Gedanken zum Tag der Befreiung
Görlitz, 9. Mai 2015. Der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, der durch die bedingungslose Kapitulation der deutsche Land-, See- und Luftstreitkräfte zugleich das Ende des zweiten Weltkriegs in Europa bedeutete - wann war das gleich? Eins ist sicher: Kapituliert wurde nicht am 8. Mai 1945. Historisch verbürgt sind zwei andere Daten.
Abbildung: Nach der militärischen Kapitulation der Deutschen mussten die GI's mit ganz anderen Herausforderungen fertig werden.
Warum befreiten sich die Deutschen nicht selbst von den Nazis?
Bereits am 6. Mai hatten hohe deutsche Offiziere auf Geheiß Karl Dönitz, Hitlers Erben, unter Generaloberst Alfred Jodel versucht, in Reims einen Separatfrieden mit den Westalliierten zu erreichen, waren aber an General Eisenhower gescheitert. Dönitz gestattete daraufhin Jodl, eine bedingungslose Kapitulation zu unterzeichnen, was der am 7. Mai 1945 ungefähr um 2.40 Uhr morgens auch machte. Demnach sollte die Kapitualition am 8. Mai um 23.01 Uhr in Kraft treten, weshalb dieser Tag als "Tag der Befreiung" in den Geschichtsbüchern seinen Platz gefunden hat.
Allerdings war die Unterschrift von Jodl, eher ein Etappenhengst ohne direkte Verbindung zur kämpfenden Truppe, aus Sicht der Alliierten nicht viel wert. Deshalb wurde in einem Offizierskasino in Berlin-Karlshorst eine weitere Kapitulationsurkunde von Vertretern des deutschen Heeres, der Luftwaffe und der Kriegsmarine unterzeichnet. Allerdings ließ die russische Übersetzung auf sich warten, so dass diese Kapitulationsurkunde erst nach Mitternacht am 9. Mai 1945 unterzeichnet wurde - mit rückwirkender Gültigkeit ab 23.01 Uhr.
Zu Ende war der Krieg dennoch nicht sofort. Resonders gegen die Rote Armee wurde noch tagelang gekämpft, damit sich militärische Einheiten und Zivilisten noch in Richtung der Westalliierten absetzen konnten. Aus rechtlicher Sicht ist die Kapitulation eine rein militärische gewesen, die völkerrechtlich keine Konsequenzen für den Fortbestand des Deutschen Reichs hatte.
Und die Sicht von heute?
Der Begriff "Tag der Befreiung" steht in der Diskussion. Kritiker führen den Umgang der Befreier mit den Befreiten an, so beispielsweise das Zusammenpferchen deutscher Soldaten und sich selbst überlassen auf den Rheinwiesen durch das US-Militär oder die willkürlichen Deportationen durch die Sowjetunion nach Sibirien, Plünderungen, Vergewaltigungen, später die Demontage von Industrieanlagen und anderes mehr. Dennoch: Es bleibt der Tag der Befreiung von Nationalsozialismus, auch wenn der Ostteil Deutschlands unter eine neue Diktatur geriet.
Erschreckend ist doch vor allem die Tatsache, dass es die Deutschen nicht schafften, sich aus eigener Kraft vom selbst gewählten Naziregime zu befreien - mit einer Ausnahme: Das Gebiet der zu Kriegsende noch immer unbesetzen Amtshauptmannschaft Schwarzenberg, wo ein antifaschistischer Aktionsausschuss am 12. Mai die Regierungsgewalt an sich riss, führende Nazis verhaftete und versuchte, eine staatliche Ordnung aufrecht zu erhalten und das Überleben der Bevölkerung zu organisieren. Das basisdemokratische Experiment endete schlagartig mit dem Einmarsch der Roten Armee am 26. Juni 1945. Devotionalien zur besatzungslosen Zeit im Erzgebirge - wie Aufenthaltsgenehmigungen und Reisepässe - kann man sogar online kaufen.
An anderer Stelle im World Wide Web beschäftigt man sich damit, wie die Nachkriegszeit das Leben in Schwarzenberg noch heute beeinflusst und konstruiert Zusammenhänge bis in die sächsische und russiche Regierung.
Aktuell 2015
Heute, am 9. Mai 2015, ist im Lokschuppen zu Schwarzenberg dieUraufführung des Bühnenstücks "Schwarzenberg" nach dem gleichnamigen Roman von Stefan Heym durch das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz.
Am 20. Juni folgt ein Straßenfest "70 Jahre unbesetzt", bei dem die Stadt in vier Besatzungssektoren aufgeteilt wird, in denen es selbstverständlich typisch französisch, russisch, amerikanisch und very british zugeht - in der Mitte aber liegt die unbesetzt Zone. Vor marodierenden Wehrmachtseinheiten wird eindringlich gewarnt!
So unverkrampft kann man mit Geschichte umgehen - selbst Ministerpräsident Tillich. Nachdem die Künstlergruppe ZONE um den Schwarzenberger Künstler und Kneiper Jörg Beier - von der CDU-geführten Stadtverwaltung misstrauisch beäugt - die Idee der Freien Republik Schwarzenberg samst Stadtfest hat aufleben lassen, ist die Verwaltung inzwischen auf den Zug aufgesprungen und versucht nun selber, kräftig einzuheizen.
Und in Görlitz?
Hier finden ausgerechnet die Linksparteiler klare Worte. Stadt- und Kreisrat Mirko Schultze, MdL, der auch für das Amt des Landrates kandidiert: "Es stimmt mich nachdenklich, wenn die offizielle Einladung der Stadt Görlitz nicht vom Tag der Befreiung spricht sondern nur vom Gedenken an das Kriegsende von 70 Jahren. Für uns alle sollte der 8. Mai ein Tag der Befreiung sein. Ein Leben wie wir es heute leben dürfen, wäre ohne die Opfer welche die Befreierinnen und Befreier gebracht haben undenkbar. Am 8. Mai wurde eben nicht nur ein Krieg verloren, wir wurden von der Barbarei des deutschen Faschismus befreit." Auch Kathrin Kagelmann, MdL, SED-Mitglied seit 1984, findet eher nachdenkliche Worte: "Aus eigenen, leidvollen Erfahrungen mit Krieg, Vertreibung und Flucht darf keine Relativierung der Ursachen und Wirkungen des II. Weltkrieges erwachsen. Ehrliches Erinnern, die Anerkennung von Tatsachen ist notwendig, um russische Politik der Gegenwart zu verstehen. Die Chance auf eine gemeinsame europäische Lebens- und Friedensordnung, die Richard von Weizäcker am Tag der Deutschen Einheit 1990 beschrieb, darf nicht an machtpolitischen Interessen scheitern."
Kommentar:
Der Abstand der Jahre, ja Jahrzehnte, verzerrt weiter, was vielen, vermutlich den meisten Deutschen wohl nie klar war: Sie hatten mit ihrer anfänglichen Begeisterung für den Nationalsozialismus einer von Anbeginn an schlechten Sache den Weg geebnet und später, als die Auswüchse deutlich wurden, diese witzelnd und murrend hingenommen. Nachdem der braune Spuk von Ausländern vernichtend geschlagen war, beherrschten andere Sorgen den Alltag, einen Alltag, in dem die Befreier zugleich als Sieger auftraten, neben Hilfe auch mit Rache, neben Mitleid eben auch mit Gier.
Die Generation der Augenzeugen ist am Aussterben, und selbst hier hat jeder seine eigene Wahrheit entwickelt. Der Zweite Weltkrieg ist längst Rahmenhandlung wie der wilde Westen, der Anspruch auf historische Genauigkeit geht zunehmend verloren, siehe Tarantinos auch in Görlitz gedrehter "Inglourious Basterds", ein Kriegsfilm in bester Westernmanier. Oder die Freie Republik Schwarzenberg, wo Realität und Fiktion längst eng verwoben sind. Vielleicht ist das auch gut so, um Erinnerung und Verantwortungsgefühl wach zu halten - mit erstarrten Ritualen und Appellen gelingt das nämlich nicht.
Einen Tag der Befreiung brauchen heute Kleingeister, damit sie ihre Engstirnigkeit, ihre schwarz-weiß Sichten ablegen können. Wer den Tag der Befreiung allein auf das Kriegsende reduziert, muss sich ernsthaft nach seinem Demokratieverständnis fragen lassen,
meint Ihr Fritz R. Stänker
Tag der Befreiung in Görlitz
Von Uli Suckert am 10.05.2015 - 10:12Uhr
Das Hollywood-Brimborium im Görlitzer Rathaus ist nicht zu überbieten. Wegen Überzeichnung lassen die sich wohl demnächst weitere "Goldene Bücher" binden.
Der Filmkult wird intensiver gepflegt als ein würdiges Erinnern oder der Empfang sowjetischer Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg. Für die Befreier vom Faschismus in Görlitz hat der Oberbürgermeister keine Zeit.
Armes Görliwood. Und das nach 70 Jahren am 8. Mai 2015. Prima Wertevermittlung an die Jugend!
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- Quelle: TEB | Kommentar: Fritz Rudolph Stänker | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 09.05.2015 - 00:57Uhr | Zuletzt geändert am 12.07.2019 - 10:07Uhr
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