Träume, gewesen, Träume, gelesen

Träume, gewesen, Träume, gelesenGörlitz | Schwarzenberg | München, 15. November 2013. Von Thomas Beier. Das hat er sich als Einstieg in seine Lesung vom 10. November schlau ausgedacht, der alte Fuchs und Münchener Publizist Hanjo Seißler: Einleitend eine sanfte Massage der Ossi-Seele mit seinem Bericht vom Besuch auf der Wartburg bei Eisenach im Jahr 1990, gesehen mit den Augen Martin Luthers, inklusive Schelte an den Ostland-Raubrittern und -Kolonialisten. Gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist im Atelier des Schwarzenberger Holzbildhauers und Galeristen Jörg Beier unter dem Thema “Träume, Freund, enttäuschen nie” (Erich Mühsam) eine Begleitveranstaltung zur Ausstellung “Archiv der verlorenen Träume”, die in der Schwarzenberger Galerie Silberstein gezeigt wird, über die Bühne gegangen.

Jörg Beier (links) und Hanjo Seißler
Foto: © BeierMedia.de
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Eine links, eine rechts, eine Ost, eine West

Eine links, eine rechts, eine Ost, eine West
Der gebürtige Hamburger Hanjo Seißler lebt in München: "Auf dem Viktualienmarkt lernen sie jetzt Tschüss!' sagen!"
Foto: © BeierMedia.de

Den Rahmen für den literarisch-musikalischen Nachmittag bot die nahezu voll besetzte Jugendstil-Turnhalle auf dem Schwarzenberger Ottenstein. Entrückt in eine etwas andere Welt verfolgte das Publikum Seißlers recht persönliche geprägte Lesung.

Wie auch anders. Geschichte macht immer persönlich betroffen, so auch bei Hanjo Seißler. Der frühere evangelische Pastor wurde als Journalist zum DDR-Kenner, der schon vor 1990 immer wieder einreiste - weil er seine Ohrfeigen nicht nur in Richtung Ost, sondern gern auch in Richtung West austeilte, von der SED geduldet.

Erzgebirge: Die Menschen

Sein coming out als Erzgebirgs-Fan hatte Seißler 1990, als er die ehemalige Amtshauptmannschaft Schwarzenberg auf den Spuren der unbesetzten Zone, die hier nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war, bereiste. ”Ja, die Landschaft ist schön - aber ich habe die Menschen, die Erzgebirger, zu lieben gelernt”, bekundet Seißler heute.

Die hatten ihr größtes Faustpfand, die unter Eigenregie realisierte Entmachtung der Nazis, nahezu vergessen: “Da müssen Sie den Korb, Paul, und den Beier, Jörg, fragen”, sagten sie ihm Anfang der Neunziger - was der Seißler, Hanjo, prompt machte.

“Nach der Lektüre von Stefan Heims Roman ‘Schwarzenberg’ meinte ich, Paul Korb müsse zweieinhalb Meter groß und anderthalb Meter tief sein”, fasst sich Hanjo Seißler an den Kopf. Ganz anders: Der kommunistische Widerstandskämpfer (1904 bis 2002) war ein kleiner, drahtiger, fast schmächtiger Mann. Er gehörte zur aus fünf Männern und einer Frau bestehenden Runde, die am 11. Mai 1945 in Ermangelung von Siegern beschlossen, die Macht in der noch immer nationalsozialistisch verwalteten unbesetzten Zone, die etwa der Amtshauptmannschaft Schwarzenberg entsprach, zu übernehmen. In 21 Orten bildeten sich antifaschistische Aktionsausschüsse.

Eine unliebsame Geschichte?

Hätte sich Jörg Beier nicht mit seiner “Kunst & Kneipe Zur Freien Republik Schwarzenberg” des Themas angenommen, es wäre wohl wieder vergessen - so unangenehm, wie die Möglichkeit einer Alternative zwischen den Machtblöcken war, so unangenehm ist heute der Gedanke, dass Bürger, darunter Kommunisten, der Not gehorchend ein Gemeinwesen auf Vernunft und basisdemokratischem Gerüst aufbauen, ganz ohne Parteiapparate mit ihren etablierten Netzwerken.

Die “Freie Republik Schwarzenberg” ist schon immer ein Traum gewesen. Auf dem geschichtlichen Fakt steht ad acta, die Deckel sind geschlossen - doch Künstler Beier macht sich den Abstand der Zeit zu nutze, um das Thema weiter zu spinnen.

Für Hanjo Seißler, Theologe, freier Journalist, Publizist, TV-Talkmaster, ist das Phänomen Schwarzenberg eine faszinierende, eine wichtige Welt, an der sich die Realität messen lassen muss. Die heutige Gesellschaft, die der sozialen Prosperität für all ihre Mitglieder abgeschworen hat, braucht neue Leitbilder. Und die bedürfen der Träume der Menschen.

Eine anderthalbe Stunde liest Seißler über Träume, von Büchern auf dem kleinen Bühnentisch umgeben, Eigenes und von Freunden Geschriebenes. Ihm ist, als ob die Zeit verfliegt.

Den Nachmittag beschließt die Band “The Flame” mit orientalisch gefärbtem Melody-Rock vom neuen Album “Bosporus”.

Und dann: Görlitz

Für 2014 haben Hanjo Seißler und Jörg Beier einen Besuch in Görlitz zugesagt. Der Görlitzer Anzeiger wird rechtzeitig einladen. Auch Randy Braumann und Freunde.



Weitere Bilder:
Haltepunkt Erzgebirge: Hanjo Seißler hat von den Träumen gelesen


Gehen Sie auf Spurensuche!
Zum Beispiel im Görlitzer Anzeiger vom 30. Oktober 2013:
Hanjo Seißler liest, The Flame spielt

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: BeierMedia.de
  • Erstellt am 15.11.2013 - 08:33Uhr | Zuletzt geändert am 06.04.2020 - 17:08Uhr
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