Start-ups in Görlitz: Wie sieht die Zukunft aus?
Görlitz, 30. Oktober 2021. Einer Studie zufolge ist Görlitz, Sitz des gleichnamigen Landkreises, jene Stadt Deutschlands, die in den letzten Jahren den größten Zuwachs der Rate an Neugründungen von Unternehmen verzeichnete. Das hat für Überraschung, aber auch für Freude gesorgt. Was wirklich dahintersteckt und welche Zukunftsaussichten Neugründer in Görlitz – wo das Durchschnittsalter über 50 Jahren liegt – haben, hat sich der Görlitzer Anzeiger angeschaut.
Gründungsstatistiken wollen richtig interpretiert sein
Zunächst muss man mit Begrifflichkeiten aufräumen. Nicht jede Existenzgründung ist ein Start-up, denn so bezeichnet man lediglich Gründungsprojekte mit Wachstums- beziehungsweise Skalierungspotential. Außerdem ist die von einer Tageszeitung verbreitete Behauptung, wonach im Landkreis Görlitz besonders viele eine Firma gründen, genau genommen nicht richtig: Bei den meisten Unternehmensgründungen handelt es sich nicht um Firmen, denn eine Firma ist der Name einer juristischen Person wie etwa einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft. Die meisten Gründer jedoch sind Einzelunternehmer und agieren im Markt als natürliche Personen.
Hinzu kommt: In Görlitz gaben viele Polen ein Gewerbe angemeldet. Ohne selbst vor Ort zu sein werden sie hier von Serviceunternehmen vertreten, haben aber den Vorteil einer deutschen Geschäftsadresse. Und es gibt noch einen Effekt, den der Markersdorfer Unternehmensberater Thomas Beier erwähnt: "In den letzten Jahrzehnten gab es im strukturschwachen Landkreis Görlitz viele Existenzgründer, die den Schritt in die Selbständigkeit nur deshalb gewagt haben, weil der Arbeitsmarkt für sie keine passenden Angebote bereithielt. Das hat etwa im Bereich der Baudienstleistungen und Hausmeisterservices zu vielen Soloselbständigen geführt, die allerdings gut vernetzt arbeiten und sich oft gut etabliert haben. Manche haben später tatsächlich Arbeitsplätze geschaffen."
Höchste jährliche Wachstumsrate an Unternehmens-Neugründungen
Diese eher nüchterne Betrachtung rückt eine Studie, die das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) zum Thema Existenzgründungen durchgeführt hat, in ein anderes Licht. Allerdings dürfen die überragenden Ergebnisse, die insbesondere die Görlitzer Wirtschaftsförder im östlichsten Zipfel Deutschlands erreicht haben, dadurch nicht geschmälert werden. Für den Landkreis Görlitz zeigte sich, dass die Existenzgründungen – darauf verweist die WirtschaftsWoche am 14. Oktober 2021 in einem Beitrag von Dominik Reintjes – zwischen 2003 und 2019 jährlich im Schnitt um zwei Prozent gestiegen sind – da kann kein anderer Landkreis mithalten. Deutschlandweit hingegen ist die Gesamtzahl an Neugründungen sogar deutlich zurückgegangen.Wie soll es mit den Unternehmensgründern nach den ersten Erfolgen weitergehen?
Der Einstieg in den Markt kann für Gründer und speziell für Start-ups – wenn auch ohne jede Garantie – ein voller Erfolg sein. Doch es heißt, strikt am Ball zu bleiben, weiter hart zu arbeiten und für eine erfolgreiche Zukunft zu kämpfen. Dazu gehört es, strategische Partner zu finden und sein Geschäftsmodell gegebenenfalls immer wieder anzupassen. Steigen die Auftragszahlen, entsteht vielleicht ein Kundenstamm und wachsen als Folge die Umsatzzahlen, steht man als Gründer schnell auch vor neuen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Neben den ersten heftigen Steuerzahlungen, die man von Anfang an einkalkulieren sollte, ist die Einstellung von Personal eine weitere Hürde, denn Lohnkosten schlagen heftig zu Buche und ob man wirklich die richtigen Leute ausgewählt hat, zeigt sich oft erst nach der Probezeit.Angesichts der immer präsenten Risiken ist es wichtig, sich von Anfang an abzusichern und für eine erfolgreiche Zukunft vorauszuplanen, denn erst eine Planung lässt Fehlentwicklungen erkennen und ermöglicht es dadurch, rechtzeitig gegenzusteuern. Eine der größten Sorgen von Existenzgründern und im Start-up-Bereich insgesamt ist die durchgehende Sicherung der Liquidität, also der jederzeitigen Zahlungsfähigkeit. Dazu noch einmal Unternehmensberater Beier: "Phasen ohne Gewinn kann man überstehen, ist man aber nicht mehr zahlungsfähig, so kann man am Geschäftsleben im Grunde nicht mehr teilnehmen. Im Zweifel ist deshalb die Sicherung der Liquidität wichtiger als vielleicht eine hohe Rentabilität. Natürlich muss ein Unternehmen langfristig rentabel und wettbewerbsfähig sein, aber kurzfristig, zu jedem Zeitpunkt, muss es zahlungsfähigkeit sein."
Wachstum will finanziert sein
Doch wie sieht die Praxis aus? Es geschieht immer wieder, dass neugegründete Unternehmen sehr schnell wachsen. Für viele ist dieses Wachstum genau das, was sie sich als Gründer gewünscht haben. Ist das Unternehmen jedoch nicht auf Skalierbarkeit angelegt, das bedeutet Expansion mit nur unterproportional steigenden Kosten, können insbesondere kurzfristige Verbindlichkeiten die liquiden Mittel aufzehren. "Viele sogenannte Businesspläne sind ihr Papier nicht wert", meint Beier. Unverzichtbar ist seiner Meinung nach – noch bevor ein Gründungsvorhaben überhaupt angegangen wird – ein Plausibilitätscheck, der unter anderem Markteigenheiten, nötige Kapazitäten und rechtliche Aspekte beleuchtet. Die anschließende Unternehmensplanung sei eher als roter Faden zu verstehen und müsse Varianten aufzeigen für den Fall, dass es nicht so läuft wie gedacht.Was aber kann man tun, um mit seinem Unternehmen in Wachstumsphasen oder auch ganz persönlich "flüssig" – sprich zahlungsfähig – zu bleiben? Zwar gibt es für Unternehmen Förderprogramme zur Wachstumsfinanzierung, doch die setzen eine gute Planbarkeit und durchaus eine gewisse bürokratische Leidensfähigkeit des Unternehmers voraus. Was beim Agieren im Markt hingegen anfangs gern vernachlässigt wird ist die internationale Expansion, sei es nun in der Europäischen Union oder darüber hinaus. "Zahlungswillige Kunden gibt es auf der ganzen Welt und für viele Branchen ist die Logistik kein Problem", meint Beier und ergänzt, dass für die ersten Schritte natürlich der europäische Binnenmarkt mit seinen harmonisierten Rechtsvorschriften seine Vorzüge hat. Wer die Grenzen des Euroraumes verlassen möchte, sollte zunächst einmal einen Blick auf den Devisenhandel bzw. Forex-Trading werfen, um sich eine Übersicht über die aktuellen Wechselkurse zu verschaffen.
Globale Expansion setzt nahezu zwangsläufig voraus, sich mit Transaktionen in verschiedensten Währungen auseinanderzusetzen. Neben rechtlichen und logistischen Fragen hilft die Beschäftigung mit diesem Thema bei der Abwägung, welche Länder zur Expansion des Geschäfts – ab nun als Absatz- oder Beschaffungsmarkt – infrage kommen könnten. Besonders schlechte oder stark schwankende Devisenwerte können sich negativ auf die Erträge auswirken. Grundsätzlich sollten sich Unternehmer über Geschäftsmöglichkeiten über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus informieren, um Chancen nutzen zu können und vor allem nicht in finanzielle Engpässe zu geraten.
Ein gutes Team ist schon die halbe Miete
Existenzgründer, die ein Start-up verwirklichen wollen, sind nicht selten dazu gezwungen, sehr schnell ein Team von Mitarbeitern aufzubauen. Sie schlüpfen von der Rolle des Gründers in die Rolle des Managers, müssen also neben organisatorischen Aufgaben auch die Mitarbeiterführung übernehmen. Dazu gehört auch die systematische Teamentwicklung, damit die Arbeit möglichst reibungslos läuft und die Beschäftigten sich wirklich für das Unternehmen und seine Ziele engagieren.Führungsunerfahrene Gründer haben oft Angst davor, Verantwortung abzugeben und Aufgaben an andere weiterzuleiten. Ist das Start-up aber auf Personalwachstum angewiesen ist es für seine erfolgreiche Zukunft jedoch wichtig, sich Führungswissen anzueignen, um den Beschäftigten jene Rahmenbedingungen zu geben, die zu "Lust auf Leistung", wie Beier das nennt, führen. Und noch eine Empfehlung hat der erfahrene Unternehmensberater: "Neben Geld Geld sollte auch Zeit als Investitionsfaktor angesehen werden. Beides wird für Wachstum neuer Unternehmen benötigt. Wer es nicht glaubt, sollte bei Elon Musk nachschauen."
Resümee
Wie die Zukunft für Start-ups in Görlitz aussieht, hängt von den Geschäftsfeldern und den Zielgruppen. Wo immer möglich, sollte auf überregionalen Absatz geachtet werden. Dabei spielen neben der klassischen Anbieter-Nachfrager-Beziehung Netzwerke, in denen sich die Teilnehmer wirtschaftlich gegenseitig ein Stück weit absichern, eine immer wichtigere Rolle. Für unerfahrene Gründer ist es allerdings schwierig, in eingespielte Netzwerke vorzudringen. Auf jeden Fall darf man als Unternehmer nicht nur an seine eigenen Interessen denken, sondern muss seine Abnehmer in den Mittelpunkt stellen und weiterer Marktpartner einbeziehen. Der Schritt in internationale Märkte kann dabei ganz neue Perspektiven eröffnen.-
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- Quelle: red | Foto: © BeierMedia.de
- Erstellt am 30.10.2021 - 09:53Uhr | Zuletzt geändert am 30.10.2021 - 12:10Uhr
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