#23: Tag der Deutschen Einheit
Görlitz, 3. Oktober 2013. Nachdenklich schaut sie hinaus aus dem Bundeskanzleramt, das doch eigentlich ein Bundeskanzlerinamt ist, "Die Philosophin" von Markus Lüpertz. "Nachdenklich" - welch schöner Begriff: etwas nach-denken im Sinne von Erweiterung, im Sinne von hinterher nochmals bedenken, vor allem aber im Sinne des Bedenkens von Folgen, was kommt danach.
Fritz Rudolph Stänker über Paradoxien der Deutschen Einheit
Von Fritz. R. Stänker. Was danach kommt, wusste beim eiligen Aushandeln des Einigungsvertrages und in Folge beim Vollzug der Deutschen Einheit durch den Beitritt der DDR zur BRD am 3. Oktober 1990 wohl niemand. Zwar war mit den Worten des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl "Es wird niemandem schlechter gehen als zuvor, dafür vielen besser" eine die Massen mobilisierende Marschrichtung vorgegeben, wie immer lauerte aber der Teufel im Detail.
Paradox ist, dass Kohls Worte meist nur auf den materiellen Wohlstand bezogen werden, obgleich die Wurzeln der Friedlichen Revolution in der DDR vor allem im politischen Widerstand und in der Umweltbewegung zu finden sind. Und paradox ist auch, dass sie oft mit einer gewissen Häme zitiert werden.
Die deutsche Wiedervereinigung war für die DDR-Bürger ein großes Glück und es ist nur angemessen, der alten Bundesrepublik dafür zu danken, wie sie sich auf diesen Prozess eingelassen, ihn gestaltet und materiell begleitet hat. Dass dabei nicht alles in wünschenswerter Weise lief und so mancher sein Schäfchen ins Trockene brachte - unbenommen.
Die Ostdeutschen kolportieren gern, dass ja vor allem die BRD von der DDR profitiert habe: Brain Drain, Billiglieferungen zum Devisenumrechnungskurs, Aneignung auch relativ gut funktionierender Volkseigener Betriebe (VEB), Plattmachen von Wettbewerbern, Erschließung eines Absatzmarktes von mehr al 16 Millionen Menschen. Hinzu kommt die Ballade vom "schweren Anfang": European Recovery Program (Marshall-Plan) für den Westen, Reparationsleistungen durch den Osten, dem anfänglich zudem grundlegene Industriezweige fehlten. Dazu siehe das Video unten.
Was zählt ist das Ergebnis: Heute geht es niemandem schlechter und nicht nur vielen, sondern den allermeisten geht es besser. Die DDR-Bürger haben eine ungeahnte Freiheit dazugewonnen, die weit über das Reisen und die Meinungsäußerung hinausgeht: Es ist die Freiheit, sein Leben selbst zu gestalten - eine Freiheit, die manchen überfordert.
Die mit Freiheit verbundene Unsicherheit lässt heute Rufe laut werden nach umfassender sozialer Absicherung, nach staatlich garantiertem Wohlstand. Mancher denkt, man brauche es doch nur von "den Reichen" zu nehmen. Mal abgesehen davon, dass die dann vielleicht keine Lust mehr haben, etwas für ihren Reichtum zu tun, nimmt man ihnen damit auch das Vermögen, Geld für unternehmerische oder private Zwecke auszugeben, Geld, von dem andere leben.
Paradox ist das Wiedererstarken der zur Linken mutierten SED, ein Phänomen, das 1990 ausgeschlossen schien, so verhasst war diese Partei. Aber die alten Strategien funktionieren noch immer: "Der Mob ist dumm und manipulierbar", wusste schon Lenin. Mit plakativen Parolen von "Gerechtigkeit", "genug gelabert" und "sozial" benutzen die SED-Erben heute eine ähnliche Polarisierungsstrategie wie das rechte Spektrum.
Nach der Auflösung der DDR waren es die straffen Genossen und Verantwortungsträger des alten Systems, die sich als erste neu orientieren mussten. Mit ihren administriven Erfahrungen waren sie in der aufzubauenden Verwaltung und in politischen Organisationen - wenn auch nicht unumstritten - willkommen und entwickelten sich voller Dankbarkeit dafür, davongekommen zu sein und ihre Stellung in der Gesellschaft gesichert oder gar verbessert zu haben, zu den denkbar gehorsamsten Dienern der neuen Ordnung. Dass, wer seine persönliche Wende auf diese Weise vollzogen hat, nur über einen eingeengten Freiheitsbegriff verfügt und sich von freiheitlich und demokratisch denkenden Bürgern verunsichert fühlt, ist selbstredend.
Heute profitieren alle Bundesbürger davon, dass die Gründungsväter der alten Bundesrepublik den Mut und die Kraft hatten, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen und - im Gegensatz zur Weimarer Republik - eine starke Demokratie aufzubauen.
Das ist etwas, worauf man stolz sein kann.


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Ergebnis: Wer hat am meisten von der Deutschen Einheit profitiert?
Umfrage seit dem 03.10.2013
Teilnahme: 102 Stimmen

Linke
Von görzelec am 03.10.2013 - 10:18Uhr
23 Jahre danach mit Blick auf die Linke noch immer das Lied von den alten SED-Kadern zu singen, ist natürlich enorm verkürzt. Immerhin haben es einstige Kader der Nationalen Front aus der zweiten Reihe in heute gefälligeren Parteien in Sachsen bis zum MP gebracht.
Was der Beitrag verkennt, ist schlicht der Fakt, dass die DDR 1990 einem kapitalistischen Staat beigetreten ist. Und dieser produziert auch als Soziale Marktwirtschaft systemisch Benachteiligte - sonst wäre es kein kapitalistischer Staat. Deswegen muss man nicht zwangsläufig den Kommunismus zum Ziel ausrufen. Aber aus diesem Grund wird es in einem kapitalistischen System immer auch eine wie auch immer konkret aufgestellte Linke geben, die sich für Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit usw. einsetzt. Ob einem das nun gefällt oder nicht. Und da die deutsche Sozialdemokratie in dieser Hinsicht seit den Arbeitsmarktreformen nur noch bedingt satisfaktionsfähig ist, gibt es da derzeit für 8 Prozent der Wählerschaft in Deutschland eben einen Bedarf.
Und da Sie die Opposition 89 erwähnen - man sollte eventuell mal darauf hinweisen, dass ein gehöriger Teil von dieser sich auch in den Monaten des Umsturzes und der Zeit danach immer als links begriffen hat.

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- Quelle: Fritz Rudolph Stänker | Fotos: www.BeierMedia.de
- Erstellt am 03.10.2013 - 08:30Uhr | Zuletzt geändert am 03.10.2013 - 09:37Uhr
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