Görlitz im Wettbewerb

Görlitz im WettbewerbGörlitz, 19. März 2010. Zurzeit benehmen sich die beiden Stadtteile der Europastadt Görlitz-Zgorzelec nicht als gemeinsames Ganzes: Zumindest im Görlitzer Einzelhandel herrscht Zickenalarm, ausgelöst durch die Eröffnung des "Zgorzelec Plaza". Als ob man den Bau nicht hätte seit Monaten wachsen sehen. Teile eine Gruppe von Menschen - wie die Bewohner der Europastadt Görlitz-Zgorzelec - in zwei Gruppen auf, und schon zwingt das instinktive Säugetierverhalten beide Menschengruppen in den Wettbewerb, so wie die Bewohner von Görlitz und Zgorzelec. Was die Handelsmacht betrifft, sammelt Zgorzelec Punkt für Punkt, während in Görlitz sogar ein ganzes Kaufhaus in bester Lage leer steht.

Abb. oben: Tankstelle und Einkaufszentrum, vorrangig dafür kommen die Görlitzer in den polnischen Teil der Europastadt
Archivbild: © BeierMedia.de
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Die Wettbewerbsbedingungen sind fair

Die Wettbewerbsbedingungen sind fair
Die entstehende Galeria Słowiańska im Februar 2008 – heute eines der erfolgreichen Handelszentren in polnischen Teil der Europastadt Görlitz-Zgorzelec
Archivbild: © BeierMedia.de

Eigentlich müsste der Görlitzer Einzelhandel die polnische Konkurrenz locker wegstecken. Die Preise sind in vielen Sortimenten längst angeglichen, im Gegenteil, viele Waren, besonders Markenartikel, sind in Polen deutlich teurer als im deutschen Teil der gespaltenen Stadt. Die Mehrwertsteuer in Polen beträgt bis zu 22 Prozent.

Es muss also etwas anderes als der – vielleicht nur gefühlte – Preisvorteil sein, das die Kunden zu Real, Carréfour, Merlin, Castorama und nun sicherlich auch ins Zgorzelec Plaza strömen lässt.

Ein Kunde berichtet

Zur Analyse der zusammengefasste Bericht eines Einwohners aus dem Landkreis Görlitz (der Name ist der Redaktion bekannt), der zur Erledigung von Besorgungen in der Görlitzer Innenstadt weilte (überarbeitet, bei Wahrung der Fakten):

Zuerst gings ins City Center zu einem Elektronikhändler. Meinen Einkauf von etwas mehr als neun Euro wollte ich mit der EC-Karte bezahlen, doch an der Kasse wurde ich durch ein improvisiertes Schuld darauf hingewiesen: "EC-Karten Zahlung erst ab 10,01 Euro!!!" Auf meine Bemerkung, dass das schade ist, und auf meine Frage, warum das so sei, antwortete die Dame an der Kasse leicht gereizt: "Weil der PIN dann nicht geht!" – Ach so. Versch... kann ich mich selber.

Na gut, weiter zum Zeitschriften- und Zigarrenhändler. Die Verkäuferin war in ein Privatgespräch mit einem jungen Mann vertieft, der auch sehr nett schließlich etwas Platz machte, als ich versuchte, mich durchzuschieben. Doch dann wurde mein weiteres Vordringen gestoppt, weil in der Ecke eine beleibte junge Dame offenbar als nächte Schwatzpartnerin wartete. Nun, ich wollte nicht weiter stören, nix gekauft.

Also raus aus dem City Center und weiter nach links, immer an der Wand entlang. Gar nicht weit, im Erdgeschoss der Filiale einer großen Bekleidungshauskette, wurde ich gleich mehrfach fündig und ging zur Kasse. Allerdings blieb ich dort allein. Eine Frau vom Personal hängte Waren auf einen Ständer, sah mich kurz an und machte weiter. Vielleicht darf sie nicht an die Kasse, dachte ich. Dann entdeckte ich eine Klingel auf dem Verkaufstresen und klingelte - nach endlosen Minuten kam die Dame vom Kleiderständer und begann, gruß- und wortlos meine Waren in die Kasse zu scannen. Dann kam eine Kollegin hinzu, beide begrüßten sich auf das herzlichste, machten sich auf Fehler beim Einscannen aufmerksam – ich war anscheinend gerade unsichtbar und war für die Verkäuferinnen erst wieder zu erblicken, als es ans Bezahlen ging. Dazu braucht man den Kunden ja leider noch. Ein "Guten Tag!", "Danke für Ihren Einkauf!" oder "Beehren Sie uns bald wieder!" waren jedenfalls nicht mit drin.

Zum Schluss ging ich zu dem Kreditinstitut, das meint, hier die Bank zu sein. Jedenfalls ist es die einzige Bank, bei der ich für das Ausdrucken von Kontoauszügen extra eine Extragebühr aufgebrummt bekomme.

Unterm Strich fühle mich viermal abgewatscht bei nur einer Einkaufstour in der Görlitzer Innenstandt.


Soweit der Bericht. Ja, gewiss doch, viele andere Händler und Angestellte sind freundlich und beflissen, doch entscheidend ist und bleibt die Wahrnehmung durch den einzelnen Kunden. Da reicht es eben, einmal kurz vor Ladenschluss den Wischhader um die Füße geschleudert zu bekommen, um zukünftig auf einen solchen Bummel zu verzichten. Das Negative wird erinnert und überstrahlt die positiven Erlebnisse.

Ich freue mich jedenfalls immer wieder auf die freundlichen und gut angezogenen Verkäuferinnen und Verkäufer in Zgorzelec, denen ihr Geschäft sichtlich Spaß macht - nein, das heißt nicht, dass es diese nicht auch in Görlitz gibt!.

Der Wettbewerb läuft nicht nur über den Preis

Und dennoch: Genau hier setzt der Wettbewerb an: Ein Lächeln, die Fähigkeit, binnen Sekunden eine Beziehung zum Kunden aufzubauen, Engagement erkennen lassen, positive Erlebnisse vermitteln. Hinzu kommt, dass das Warensortiment in Polen auch mal andere Artikel, andere Marken bietet, die zu entdecken den Kunden ganz schlicht und einfach Spaß macht.

Als der japanische Unternehmensberater Minoru Tominaga auf der Frankfurter Zeil eine Verkäuferin aufforderte, doch etwas zu lächeln, antwortete diese, dass sie doch keine Prostituierte sei. Merke: In Deutschland darf ein Arbeitgeber sein Personal nicht verpflichten, bei der Arbeit zu Lächeln.

Aber Kunden gehen eben dahin, wo der Einkauf Spaß macht,

jedenfalls Ihr Fritz R. Stänker

Mehr:
Knapp zehn Jahre später wird immer öfter online eingekauft

Ergebnis: Mein liebster Einkaufsort ist

Bautzen (26.5%)
 
Breslau (Wrocław) (2.2%)
 
Dresden (9.4%)
 
Görlitz (27.8%)
 
Hirschberg (Jelenia Góra) (0.6%)
 
Reichenberg (Liberec) (2.4%)
 
Weißwasser (1.1%)
 
Zgorzelec (22.4%)
 
Zittau (2%)
 
woanders (5.5%)
 
Nichtrepräsentative Umfrage
Umfrage seit dem 22.03.2010
Teilnahme: 637 Stimmen
Kommentare Lesermeinungen (6)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Kundenfreundlichkeit

Von X am 22.04.2010 - 13:36Uhr
Hi, meines Erachtens laesst die Kunderfreundlichkeit teilweise sehr zu wünschen übrig. Der Kunde sollte der König sein, d.h. Freundlichkeit, Zuvorkommen und eine gute Beratung.

Ich möchte gerne Internet für daheim bekommen und auf eigener Nachfrage bei (..., Bautzen) wünschte ich mir ein Kundengespräch. Das einzige, was ich bekam, war ein Prospekt und der Mitarbeiter verschwand wieder. Manchmal sind auch die Verkäufer/innen sehr unfreundlich, lustlos. Dagegen

in Australien/ Asien ist die Kundenfreundlichkeit sehr gut und daran könnte/sollte man sich doch einmal ein Beispiel nehmen. Es ist eine Freude da shoppen zu gehen.

Umfrage Einkauf

Von Klaus Proft am 12.04.2010 - 17:59Uhr
Es ist einfach mal nötig den Görlitzer sogenannten Niederschlesiern zu sagen, dass der erweiterte Landkreis auch erwähnenswert ist, z.B wird unsere schöne Stadt vollkommen ignoriert bei solchen Umfragen.

Auch hier gibt es auch recht gute Einkaufsmöglicheiten, wenn auch im anderen Stil als der Lausitzer "Provinzstädte", wie Görlitz, Bautzen etc.

Seit wir nun in den Görlitzer Landkreis "eingetreten" wurden, worüber auch die Zittauer so denken, gehört es sich auch, dass die Regionen nach Westen und Süden im neuen Landkreis, also auch Löbau und Zittau und Umgebung, in den Görlitzer Medien mehr Beachtung finden sollten, und das nicht nur im Bereich des Handels, auch der Kultur, Gastronomie u.a.

Ein soches Verhalten ist m.E. gegenüber anderen Landkreisen im ganzen Deutschland sehr auffallend und merkwürdig. Die Leute in Görlitz möchten doch auch bitte mal über den "Tellerrand" schauen. Mich jedenfalls ärgert das immer wieder.

Trotzdem, mit frdl Gruß, ein Bürger aus der Großen Kreisstadt Löbau in der sächsichen Oberlausitz.

Servicewüste Görlitz?

Von Hermann Schwiebert am 22.03.2010 - 19:18Uhr
Ich kann mich meinen "Vorrednern" nur anschließen. Auch ich habe einschlägige Erfahrungen gemacht. Über zwei Beispiele habe ich in meinem Blog berichtet:
http://www.hermann-schwiebert.de/goerlitz/allgemeines/2010/europastadt-goerlitz-zgorzelec/

Aber: Es scheint sich aber um ein Generationsproblem zu handeln. Im Gegensatz zu der älteren Generation erlebe ich die jungen Menschen als sehr serviceorientiert, wendig, freundlich, aufmerksam und höflich.

Görlitzer Gastro-Erlebnisse

Von Jens P. am 21.03.2010 - 22:39Uhr
Dem Kundenbericht kann ich gut folgen. Heute ist mir ähnliches passiert. Wir wollten nur in Familie, zu viert, in der Görlitzer Altstadt einen Eisbecher essen gehen.

Café Nr. 1 - in allerbester Lage - hat ganz einfach zu. Hinter der Tür ist das Möbel gestapelt - das Gegenteil einer Einladung.

In Café Nr. 2 wurden uns als Auswahl nur zwei richtig teure "Bio"-Eisbecher angeboten. Darauf waren wir nicht aus.

Beim Café-Versuch Nr. 3 wurde uns erläutert, dass es in italienischen Cafés generell kein Eis gibt. Man könne ja zwei Kugeln machen. Auch, wenn die Erläuterung freundlich erfolgte, ist das doch keine Kundenfreundlichkeit. Wer zwei Eiskugeln machen kann, wer hindert den, mit etwas Schlagsahne, Schokostreusel und Likör einen Eisbecher zu kreieren?

Also weiter zu Nr. 4, einem richtigen Italiener. Der öffnet erst 18 Uhr, und Sonntags überhaupt erst im April.

Anlaufpunkt Nr. 5 eine Gaststätte, in der sich das Personal zum Plausch an einem Gästetisch versammelt hatte, während der Öffnungszeit, versteht sich. Gäste waren keine da. Uns wurde erklärt, dass es wegen der Lagerkapazitäten Eis erst im Sommer gibt. Aha. Aufstehen, um mit dem Gast zu reden, war auch nicht drin. Aber freundlich.

Was nun? Mal in Polen gucken, wie die Eisbecher dort aussehen. Kurz vorm ehemaligen Grenzübergang die Idee: Im Stadtpark gibt es doch auch ein Café... und siehe: Eine schöne Eiskarte, freundliche Bedienung, gemütliche Einrichtung, Raucherzimmer.

Nein, wir sind keine Kunden jener Sorte, denen es keiner recht machen kann. Zur Erinnerung: Es ging ganz einfach um einen Eisbecher.

Unterm Strich hat das im Stadtpark gelegene "Café Parkhäuschen" die Ehre der Görlitzer Gastronomie gerettet. Es ist meine ausdrückliche Empfehlung für einen Cafébesuch in Görlitz.

Grenzen in den Köpfen

Von Ernst am 20.03.2010 - 14:03Uhr
Wie die in der örtlichen Presse nachzulesenden Reaktionen zeigen, hält sich die Grenze in den Köpfen auch mancher Händler länger als gedacht. Dass es solche Effekte gibt, wissen wir spätestens seit dem Fall der Berliner Mauer.

Der in einem historisch gewachsenem Stadtzentrum wie in Görlitz angesiedelte Einzelhandel hat es schon aus baulicher Sicht schwer, nicht umsonst entstehen Hypermärkte und Kaufhausgalerien, wo sich kleinere Einzelhändler, Handelsketten und Warenhäuser unter einem Dach vereinen und Kundenströme anlocken. Dass Zgorzelec auf solche modernen Handelsformen setzt, ist doch völlig normal.

Der Görlitzer Einzelhandel muss also intelligente Vorgehensweisen entwickeln, wie er Kaufkraft in die historische Stadt und ihr Zentrum holt. Soweit ersichtlich, war alles, was bislang an Marketing in die Wege geleitet wurde, entweder nicht nachhaltig oder gleich unwirksam. Nicht abgucken, was andere machen, sondern selbst innovative Ideen realisieren, muss die Devise sein!

Eine hätte ich da schon mal...

Jetzt bin ich aber erstmal gespannt, ob die Betroffenen selbst es überhaupt nötig haben, hier mitzudiskutieren.

Europastadt Görlitz-Zgorzelec

Von Sylvia am 20.03.2010 - 12:41Uhr
Über das derzeitige Wehklagen über die wirtschaftliche Entwicklung in Zgorzelec kann ich nur schmunzeln. Haben wir die Europastadt nur proklamiert oder wollen wir Sie erleben?

Fakt ist, mein Geld setze ich dort um, wo auch der Service und die Auswahl entsprechend sind. So kann Einkaufen für die ganze Familie zum Erlebnis werden. Wir freuen uns defibtiv über die Eröffnung des Plaza in Zgorzelec.

Ebenso ist die Multifunktionshalle noch nicht vom Tisch, ebenso nimmt die Sanierung des Amphitheaters (Freilichtbühne) am Dom Kultury mit immerhin ca. 3.000 Sitzplätzen konkrete Formen an.

Bin gespannt, ob beide Locations noch vor der Stadthalle öffnen werden.

Wichtig ist doch, dass überhaupt etwas geht. Kommunikation und Kooperation sollten (wieder) selbstverständlich werden und der Wille, gemeinsam die Europastadt zu gestalten.

Befürworter dafür sind sicher zahlreicher vorhanden als Nörgler. Vor allem unter den BewohnerInnen und auch Ihren Gästen.

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  • Quelle: Fritz Rudolph Stänker | Fotos: © BeierMedia.de
  • Erstellt am 19.03.2010 - 17:39Uhr | Zuletzt geändert am 30.12.2022 - 10:50Uhr
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