Flüchtlinge aufnehmen in Görlitz: Warum nicht so?
Görlitz, 5. Juni 2015. Von Fritz R. Stänker. Die gestrige Meldung, wonach in Görlitz ein Studentenwohnheim kurzfristig von seinen Bewohnern geräumt werden muss, um dort altstadtnah als Erstaufnahmeeinrichtung Asylbewerber einziehen zu lassen, hat in den sozialen Netzwerken des Internets die Stimmung aufgepeitscht. Das Vorgehen des Freistaats, Görlitz vor vollendete Tatsachen zu stellen, die schlechte Kommunikation des Sachverhalts und nicht zuletzt die kurzfristige Kündigung von 35 Studenten stehen in der Kritik und liefern Munition für jene, die sich gegen die Aufnahme von Asylbewerbern aussprechen. Notwendig sind jetzt eine Versachlichung der Diskussion und das Nachdenken über neuartige Lösungen.
Neander: positives Fanal aus Görlitz möglich
Thema: Asyl in Görlitz und Umgebung
Flüchtlinge aufzunehmen gebietet nicht nur das Grundgesetz, sondern muss gerade für Deutsche, von denen viele im Zuge des Zweiten Weltkriegs Flucht und Vertreibung selbst erlebten, eine Selbstverständlichkeit sein. Dennoch: Unproblematisch ist das Zusammenleben mit jenen, die Asyl begehren, nicht immer. Doch wer will unterscheiden zwischen "guter Flüchtling" und "schlechter Flüchtling"? Im Zweifel für den Angeklagten, dieser Rechtsgrundsatz muss auch gegenüber dem einzelnen Flüchtling gelten.
Ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion um den "Rauswurf" der Studenten aus ihrem Wohnheim ist das Update in der gestrigen Meldung des Görlitzer Anzeigers, wonach in den Görlitzer Studentenwohnheimen am Hirschwinkel und im Vogtshof mehr als 90 Plätze frei sind. Die gefeuerten 35 Studenten dürften also leicht im Vogtshof unterkommen, wo es allein 70 freie Plätze gibt. Warum ist man da im Sinne der Kostensenkung nicht früher draufgekommen? Wer also argumentiert, die Studenten seien auf die Straße gesetzt worden, um Platz für Asylbewerber zu machen, ist Demagoge oder einfach nur dumm.
Eine Idee
Einen gänzlich neuen Gedanken hat unser Leser Uwe Neander gegenüber der Redaktion des Görlitzer Anzeigers in die Diskussion eingebracht: "Warum unternimmt man nicht einen Pilotversuch und lässt Studenten und Flüchtlinge zusammen wohnen? Allein im Hinblick auf das Erlernen unserer Sprache oder das Erledigen von Behördenwegen wäre das eine fruchtbringende Symbiose."
Eine verblüffend einfacher Ansatz - man hätte ja die Studenten zumindest fragen können, ob sie mit Flüchtlingen zusammenleben wollen. Die jungen Leute sind ja oft weltgewandter und im Umgang mit anderen Kulturen geübter als so mancher Görlitzer, der die Welt nur aus dem Urlaubsresort oder von der Fensterbank aus kennt und sich deren Bedrohlichkeit zusammenreimt.
Uwe Neander meint, durch die Integration von Asylsuchenden in bestehende Wohnheimstrukturen könnte das Zusammenwachsen der Kulturen eventuell besser funktionieren. Und auch die Studenten würden dadurch was fürs Leben lernen, meint er: Sozialen Umgang.
Dass diese Form der Integration nicht einfach ist (aber wir sind doch nicht auf der Welt, um es einfach zu haben!), ist auch Uwe Neander klar, wenn er sagt: "Das wäre ein Pilotversuch, aber warum soll von Görlitz nicht mal so 'ne Art positives Fanal ausgehen?"
Gehören Flüchtlinge in die Stadt?
Von Thomas Beier. Ein Blick ins Geschichtsbuch lehrt, dass Flüchtlinge nur selten willkommen waren. Dort aber, wo man ihnen die Türen öffnete und die Chance auf Entfaltung gab, prosperierten die Regionen. Man denke an die Hugenotten, die Judenedikte oder die aus dem verfolgten Hussitentum hervorgegangene Herrnhuter Brüdergemeine, die auch die Oberlausitz maßgeblich prägte.
Doch selbstverständlich war solcher Umgang mit Fremden nicht. Deutsche, die vor den Nazis geflohen waren, wurden nicht nur in der Sowjetunion mit Misstrauen gesehen, oft interniert oder wie vom südfranzösischen Vichy-Regime gar wieder an Deutschland ausgeliefert. Flüchtlingsschiffe wie die St. Louis, die 1939 in Hamburg über 900 jüdische Flüchtlinge an Bord nahm musste - nachdem Kuba kaum und die USA kein Asyl gewährten, nach Europa zurück. In Antwerpen waren die Flüchtlinge für kurze Zeit in Sicherheit, bis zur deutschen Besetzung, die viele von Ihnen ins KZ und in den Tod brachte.
Das sollte in einer globalisierten Welt, in der die Menschen immer weniger durch Wirtschaft, Sprache und Kultur, sondern eher noch durch Religionen und Nationalismus getrennt sind, überwindbar sein. Dazu bedarf es eines starken Staates und einer starken und toleranten Gesellschaft. Beides ist in Deutschland gegeben.
Und in Görlitz? Teilt sich jetzt das Lager der Flüchtlings-Begrüßer in Unvoreingenommene und jene, die sagen "ja, aber..." - Flüchtlinge ja, aber nicht dort, wo die Touristen sind? Also an den Stadtrand, in eine Parallelwelt wie in der ersten Görlitzer Erstaufnahmeeinrichtung?
Klar ist: Wo viele Flüchtlinge neu sind, geht nicht alles reibungslos. Für mich ist das vergleichbar mit der Situation in Deutschland in den Nachkriegsjahren, in denen die Menschen geprägt waren von Verrohung und Gewaltbereitschaft, aber auch von Solidarität und demMut zum Aufbau einer neuen Gesellschaft. Die gleichen Widersprüche begegnen uns heute bei den Flüchtlingen aus Kriegsgebieten, die letztlich ein Spiegelbild ihrer Gesellschaften sind.
Dass die Zuwanderung aus den afrikanischen Ländern extrem ansteigen wird, ist seit mehr als zwanzig Jahren in der Wissenschaft bekannt. Nun haben die Kriege in Nahost den Flüchtlingsstrom zusätzlich sprunghaft ansteigen lassen, was viele Fragen im Umgang mit diesen Menschen - vor allem wegen mangelnder Vorbereitung - verschärft.
Auch für Görlitz kann die Lösung nur in einem liberaleren, aber klaren Asylrecht liegen. Dazu gehören einerseits bessere Integrationsmöglichkeiten durch möglichst schnelle Unterbringung in Wohnungen und durch Arbeitsmöglichkeiten, andererseits Sanktionen gegen jene, die sich nicht an ihr Gastland anpassen wollen. Auch wenn wir die Flüchtlinge als kulturelle Bereicherung erleben heißt das nicht, eigene Kultur dagegen auszutauschen. Dass das gelingen kann, zeigen die klassischen Einwanderungsländer.
Zurück nach Görlitz: Davon unabhängig, dass Flüchtlinge grundsätzlich in die Stadt gehören, weil das Integration erleichtert, muss auch der Tatsache Beachtung geschenkt werden, dass es sich am Hirschwinkel um eine Erstaufnahmeeinrichtung handelt. Wer hier einzieht, wird größtenteils nicht als Flüchtling anerkannt (in Deutschland wurde von Januar bis September 2014 über 87.000 Asylanträge entschieden. 18.000 davon wurden als Flüchtlinge anerkannt, nur etwa 1.500 erhielten Asyl. Quelle: Willkommensbündnis Görlitz).
Da muss man fragen: Wer sind diese knapp 80 Prozent der Flüchtlinge, bei denen sich ergibt, dass kein Recht auf Asyl besteht? Kann man frühzeitig erkennen, wer überhaupt integrationswillig ist und davon abhängig Unterbringung und Asylverfahren gestalten? Warum gibt es nicht so etwas wie eine "Green Card" für Asylbewerber, für die durch Ausbildung und Sprachkenntnisse besonders gute Integrationsvoraussetzungen bestehen?
Das sind Fragen, die zu einem differenzierteren Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern anregen - eine schnelle Antwort auf die spezifischen Görlitzer Fragen allerdings nicht.
P.S.: Medieninformation Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst vom 5. Juni 2015
Stellungnahme des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst zur Aufgabe des Studentenwohnheimes "Hirschwinkel" in Görlitz:
Zur Aufgabe des Studentenwohnheimes "Hirschwinkel" in Görlitz erklärt das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst: "Laut Angaben des Studentenwerkes Dresden, das für den Betrieb des Studentenwohnheimes "Hirschwinkel" in Görlitz zuständig ist, hat es bereits im Wirtschaftsplan 2015 perspektivisch die Abgabe des Wohnheimes "Hirschwinkel" als Möglichkeit in Betracht gezogen, sofern der wirtschaftliche Betrieb nicht mehr gewährleistet ist. Die Entscheidung, dies jetzt zu tun, da der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) eine neue Nutzung für das Gebäude sucht, ist aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar. Das Wissenschaftsministerium ist mit dem Studentenwerk Dresden im Gespräch, um den betroffenen Bewohnern mit umfangreicher Hilfe den Umzug so leicht wie möglich zu machen."
Kein Kommentar.
zurückgezuckt
Von Frank am 12.06.2015 - 22:13Uhr
Momentan sieht es so aus, dass der Standort Hirschwinkel nicht als Asylbewerberunterkunft in Frage kommt. Die Stadtverwaltung gibt ein Gebäude am Betriebshof frei.
Naja, bis die nächsten kommen,
LG Frank
Unterbringung von Studenten mit Asylbewerbern
Von Uwe am 11.06.2015 - 10:27Uhr
Genau wegen solcher Vorfälle wie in Freiberg (Messerstecherei) wäre es nicht ratsam, Studenten mit Asylanten und Flüchtlingen zusammen unterzubringen. Da können Politiker und Medien noch so sehr empört nach Luft japsen - dies wäre unverantwortlich.
Unterbringung mit Asylbewerbern
Von Jens Jäschke am 10.06.2015 - 14:07Uhr
Die Ängste der Menschen erkennen, die ihre Kinder nicht mit Asylbewerbern in eine Unterkunft bringen wollen, sollte eine ordentliche Politikführung schon.
Es ist nicht verwunderlich, dass Ängste entstehen. Es gibt immer wieder, und das gehäuft, Vorfälle in Asylantenheimen. Heute, ganz frisch, die Messerstecherei in Freiberg. Was muss noch passieren, damit man differenziert?
Mein Kind nicht
Von Uwe Pohl am 07.06.2015 - 09:06Uhr
Ich persönlich würde mein Kind nicht mit Asylanten oder Flüchtlingen zusammen unterbringen. Man hört und liest genug in den Medien, was in solchen Unterkünften abgeht.
Nicht nur nachplappern!
Von Jeannette Langner am 06.06.2015 - 17:00Uhr
Mich erschreckt immer wieder, wie offen manche Mitmenschen ihre rechte Gesinnung zur Schau stellen.
Sucht doch erst einmal Kontakt zu den Asylbewerbern, bevor Ihr sie verurteilt!
deutsch
Von Berit am 05.06.2015 - 21:47Uhr
Ihr linken Pisser wagt es das Wort DEUTSCH in den Mund zu nehmen ? Es ist nur zu hoffen, daß alle Volksverräter demnächst vor Gericht landen !
Anmerkung der Redaktion:
Da sich die Liebenswürdigkeit wohl allein an uns und nicht an Dritte richtet, lassen wir's mal so stehen, ganz nach dem Motto: Jeder spricht für sich selbst.
Tipp: Bitte mal bei der Linkspartei nachfragen, ob die dem Görlitzer Anzeiger linke Gesinnung unterstellen würde.
Warum eigentlich nicht?
Von Jürgen Hoppmann am 05.06.2015 - 19:22Uhr
Ein (vielleicht gar nicht so dummer) Vorschlag:
Die rausgeschmissenen und im Vogtshof glücklich angekommenen Studenten von Kulturmanagement und Sozialarbeit sollten sich mit Unterstützung der HSZiGr in einem Kulturmanagement- und Sozialarbeits-Praxissemester den Asylanten widmen und dabei mal direkt in der Praxis erproben, ob und wenn sich Multikulti und Willkommenskultur in der Realität realisieren lassen.
Bedrohliches Aussehen
Von Berit am 05.06.2015 - 15:15Uhr
Ich darf doch wohl bitten, man kann doch einen hübschen Hasen nicht mit (...) und (...) vergleichen! Seid Ihr wirklich so bescheuert?
Wir sehen doch tagtäglich, was für ein (...) in unseren Straßen herumläuft, unser Geld (...) und unsere Luft (...)!
Anmerkung der Redaktion:
Beleidigende Ausdrücke entfernt, im Sinne der deutschen Rechtschreibung korrigiert.
Tipp: Integrationskurse verhelfen zu besseren Deutschkenntnissen!
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- Quelle: red | Foto Aufkleber: niki / Nicole, Foto Hase: barryrjonesjr, beide pixaabay, Lizenz CC0 Public Domain
- Erstellt am 05.06.2015 - 11:29Uhr | Zuletzt geändert am 23.04.2021 - 06:25Uhr
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