Der verräterischen Rotte Bühne
Görlitz, 16. Dezember 2019. Wer durch die Görlitzer Altstadt schleicht, findet die Inschrift D.V.R.T., was für "Der verräterischen Rotte Tor" steht und daran erinnert, dass es hier im Jahr 1527 einen cleveren Stadtrat gab: Er ließ eine Turmuhr sieben Minuten vor stellen, so dass aufständische Tuchmacher – die verräterische Rotte – den Wachen in die Hände liefen. Neun wurden ins Jenseits befördert, 14 in den Knast und 25 flogen raus aus der Stadt. Heute gehen die Verräter gewitzter zu Werke: Sie stellen sich unter dem Deckmantel der Kunst auf eine Bühne und verraten von dort, was den Görlitzern im Jahr 2020 an Gutem und Schlechtem dräuen wird.
Lesebühne Hospitalstraße weiß, wie das neue Jahr wird, und verrät das auch noch
Thema: Lesebühnen
Lesebühnen sind in Görlitz fester Kulturbestandteil - teils musikalisch unterlegt, teils mit Autoren von vor Ort, teils mit weitgereisten Schreib- und Lesenden.
Die Oberverräter der Gegenwart, die ihr freies Geleit auf die Bühne und wieder runter nur der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verdanken haben, sind stadtbekannte Individuen: Axel Krüger und Mike Altmann. Sie nutzen ihre "Lesebühne Hospitalstraße" im Görlitzer APOLLO-Theater, um "zwischen den Jahren" zu orakeln.
Schon vor dieser denkwürdigen Jahresendveranstaltung ohne Jahresendfiguren treffen sich die von ihrer ewigen Jugend zunehmend geplagten Bühnenliteraten traditionell auf eine Kanne Hopfentee und wagen abwechselnd tiefe Blicke in die Kanne und in die Glaskugel. Während der abnehmende Pegel in der Kanne weder erfreulich noch überhaupt interessant ist, gibt es vom Blick in die Glaskugel viel zu berichten. Das haben die beiden Literaten aufgeschrieben und wollen es ihrem Lesebühnenpublikum durch den Gehörgang schicken, bis das Trommelfell bebt.
Feierlich geht anders
Ergänzt wird die Orakelei mit Geschichten und Albernheiten, die alles in allem wenig weihnachtlich-feierlich sind. Während sich der Heilige Nikolaus lieber ab- und der Christkindel-Blondine zuwendet, schreitet das Umweltbundesamt, wie kolportiert wird, forsch zur Tat: Die Behörde schaut nicht in die Glaskugel, sondern wirft ein Auge direkt auf die Lesebühne und will wegen erhöhter CO2-Emissionen eine Abgabe von 70 Cent pro Lacher einfordern.Gäste müssen's rausreißen
Um dieser versteckten Lachsteuer zu entgehen, legen Krüger und Altmann allergrößten Wert auf möglichst viele traurige Texte, die ihre Bühnengäste mitzubringen haben. Da kommt aus Chemnitz, der sächsischen Industriemetropole mit Kulturhauptstadtabsichten, Gerrard Schueft gerade richtig. Geboren im Zeichen des Karl-Marx-Städter Nischels steht er für den Schmelztiegel dieser Stadt mit den drei "o", der Proletentum und eine widersprüchlich-feine Kunstszene (in memoriam Galerie oben und IM Georg Brühl und das kurze Leben der Marta im Rosenhof).Aus Chemnitz kommen und gut aussehen, das wiederum vereint er, der Schueft, Gerrard. Und dann ist er zu allem Überfluss auch noch intelligent, so sehr, dass seine doppelbödigen Texte ihn im Jahr 2018 bis ins Halbfinale der deutschsprachigen Meisterschaften in Zürich katapultierten. Doch für noch mehr Emotionen als ein schöner kluger Mann sorgt regelmäßig eine schöne kluge Frau. Die erscheint im APOLLO in Gestalt der Görlitzer Liedermacherin Caro Renner. Wenn sie sich ans Pianoforte setzt, da hält die Welt den Atem an und wischt sich verstohlen eine Träne von der Wange.
Prädikat: Unbedingt hingehen!
Sonnabend, 28. Dezember 2019, 19.30 Uhr
APOLLO-Theater, Hospitalstraße 2, 02826 Görlitz:
Lesebühne Hospitalstraße: Jahresendveranstaltung
Eintrittskarten-Belehrung, heute: Die Möglichkeiten des Erwebs
Die Eintrittskarten haben ihren Preis: Wer ein Dutzend Euro auf den Tisch legt, bekommt eine zugeteilt. Weil die Kinder der Mangelwirtschaft gar nicht anders können empfiehlt es sich, die Tickets im Vorverkauf an der Theaterkasse zu erwerben. Wer sich als unverschämter Leser des Görlitzer Anzeigers zu erkennen geben möchte, fragt die netten Theaterkassendamen bei dieser Gelegenheit, wo sie denn zu Silvester anzutreffen sind; wer's aber nicht mit dem großen Majakowski hält und dem allzu Menschliches fremd ist, der ordert seine Tickets online.
Ein Schlag gegen die guten Sitten hingegen ist der theoretisch mögliche und praktisch durchführbare Erwerbsversuch an der Abendkasse. Wer will schon als Restkartenspekulant ertappt werden? Merke: Lieber rechtzeitig zwölf Euro zahlen als vielleicht voll eins auf die Zwölf zu bekommen!
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- Quelle: red | Foto: Mike Altmann
- Erstellt am 16.12.2019 - 10:10Uhr | Zuletzt geändert am 16.12.2019 - 11:31Uhr
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