase-Abdeckung, Mindestabstand).

Mehr zum 8. Mai als Tag der Befreiung:
Zittauer Anzeiger vom 7. Mai 2020: Erinnerung und Aussöhnung – auch das ist Europa

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  • Quelle: red | Foto: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 08.05.2020 - 10:17Uhr | Zuletzt geändert am 08.05.2020 - 11:50Uhr
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