Lokalpresse "beleidigt Mitarbeiter der Verwaltung"
Görlitz. Der geniale Einstein beschrieb die Krümmung des Raums. Würde jemand das Bestreben der Stadtverwaltung, gleiches Recht für alle Bürger durchzusetzen, in die Nähe einer parteipolitischen Färbung rücken, käme das wohl einer Krümmung der Realität gleich. Eine "Beleidigung für die Mitarbeiter der Verwaltung" nennt das Görlitzer Rathaus einen Beitrag in einer Görlitzer Zeitungs-Lokalausgabe. Aus Sicht des Rathauses wird das Vorgehen gegen ungenehmigte Werbeplakate einem "unreflektierten Vergleich grundsätzlich verschiedener Sachverhalte" unterzogen. Die Stadtverwaltung fragt nun, ob der völlig unzulässige Schluss der "allgemeinen Unkenntnis des Verfassers zum betreffenden Themengebiet geschuldet bzw. aus Absicht so erfolgt ist".
Stadtverwaltung Görlitz zeigt sich befremdet
Die Görlitzer Stadtverwaltung hat mit Unmut Äußerungen im Görlitzer Lokalteil der Sächsischen Zeitung zum Thema Werbeplakate zur Kenntnis genommen. "Äußerst befremdlich ist die Einordnung des Geschehens in einen rechtsradikalen bzw. ausländerfeindlichen Hintergrund", wird mitgeteilt.
Worum geht es? Die "Görlitzer Nachrichten", fabriziert von der RuV Redaktions- und Verlagsgesellschaft Neiße mbH mit Sitz in Zittau (auch zuständig hinsichtlich der Anzeigen und Sonderveröffentlichungen im "Landkreis Journal", Amtsblatt des Landkreises Görlitz), erscheinen in der "Sächsischen Zeitung" und hatten sich am 29. November 2011 das Thema "Behörden verbieten Werbung" vorgenommen. Wie in diesem Blatt üblich übernahm einer der Autoren gleich auch selbst den Kommentar des Beitrags.
Im Artikel ist zu erfahren, wie einem Angelladen untersagt wurde, auch noch die Oberlichter seiner Schaufenster mit Werbung zu bekleben. Auch wird unter anderem geschildert, dass ein türkischer Imbissbetreiber ein seit Jahren stehendes beleuchtetes Reklameschild entfernen musste. Beanstandet wird im Beitrag ferner, dass an einer Altstadt-Kneipe mit einer "rechtsradikalen Vergangenheit" ein veraltetes Schild hängt, dass die Hausnummer verdeckt - hier entsteht der Eindruck, dass in diesem Fall nicht so konsequent durchgegriffen werde. Im Kommentar, der in der Rubrik "Auf ein Wort" erscheint, wird dann gefragt: "Ist das einfach ein Zufall? Oder liegt das an der politischen Einstellung von wem auch immer?"
Klarstellung der Görlitzer Stadtverwaltung
Die Stadtverwaltung stellt nun klar, dass die Sächsische Bauordnung zur Beantragung von Werbetafeln etc. - sei es für Bauten mit bzw. ohne denkmalpflegerischen Aspekt - klare Regeln aufstellt. "Durch den Artikel entstand der Eindruck, als handele es sich um eine besondere Aktion, die die Stadt momentan systematisch durchführt. Dem ist nicht so. Seit Jahren wird von Seiten der Stadt Fällen nachgegangen, bei denen nicht beantragte Werbung festgestellt wurde. In einem solchen Fall erhält der Betroffene ein Hinweisschreiben, wie zu verfahren ist. Dieses Schreiben ist nicht kostenpflichtig. Wird darauf allerdings nicht reagiert, dann ergeht ein entsprechender Bescheid", teilt die Stadtverwaltung Görlitz in einer Pressemitteilung mit.
Ihr Vorgehen erläutert die Verwaltung so: "Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass die Mitarbeiter keine permanente 'Inspektion' der Stadt durchführen können. Werden aber durch Mitarbeiter solche Fälle festgestellt bzw. durch Bürger oder Betroffene, die auf Gleichbehandlung drängen, Hinweise gegeben, dann muss und wird umgehend reagiert."
Stadtverwaltung Görlitz sucht gutes Verhältnis zur Presse
Aus Sicht der Stadt Görlitz ist es nicht vertretbar, dass derartige Artikel ohne eine Reaktion der Stadt auf eine Anfrage abzuwarten, erscheinen: "Die Pressevertreter der Sächsischen Zeitung wurden mehrfach darauf hingewiesen, dass nicht auf jede Anfrage unmittelbar am gleichen Tag geantwortet werden kann. Diese Thematik hätte - wie viele andere auch - in einer der folgenden Ausgaben - nach abgeschlossener Recherche - erscheinen können."
Kommentar:
Journalistische Freiheit meint doch nicht die Freiheit, sich einem Esel gleich vor jeden beliebigen Karren spannen zu lassen. Vielmehr geht es darum, unabhängig von vorherrschender Meinung nach bestem Wissen und Gewissen das mögliche Maß an Objektivität herzustellen.
Im konkreten Fall hätte dazu gehört, die Stellungnahme der Verwaltung anzuwarten. Freilich ist es populär, aus der Sicht von Betroffenen zu berichten. Freilich sehen Geschäftsleute nicht ein, Werbeaufkleber und -aufsteller zu entfernen. Doch eine Verwaltung ist - gottseidank - keine Überwachung. Bei Rechtsverstößen ist sie auf Hinweise und Auffälligkeiten angewiesen, um aktiv werden zu können. Und dann muss sie auch aktiv werden, ist doch logo.
Ein altes schief hängendes Schild als Indiz politischer Einstellung in Erwägung zu ziehen ist schon bissel weit hergeholt, oder?
Ihr Fritz R. Stänker hat so seine Zweifel.
Lokalpresse
Von Jens am 02.12.2011 - 16:32Uhr
Lieber Herr Stänker,
Sie haben vollkommen Recht, das ist alles kein Zufall.
In Görlitz hat man sich offenbar bereits daran gewöhnt, dass die kleine Lokalzeitung die Richtung vorgibt und das Recht auf "Wahrheit" für sich gepachtet hat.
Woandes nennt man das eine tendenziöse Berichterstattung oder Medienmanipulation. Andernorts würde die aufrechte und aufgeklärte Leserschaft sich solches verbitten und entsprechend reagieren.
Warum eigentlich nicht in Görlitz?
Stimmt
Von görzelec am 30.11.2011 - 13:49Uhr
Zu: "Anmerkung der Redaktion:
Die anderen politischen demokratisch fundierten Gruppierungen in der Stadt Görlitz sind herzlich eingeladen, uns ihre "Verkündigungsblätter" zur Veröffentlichung zuzusenden. Wir mögen Vielfalt!"
Stimme ich zu. Allerdings wäre es schön, wenn sich dazu hier im Leserforum eine rege Diskussion entspannen würde.
Andererseits - wir sind ja in Görlitz. Die dürfte sich also recht verlässlich einstellen. Fände ich gut.
Respekt
Von görzelec am 30.11.2011 - 13:18Uhr
Hallo Herr Stänker,
ich finde es ja gut, dass Ihr als zusätzliches Medium in Görlitz existiert. Die SZ braucht in dieser Stadt Konkurrenz bzw. eine sich parallel äußernde Stimme. Und das macht Ihr gut. Ich lese hier mit Gewinn und regelmäßig.
Trotzdem nehme ich die Kürze des Drahtes hin und wieder schon wahr, beispielsweise, wenn Ihr Monat für Monat wieder auf Dr. Geißlers kleines Verkündigungblatt hinweist. Habe ich aber kein Problem damit - Presse bewegt sich eben auch nicht im luftleeren Raum und wenn Ihr Euch aus welchen Gründen auch immer anderen aktuell politisch Verantwortlichen an der Spitze der Stadt näher fühlt als Herr Beutler, dann ist sowas natürlich nicht ganz aus dem Schreiben zu tilgen. Das ist einerseits schön und fair für Herrn Paulick und andererseits für eine Presselandschaft einer Stadt ganz normal. Man muss als Leser eben immer mitdenken. Dafür liest man ja auch Zeitung.
Zum Thema Respekt gegenüber der Verwaltung: Einzelnen Individuen zolle ich den ihnen grundsätzlich gebührenden Respekt jederzeit gern. Mein Respekt gegenüber ihrem Handeln als Verwaltung misst sich an eben diesem. Wer verwaltet, hat Macht über andere. Wie er diese ausübt, bemisst den Respekt, den ich ihm gegenüber als Verwaltungsperson aufzubringen bereit bin.
Das Görlitzer Rathaus ist in diesem Zusammenhang für mich persönlich ein weites Feld.
Anmerkung der Redaktion:
Die anderen politischen demokratisch fundierten Gruppierungen in der Stadt Görlitz sind herzlich eingeladen, uns ihre "Verkündigungsblätter" zur Veröffentlichung zuzusenden. Wir mögen Vielfalt!
Kurzer Draht
Von Fritz R. Stänker am 30.11.2011 - 13:01Uhr
Hallo görzelec,
"Da sind die Drähte wohl tatsächlich ziemlich kurz" ist als Schlussfolgerung nicht zutreffend. Exklusiv - kann ich allerdings nur vermuten - haben wir die Stellungnahme aus der Stadtverwaltung nicht.
Aber: Als permanent aktualisiertes Online-Medium können wir nun mal schneller sein als eine Print-Ausgabe, die naturgemäß frühestens am Folgetag eine Reaktion publizieren kann.
Diesen Geschwindigkeits-Vorteil möchten wir übrigens nicht zu sehr ausspielen - wir können und wollen keine Tageszeitung ersetzen - weder in der Quantität der Informationen noch in der Qualität. Im Gegenteil: Eine gute Tageszeitung mit Lokalbezug und ausgewogener Berichterstattung halten wir für sehr wichtig.
Ferner denke ich, dass man eine Verwaltung - die es naturgemäß nicht allen Bürgern Recht machen kann - mit grundsätzlichem Respekt behandeln sollte. Es ist sicherlich schwierig, seinen Job unter permanenter öffentlicher Kontrolle zu machen.
Presseberichterstattung in "Rathausnähe"
Von görzelec am 30.11.2011 - 12:39Uhr
Keiner wird wohl bestreiten wollen, dass in dieser Stadt das Verhältnis zwischen dem größten lokalen Nachrichtenblatt und "dem Rathaus" nachhaltig und irreparabel gestört ist. Mit guten Gründen auf beiden Seiten.
Und aus persönlicher Sicht muss ich auch sagen, dass ich die Pressearbeit der Stadtverwaltung immer wieder einmal als fragwürdig und bisweilen auch ungeschickt und stark verbesserungswürdig empfinde.
Ist man sich "im Rathaus" beispielsweise darüber im Klaren, was eine wirklich übelwollende Lokalredaktion aus dem Verhalten gegenüber dem Synagogen-Verein machen könnte? Und wie darauf wohl die überregionale Presse reagieren würde? Oder was beispielsweise der mehr als fragwürdige Verwaltungsstreit um das NPD-Gegen-Plakat zur letzten Kommunalwahl an journalistischem Potential zur Befragung der Sehstärke des linken wie rechten Auges einiger Verantwortungsträger geboten hätte? Man könnte auch sagen: Jede Verwaltung bekommt die Lokalberichterstattung, die sie verdient.
Übrigens finde ich es auch ein bisschen merkwürdig, die Entgegnung "des Rathauses" zu den Vorwürfen in der SZ als erstes exklusiv hier bei Euch zu lesen. Da sind die Drähte wohl tatsächlich ziemlich kurz.
Und ganz zum Ende noch Folgendes: Das "Anstoss" auf der Kränzelstraße ist nach wie vor und ungebrochen ein brauner Szenetreff. Wer´s nicht glauben mag, der gehe einfach mal zu einer X-beliebigen Fußballübertragung in einer kulturell gemischten, mehrprachigen Gruppe. Und dann verfolge er die Reaktionen der Jungs am Thresen mit ihren "88"-Shirts. Viel Spaß.
Sachverhalt dokumentiert
Von Engert Sven am 30.11.2011 - 11:51Uhr
Sehr geehrter Herr Ahrens,
zu diesem Thema muss ich Ihnen ehrlich gestehen, das ich eigentlich mit dem Beitrag der SZ nichts so richtiges Anfangen konnte. Erst heute durch den Anzeiger ist ja der Sachverhalt klar und verständlich dokumentiert worden - damit man am Ende auch weiß, worum es eigentlich geht.
Zur Berichterstattung der SZ kann ich eigentlich nur sagen, dass mir und auch anderen Lesern schon lange auffällt, dass man, wenn es um die Stadtverwaltung oder den Oberbürgermeister geht und bei politischen Themen, den Lesern durch eingeschobene Bemerkungen eine vorgefertigte Meinung präsentiert.
Dass die SZ mit Ihren Beiträgen versucht, bestimmte Personengruppen der Stadt Görlitz immer wieder in die rechte Ecke zu stellen, ist auch nicht so neu. Wenn man so etwas immer wieder lesen muss, glauben am Ende die Bürger daran. Im Görlitzer Anzeiger wird zumindest sachlicher berichtet als im Lokalteil Görlitz der Sächsichen Zeitung.
Journalist
„Ein leidenschaftlicher Journalist kann kaum einen Artikel schreiben, ohne im Unterbewusstsein die Wirklichkeit ändern zu wollen.“
Rudolf Augstein (*1923)
Mit freundlichen Grüßen
Engert Sven
Bitte um Verbesserungsvorschlag
Von Fritz R. Stänker am 30.11.2011 - 10:22Uhr
Ach, Herr Ahrens,
ich verstehe und halte Ihnen zu Gute, dass Sie sich als politisch verorteter Mensch nicht vor jeden Karren spannen lassen, den Ihren aber kräftig ziehen müssen.
Der "Görlitzer Anzeiger" versteht sich als Plattform für alle demokratischen Meinungen - nur scheint es mir paradox, wenn manche schweigen, aber in Bezug auf jene, die etwas zu sagen haben, "Hofberichterstattung" - ein garstig Wort - vorwerfen.
Aber wenn in Ihrer Wahrnehmung nun einmal der Eindruck einseitiger Berichterstattung entstanden ist, dann lassen Sie uns doch gemeinsam etwas dageben tun!
Vielleicht, um den Anfang zu machen, möchten Sie unseren Lesern erläutern, wie die Stadtverwaltung aus Ihrer Sicht mit ungenehmigter Werbung umgehen sollte und wie Die Linke Werbung als Instrument zur Konsumentenbeeinflussung insgesamt einordnet?
Lokalpresse "beleidigt Mitarbeiter der Verwaltung"
Von Thorsten Ahrens am 30.11.2011 - 05:57Uhr
Werter Görlitzer Anzeiger,
lieber Herr Stänker,
da haben Sie ja mal wieder ihrem Ruf als unreflektierte Hofberichterstatter des Herrn Paulick alle Ehre gemacht.
Und ganz offe, SIE sollten nun wirklich nicht darüber schreiben, was guter Journalismus ist.
Das ist wie mit dem Steinewerfen im Glashaus...
LG
Thorsten Ahrens
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- Quelle: red | Fritz Rudolph Stänker
- Erstellt am 29.11.2011 - 22:00Uhr | Zuletzt geändert am 29.11.2011 - 23:48Uhr
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