Unterschiedliche Immobilienbewertung in Ost und West?

Görlitz | Münster, 1. Dezember 2018. Von Thomas Beier. Spricht man mit Experten aus dem deutschen Südosten und aus dem Nordwesten über den Wert von Immobilien, treten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Tage. Der Görlitzer Anzeiger hat sich bei Fachleuten aus Ostsachsen und aus dem Münsterland erkundigt.
Abbildung: Nicht typisch für die Region, aber noch vorhanden ist dieses verlassene Haus bei Görlitz

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Lage und Zustand bestimmen den Preis

Eigentlich ist alles klar: Der Verkehrswert einer Immobilie wird nach § 194 des Baugesetzbuches ermittelt bzw. im freien Markt orientiert. Doch wer Haus und Grundstück aus unterschiedlichsten Anlässen wie

  • Erbregelungen
  • steuerlichen Erwägungen
  • Verkauf oder Kauf aus Altersgründen
  • Heirat oder Scheidung
  • Beleihung zwecks Kreditaufnahme
  • Verrentung
  • Mietwertermittlung oder
  • Zwangsversteigerung
bewerten lassen möchte, sollte sich über die Grundlagen des Bewertungsverfahrens Klarheit verschaffen, um Euphorie und damit verbundene Enttäuschungen zu vermeiden. Der nach diesem Paragrafen ermittelte Wert bildet nur in öffentlichen Verfahren – wie eben einer Zwangsversteigerung oder gerichtsanhängigen Erbstreitigkeiten – eine objekte Basis, beim Privatverkauf hingegen bestimmt letztlich der Käufer durch seine Zahlungsbereitschaft den Marktwert.

So stehen bei der Wertermittlung unterschiedliche Aspekte im Fokus:
  • der Vergleichswert, der sich an ähnlichen Objekten orientiert,
  • der Ertragswert, der mögliche Mieteinnahmen in den Mittelpunkt stellt, und
  • der Sachwert, der vor allem nach den Bauaufwendungen bzw. dem Bauwerk an sich und dem Bodenwert fragt.

Damit sind die Bewertungsgrundlagen in den ost- und den westdeutschen Bundesländern grundlegend die selben – dennoch gibt es Unterschiede.

So finden sich in westdeutschen Städten durchaus andere Rahmenbedingungen als im Osten. Das bestätigt auch der Finanzconsultant Rolf Domke, ausgezeichnet als "Top Immobilienmakler 2018/2919" vom Deutschen Institut für Qualitätsstandards und -prüfung e.V., der in Markersdorf bei Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands, zu Hause ist: "Neben den seit 1990 entstandenen Objekten findet sich in unserer Region eine enorme Altbausubstanz in unterschiedlichsten Qualitäten, von abrissreif bis topsaniert. Der Renditeaspekt jedoch, der für Investoren interessant ist, steht gerade bei kleineren Gebäuden nicht im Vordergrund." Folge: Wer in die Oberlausitz ziehen möchte, findet hier durchaus äußerst günstige Objekte. Die Probleme des ländlichen Raums, vor allem der Wegzug der Jüngeren, machen im äußersten Osten Sachsens eine ertragreiche Verwertung von Immobilien immer wieder schwierig. Anders bei vermieteten Objekten: "Wer Geld anlegen und mit einem Mietobjekt eine gute Rendite erzielen möchte, sollte sich unbedingt beraten lassen, der Markt in der Oberlausitz stellt sich manchmal schon von Ortsteil zu Ortsteil höchst unterschiedlich dar", gibt Makler Domke noch mit auf den Weg.

Anders läuft das offenbar in Regionen, in denen sich seit Gründung der Bundesrepublik der Immobilienmarkt ohne große Brüche entwickelt hat. Wenn Heinrich Hübinger, Inhaber des Sachverständigenbüros Hübinger und zertifizierter Immobiliengutachter nach DIAZert für die Marktwertermittlung im nordrhein-westfälischen Münster, gerufen wird, findet er in aller Regel einen sanierten oder eher jungen Gebäudebestand vor. "Gepflegte Immobilien haben immer einen Wertsteigerungseffekt", so der erfahrene Immobilien-Fachmann. Gerade das aber bedinge bei der Bewertung und Wertermittlung von Immobilien in Münster wie anderswo große Sorgfalt, für die neben aktuellem Fachwissen vor allem eben umfassende Erfahrung nötig sei.

Hübinger verweist zudem auf die Verantwortung des Gutachters: "Immobilien sind einerseits eine komplexe, andererseits eine höchst individuelle Angelegenheit." Entsprechend fertigt er Gutachten nicht nur für Private, sondern auch für Gerichte und die Finanzbehörden an. Typische Anlässe sind Erbschaften, aber auch Eheangelegenheiten, Insolvenzen oder beispielsweise die Ermittlung des Mietwertes spielen eine Rolle. Wer einen Kredit aufnehmen und mit einer Immobilie besichern möchte, muss oft den Beleihungswert per externem Gutachten nachweisen, Versicherungen hingegen verlangen immer wieder die neutrale Bewertung des Versicherungswertes. "Meine Wertermittlungen, Gutachten und Beratungen haben direkte Auswirkungen auf das Vermögen und die Kosten von Immobilieneigentümern", unterstreicht der zur Neutralität und Objektivität verpflichtete Sachverständige und verweist auf die Internetseite, auf der all seine Beratungs- und Bewertungsleistungen rund um Immobilien zusammengefasst sind. Und noch ein Hinweis ist ihm wichtig: "Heute geht man bei Behörden etc. von einer Gleichstellung des öffentlich bestellten und des nach DIN EN ISO/IEC 17024 zertifizierten Sachverständigen aus."

Fazit: Unterschiedliche Märkte in Substanz und Nachfrage

Die Werthaltigkeit einer Immobilie – also der Substanz- und der Ertragswert – begründet sich offenbar in Regionen, die im Zweiten Weltkrieg stärker zerstört und wieder aufgebaut wurden, anders als in der Oberlausitz im äußersten Osten Sachsens, der vom Luftkrieg weitgehend verschont blieb und daher einen hohen Bestand als Altbausubstanz aufzuweisen hat. Diese Altbauten wurden währen der "DDR"-Zeit im wahrsten Sinne des Wortes heruntergewirtschaftet, aber Dank steuerlicher Förderung seit 1990 zu großen Teilen saniert. Wirtschaftlich ging das nicht immer auf: Allein im städtebaulich viel bewunderten und insgesamt hervorragend sanierten Görlitz stehen angeblich bis zu 6.000 Wohnungen leer, was die Sanierung weiterer Objekte ins Stocken geraten lässt. Auch wenn sich die Einwohnerzahl stabilisiert hat, sind in Görlitz wie anderenorts in der Oberlausitz der Aderlass der Abwanderung und der demografische Wandel am Wohnungsmarkt deutlich zu spüren. Allerdings: In den sanierten Mietshäusern wurden die Gründerzeitwohnungen oft geteilt, um sie leichter vermietbar zu machen; im Gegenzug herrscht nun in der Neißestadt ein Mangel an großen Wohnungen ab vier Zimmern.

"Letztendlich aber", so merkt Finanzconsultant Domke an, "bestimmt immer die Nachfrage den Preis." Und die Nachfrage ist im ländlichen Raum Sachsens wie geschildert deutlich geringer als in mittleren und großen Städten, in denen der Wohnraum längst knapp ist. Allerdings verzeichnet Domke aktuell eine Sonderkonjunktur: "Hier im östlichen Immobilienmarkt treibt eine rege Nachfrage von Heimkehrern die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser immer mehr in die Höhe und hat den entsprechenden Markt nahezu leergefegt."

Auch im Münsterland ist die Nachfrage entscheidend für den erzielbaren Immobilienpreis. Einen großen Einfluss hat durchaus die alte Maklerweisheit, die auf die drei wichtigsten Eigenschaften einer Immobilie verweist: "Lage, Lage und nochmals Lage!"

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 30.11.2018 - 19:11Uhr | Zuletzt geändert am 30.11.2018 - 19:32Uhr
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