Die Sachsen-FDP und die Energiewende

Dresden | Landkreis Görlitz, 5. Oktober 2013. Nachdem sich der Regionale Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien zu Monatsbeginn für die Erweiterung des Tagebaus Nochten entschieden hatte, erklärte der energiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag Mike Hauschild: "Diese Entscheidung ist eine richtig gute Nachricht für ganz Ostsachsen, denn sie sichert gut bezahlte Arbeitsplätze in der Region und sorgt dafür, dass wir nach dem Ausstieg aus der Atomenergie weiterhin eine verlässliche Stromversorgung im Freistaat haben." Am Tag des pro Tagebau Entschlusses, dem 1. Oktober 2013, äußerte die Görlitzer FDP-Landtagsabgeordnete Kristin Schütz: "Unsere Region leistet mit der Braunkohle bereits einen enormen Beitrag zur grundlastfähigen Stromversorgung und hat dafür in der Vergangenheit bereits große Opfer erbracht. Einem weiteren Zubau von Windenergieanlagen und damit einer zusätzlichen Zerstörung der Kulturlandschaft in der Lausitz und in Niederschlesien stehen wir als Liberale deshalb sehr kritisch gegenüber." Und wenige Tage zuvor Holger Zastrow, FDP-Fraktionschef im Sächsischen Landtag und Vorsitzender der Landespartei:"Der entschlossene Widerstand der zahlreichen Bürgerinitiativen vor Ort und der Liberalen im Landtag gegen die weitere Verschandelung unserer Heimat durch den unkontrollierten Ausbau der Windenergie trägt endlich Früchte."

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Fritz R. Stänker ist besorgt, dass die FDP in der Windkraft verweht

Mir scheint, als ob das FDP-Getriebe nur noch den Rückwärtsgang kennt. Wer dann trotzdem "Volle Kraft voraus!" schreit, landet... ach was, lassen wir das Lästern. Dafür ist die FDP, die sich damit schon aus dem Bundestag manövriert hat, dann doch zu schade.

Ich begreif´ halt bloß nicht, warum ein Kohlendioxid spuckender und mit Abgasen die Atemluft verschmutzender Schornstein besser sein soll als ein Windrad, das wir an einer alten Mühle sogar als romantisch empfinden.

Die Ablehnung moderner Windkraftanlagen ist doch vor allem ein psychologisches Phänomen: Der humanimmanente Widerstand gegen Veränderung, gepaart mit dem Neid, jemand könnte damit Geld verdienen. Als Würze eignen sich Verschwörungstheorien, wie sie immer dann entstehen, wenn Menschen Zusammenhänge und langfristige Zukunftsfolgen nicht vollständig erfassen können. Aus diesem Sud entstehen - nebenbei bemerkt - die meisten Bürgerinitiativen.

Was ist die "Verspargelung" der Landschaft gegen die Vernichtung der Landschaft!

Ausgeblendet in der FDP-Argumentation wird die weitere Vernichtung angestammten sorbischen Siedlungsgebietes, wenn der Braunkohletagebau Nochten erweitert wird (Projekt Nochten II). Da richtet FDP-Mann Hauschild lieber den Blick in die Zukunft: "Dass die Gegend auch nach dem Abbau der Kohle profitiert und sich als Tourismusregion entwickeln kann, zeigen andere Gebiete in der Lausitz oder der Leipziger Raum." Hallo Herr Hauschild, geht´s noch? Wie wäre es mit touristischer Entwicklung, ohne die Landschaft vorher abzubaggern? Ist etwa die durch die Renaturierung des DDR-Braunkohlebergbaus entstehende üppige Seenlandschaft in Nordostsachsen und Südbrandenburg nicht ausreichend?

Eine Studie, beauftragt von der Gewerkschaft

Gern argumentiert die FDP mit einer von der IG BCE Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Bezirk Cottbus, in Auftrag gegebenen forsa-Umfrage (forsa ist die Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen GmbH, ein renommiertes Meinungsforschungsinstitut), wonach zwei von drei Befragten der Aussage zustimmen, dass "zur Sicherung der langfristigen zuverlässigen und kostengünstigen Versorgung mit Energie die Erweiterung des Braunkohletagebaus in der Lausitz notwendig" ist. Basis ist eine Umfrage, bei der forsa im Juni genau 2.001 zufällig ausgewählte Lausitzer zur Energiewende und zur Energiepolitik befragt hatte. Das Befragungsergebnis belegt eine seltsame Einigkeit zwischen den Freidemokraten und den Linken: "Bei der Frage nach der Notwendigkeit der Erweiterung des Braunkohletagebaus liegt laut Güllner beispielsweise mit 73 Prozent der Anteil der Anhänger der Linken signifikant über dem Durchschnitt." (Quelle:http://cottbus.igbce.de/58970/forsa-umfrage-braunkohle-in-der-lausitz).

In diesem Beitrag wird Gewerkschafter Ralf Hermwapelhorst, IG BCE-Bezirksleiter in Cottbus, über die Gegner der Erweiterung des Braunkohleabbaus zitiert: "74 Prozent halten die Protestierer schlicht für Interessenvertreter in eigener Sache." - Ja mei, wessen Interessen sollen sie denn sonst vertreten, etwa die der Energiekonzerne? Außerdem wäre es interessant gewesen, wenn man die Umfrage allein unter den von den negativen Folgen der Tagebauerweiterung hauptgetroffenen Sorben veranstaltet hätte. Seit Jahrhunderten wiedersteht dieses Volk der deutschen Vereinnahmung - bis ihm das Siedlungsgebiet irgendwann endlich ganz weggebaggert wurde?

Wie relevant ist die forsa-Studie in Bezug auf Nochten II?

Es ist schon hochkomisch, wenn ausgerechnet die FDP mit der Heranziehung der forsa-Umfrage (Download siehe unten) versucht, auf basisdemokratische Ansätze zu setzen. Regierung geht nun mal anders, weil die Volksmeinung - bei allem Respekt - manipulierbar und eben nur Meinung ist, aber nicht Asdruck von Expertise und zukunftsverantwortlicher Weitsicht. Würde immer das Volk befagt, könnten wir ja gleich auf die Regierung verzichten und viel Aufwand und Ärger sparen, nicht wahr?

Konkret zum Thema Nochten II dürfte die forsa-Studie nur bedingt aussagefähig sein, denn nur 413 der insgesamt 2001 Befragten kommen aus dem Landkreis Görlitz, auf dessen Gebiet der Tagebau Nochten und das Vattenfall-Braunkoshlenkraftwerk in Oxberg/O.L. / Hamor liegen - die anderen Befragten kommen aus der Stadt Cottbus, dem Spree-Neiße-Kreis, dem Oberspreewald-Lausitzkreis und dem Landkreis Bautzen.

Dass man Studien so oder so interpretieren kann, zeigt sich auch bei der forsa Studie. Bemerkenswert ist immerhin, dass die Befragten aus dem Landkreis Görlitz die geringste Zustimmungsquote zur Braunkohlevertromung haben (Seite 15 der Studie). Und die Befragten sind der Meinung, dass Erdgas, Windkraft, Sonnenenergie und Wasserkraft vorteilhafter als Braunkohle sind (Seite 16). Auf Seite 17 lässt sich ableiten, dass mit steigender Bildung die Braunkohle eher nachteilig gesehen wird.

Die an Suggestivfragen grenzenden Aussagen auf Seite 32, wonach "Die für den Braunkohleabbau erforderlichen Umsiedlungen erfolgen in einem für alle nachvollziehbaren Verfahren und sozialverträglich" bei 29 Prozent (im Landkreis Görlitz nur 21 Prozent) der Befragten volle Zustimmung findet, müssten relativiert werden durch die Frage, wie viele der Befragten von einer Umsiedlung betroffen waren oder sind - auch in Bezug auf die Umsiedlung gilt das Prinzip "Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!" Im Landkreis Görlitz gibt es übrigens auch die stärksten Vorbehalte gegen Kohlekraftwerke (Seite 35).

Wo die FDP recht hat

Der sächsische FDP-Chef Zastrow weist auf die Folgekosten der sogenannten erneuerbaren Energien hin: "Vielmehr tragen auf 20 Jahre festgelegte Garantiepreise für Ökostrom die Hauptverantwortung für explodierende Energiepreise durch die rasant steigende Ökostromumlage. Die Folgen: Vermögensumverteilung von unten nach oben und massive Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland." - Stimmt, die Förderung der erneuerbaren Energien hat Investitionen auf diesem Gebiet zur Gelddruckmaschine werden lassen, die sich unverschämt beim Stromverbraucher bedient. Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun, mit sozialer gleich gar nicht.

Auch wirft die FDP die Frage des Wertverlustes von Grundstücken auf, in deren Nähe Windkraftanlagen errichtet werden. Zastrow weist darauf hin, dass der Wert von Grundstücken teils dramatisch sinke, bis hin zur Unverkäuflichkeit: "Selbst wenn die Eigentümer gar nicht verkaufen wollen, bereitet ihnen das erhebliche Probleme. Beispielsweise müssen Banken bei der Anschlussfinanzierung von Krediten oder der Beleihung der Immobilien den gesunkenen Wert berücksichtigen - was 'bestenfalls' zu horrenden Zinsen führt, schlimmstenfalls zur Verweigerung von Krediten." Entsprechend fordert die FDP, dass Windkraft-Unternehmer für den Wertverlust aufkommen müssen.

Insgesamt tritt die FDP für eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ein.

Fazit

Man muss ja nicht gleich FDP-Freak sein, um zu begreifen, dass mit der FDP dem neuen Bundestag was fehlt. Gestraft wurde die Bundes-FDP für ihr lavieren und ihre unglücklichen Führungsfiguren. Die Sachsen FDP ist da besser aufgestellt, muss aber aufpassen, dass sie die Zukunftsthemen besetzt.

Sonst werden diese von Piraten geentert,

meint Ihr Fritz R. Stänker


Download!
forsa-Studie: "Die Lausitzer und die Braunkohle" (ca. 256KB)


Nachsatz:
Warum bringt es kein Politiker und kein Gewerkschafter fertig, sein Bedauern darüber zu äußern, dass für den Braunkohlenabbau Menschen ihren Lebensraum aufgeben müssen? Dass man Mensch und Umwelt wirtschaftlichen Erwägungen unterordnet? Das wäre doch irgendwie christlich, oder? Schämt Euch.

Kommentare Lesermeinungen (3)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Riskofaktor Braunkohle

Von Helma S. am 06.10.2013 - 08:24Uhr
Eben kam im Deutschlandfunk, dass der Präsident des Umweltbundesamtes vor einer Renaissance der Braunkohle warnt, weil der Strom daraus besonders klimaschädlich ist. Aktuelle braucht man etwas mehr Gas, hat er gesagt, bis Mitte des Jahrhunderts können die erneuerbaren Energien die Stromversorgung übernehmen.

Strom kontra Natur

Von Martin Freigeist am 05.10.2013 - 18:27Uhr
Ich bin gegen jegliche Nutzung von Grünflächen zur Stromgewinnung.
Wir haben Millionen von qm Dachläche, nah am Menschen. Und auch da sollten wir die "Doppelverdachung" vermeiden.

Doch wie sollen Politiker und Unternehmen ihr kurzsichtiges Denken und Endscheiden zurücknehmen?
Lug und Trug ist nah an der Lüge.

Kohle und FDP

Von görzelec am 05.10.2013 - 14:06Uhr
Viele richtige Fragen, gerade auch im Nachtrag. Selbst erlebt: MP Tillich schwärmt den anwesenden Bergbauumsiedlern in Schleife vor, was sie doch für tolle neue Häuser hingestellt bekommen. Von einer in dem Moment eigentlich fälligen Entschuldigung dafür, dass sie im Namen des "Allgemeinwohles" zwangsenteignet werden, natürlich kein Wort. Und nicht mal zu einer symbolischen Anerkennung ihres Opfers mit ein paar Worten reicht es.

Allerdings ist er da nur ein Beispiel von vielen. Habe ich um Weißwasser herum bereits sehr oft gehört: Ach, wenn ich doch auch auf Kohle stünde! Was für ein schönes Häuschen bekäme ich dann doch hingestellt! Die Leute sind da leider oft wie die Menschen.

Was die sächsische FDP angeht: Zunächst mal - was heißt hier "Ostsachsen"? Sind die Tagebaue an der Elbe oder wie?
Darüber hinaus empfinde ich persönlich vor dem Hintergrund ihrer Energie- und Straßenbaupolitik das Gebarme der hiesigen Gelben über die schützenswerte sächsische Kulturlandschaft als blanke Heuchelei. Sicher gehört der bisherige Ausbau der CO2-freien Energien reformiert. Womit ich nicht sagen will, dass es falsch war, ihn zu Beginn zu subventionieren. Denn das erfolgt mit den übrigen Energieträgern in der einen oder anderen Form ja auch. Aber erst Tagebauerweiterungen politisch befürworten und dann mit den Opfern dieser Entscheidung begründen, dass denen ja nun nicht noch zusätzlich Windräder zugemutet werden könnten - geht es eigentlich noch zynischer?

Respekt, Herr Zastrow resp. Zaster - das ist der bundesdeutsche Liberalismus, wie wir ihn alle schätzen und lieben.

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  • Quelle: red | Kommentar: Fritz Rudolph Stänker
  • Erstellt am 05.10.2013 - 08:27Uhr | Zuletzt geändert am 05.10.2013 - 10:42Uhr
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