Neuer Görlitzer Weihnachtsmarkt mit Chancen und Risiken
Görlitz, 6. Juli 2020. Ein schön gedeckter Tisch, mit passender Tischecke selbstverständlich, wartet auf seine Gäste. Doch nun kündigen sich mehr an. Flugs wird mehr Geschirr herangeschafft und es wird ein größerer Tisch eingedeckt. Dumm nur, dass die Tischdecke nun nicht mehr ausreicht. Mit diesem, zugegeben etwas hinkenden Gleichnis könnte man die Sorge der Görlitzer Stadtratsfraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne angesichts eines möglichen neuen Weihnachtsmarkts am Postplatz beschreiben.
Stadtrat soll debattieren
Tatsächlich hinkt der Vergleich, denn es geht nicht um die Tischdecke, sondern um die Zahl der Gäste. Doch diese sollen ja erst, um noch einmal bei diesem Bild zu bleiben, durch den prall gedeckten Tisch angelockt werden. Selbst wenn die von der stadteigenen Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH unlängst vorgestellten, weit fortgeschrittenen Überlegungen zu einem "Weihnachtsmarkt am Postplatz" aufgehen, steht die Frage nach dem woher: Sind es neben den Einwohnern zusätzliche Besucher, die nach Görlitz kommen, oder verzichtet mancher dann auf den zwar schönen, aber gewohnten Schlesischen Christkindelmarkt? Dazu sagte der Fraktionsvorsitzende Mike Altmann (parteilos): "In keinem Fall dürfen wir mit einem neuen Angebot den Erfolg des Christkindelmarktes gefährden."
In diesem Zusammenhang fragte Altmann: "Wie sinnvoll ist es überhaupt, noch in diesem Jahr einen weiteren Markt zu etablieren? Ist es nicht klüger, den Christkindelmarkt zeitlich und auch räumlich zu verlängern?" und meinte: "Wir brauchen einen Lückenschluss zwischen Eislaufbahn und Untermarkt." Fraglich sei für die Motor Görlitz/Bündnisgrüne-Fraktion auch der konkrete Bedarf im Dezember. Hier wünscht sich die Fraktion, dass die Innenstadthändler einbezogen werden, verdeutlicht die Ko-Vorsitzende Dr. Jana Krauß (Bündnisgrüne): "Es ist prima, dass der städtische Kulturservice die Händler unterstützen möchte. Aber es wäre gut, wenn man vorher mit ihnen spricht und sie nicht vor vollendete Tatsachen stellt."
Die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne hat nun den Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) gebeten, der Stadtrat möge sich noch vor der Sommerpause mit dem geplanten Weihnachtsmarkt am Postplatz beschäftigen. Insbesondere sollen Chancen und Risiken abgewogen werden. "Um zu einer fundierten Entscheidung zu kommen, braucht es außerdem eine transparente Finanzplanung und die fachliche Stellungnahme der für Tourismus und Wirtschaftsförderung zuständigen Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH", so Dr. Krauß, "Dies alles wäre im Rahmen einer Stadtratsdebatte möglich".
Hintergrund:
Die Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH hatte die Pläne für den Weihnachtsmarkt am Postplatz Mitte Juni vor Pressevertretern vorgestellt. Weitere Eckdaten bis hin zu den Öffnungszeiten sind in einer weiteren Pressekonferenz am 2. Juli 2020 bekanntgegeben worden. Der für Kultur zuständige Bürgermeister Dr. Michael Wieler (Bürger für Görlitz) hatte auf Anfrage im Stadtrat erklärt, er sehe keinen Grund, dass sich der Stadtrat mit dem Thema befassen solle. Wenn der Wunsch bestehe, sei das aber möglich. Diesen Wunsch hat die Fraktion Motor Görlitz/Bündnisgrüne mit ihrer Bitte an Oberbürgermeister Ursu jetzt offiziell geäußert.
Kommentar:
Die Etablierung eines weiteren Weihnachtsmarktes in Görlitz ist zweifelsohne eine unternehmerische Entscheidung. Wie immer bei unternehmerischen Entscheidungen muss man schauen, wer sein Kapital und seinen Kopf dafür hinhält. Bei Gesellschaften, wie sie von Landkreis- und Stadtverwaltungen gern gegründet werden – durchaus auch, um Handlungsfreiheit ohne die immer wieder mal lästigen Räte und Verwaltungsstrukturen zu gewinnen – kommt zumindest das eingesetzte Spielgeld nicht vom privaten Konto. Deshalb dürfte es der Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH (GKSG) nur recht sein, wenn der Stadtrat den Weihnachtsmarkt am Postplatz diskutiert und sich positioniert: Gibt er seinen Segen, ist klebt Risiko des Misserfolgs nicht an der GKSG allein, einen Erfolg aber kann sie dennoch für sich verbuchen. Sind jedoch die Vorbehalte der Räte groß, muss die GKSG neu abwägen.
Allerdings ist es immer einfacher, die Haare in der Suppe zu finden als die Suppe zu kochen. Zur Stunde ist das Projekt eines Weihnachtsmarktes, der anders konzipiert ist als der Schlesische Christkindelmarkt, grundsätzlich positiv zu sehen: Teil des GKSG-Jobs ist es ja, Entwicklungspotenziale abzuklopfen und Chancen, Görlitz noch besser zu positionieren, beherzt aufzugreifen. Neben der regelmäßigen Nabelschau auf die Altstadt hat Görlitz weitere Potenziale, ein ganz wesentliches davon ist die Zeit zwischen Oberbürgermeister Richtsteig (Amtszeit 1866 bis 1871, übrigens ein Vorbild und eine Warnung für Politiker, die aus dem Amt in die Privatwirtschaft wechseln) und Oberbürgermeister Büchtemann (Amtszeit 1894 bis 1906). Es ist die Kernzeit der "zweiten Blüte" von Görlitz im preußischen Staat, in dieser Zeit wiederum herausragend die Gründerzeit.
Dies in einem Markt, der sich an die historischen Gewerbe-und Industrieausstellungen in Görlitz anlehnt, zu thematisieren, das ist reizvoll; selbst der nicht gerade weihnachtliche MINT-Pavillon passt zum Thema. Die Chancen liegen in neuen Zielgruppen für Görlitz und mehr Beteiligung der lokalen Gewerbetreibenden, die Risiken vermutlich weniger in der Kannibalisierung des Christkindelmarktes als vielmehr in der Zurückhaltung der Görlitzer Händlerschaft. Aber dieses Risiko sollte sich mit Gesprächen abklären lassen.
Offen bleibt die große Frage, wie das Konzept aufgeht und der neue Markt insgesamt von den Besuchern angenommen wird. Es gibt nichts spannenderes als Wirtschaft,
meint Ihr Thomas Beier
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- Quelle: red / Kommentar: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 06.07.2020 - 10:07Uhr | Zuletzt geändert am 06.07.2020 - 12:10Uhr
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