Landkreis Görlitz: Verfestigte Jugendarmut

Landkreis Görlitz. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat sich die aktuellen Zahlen (Stand September 2012) zu Beziehern von Hartz IV (Arbeitslosengeld 2 / Grundsicherung) angesehen und kommt zu einem für die Situation von Jugendlichen im Landkreis görlitz erschreckenden Ergebnis: 15,5 Prozent der jungen Leute (Alter 15 bis 24 Jahre) im Landkreis Görlitz - das sind 3.430 Menschen - leben von Hartz IV. "Jugendarmut im Landkreis Görlitz ist schon lange keine gesellschaftliche Randerscheinung mehr", konstatiert der DGB. Auch der DGB-Kreisvorsitzende Siegmar Freund bewertet die Entwicklung als fatal: "Diese jungen Menschen erfahren die gesellschaftliche Spaltung bereits in jungen Jahren, in dem sie in Verzicht aufwachsen und ein höheres Risiko für eine mehrfache Benachteiligung haben.“ Verschärfend wirkt, dass die Regelsätze, nach denen die Grundsicherung auf Basis der Hartz IV Gesetze gezahlt wird, trotz der jüngsten geringfügigen Erhöhung in den letzten Jahren deutlich hinter der Preissteigerungsrate zurück geblieben sind.

Anzeige

Realität: Als Jugendlicher bereits langzeitbedürftig

Viele Jugendliche geraten schon frühzeitig auf ihrem Lebensweg in die staatlich programmierte Hartz IV Abwärtsspirale. "Neben materieller Entbehrung erleben diese Jugendliche entweder Arbeitslosigkeit oder niedriges Erwerbseinkommen im Familienkontext sowie oftmals schlechtere Wohnverhältnisse bzw. schlechtere Chancen im Ausbildungssystem und in der Arbeitswelt. Hinzu kommt, dass sich Einkommensarmut auch verstärkt negativ auf die Gesundheit auswirken kann“, beschreibt Freund die Ausprägung eines Hartz IV Millieus.

Nur jeder Fünfte - genau sind es 629 - der im Landkreis Görlitz auf Hartz IV angewiesenen Jugendlichen ist überhaupt arbeitslos gemeldet. Nur 458 der jugendlichen Hartz IV Bezieher waren in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen integriert. Reichlich zwei Drittel der Betroffenen besucht noch die Schule, ist in Ausbildung, erwerbstätig oder betreut eigene Kinder, die jünger als drei Jahre sind.

Familiäres Umfeld prägt

Die finanzielle Schieflage der jungen Leute hat durchaus viele Ursachen - auffallend ist aber, dass es weniger die eigene Arbeitslosigkeit ist, die zur Bedürftigkeit führt, sondern die Gründe viel stärker im familiären Umfeld liegen dürften. "Die Mehrzahl der als nicht arbeitslos registrierten jungen Menschen dürfte noch zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen. Da sie oft noch bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben, ist entweder mindestens ein Elternteil arbeitslos oder trotz Erwerbstätigkeit kann das gesellschaftliche Existenzminimum der Haushaltsgemeinschaft nicht gesichert werden. Die Armut von Jugendlichen ist weitgehend auf das Fehlen von existenzsichernden Arbeitsplätzen der Eltern zurückzuführen", so die Schlussfolgerung des DGB.

"Um diesen Jugendlichen einen dauerhaften Ausstieg aus den prekären Lebensverhältnissen zu ermöglichen, hilft ein schlichtes Parken in beruflichen Warteschleifen oder die Zuweisung in Ein-Euro-Jobs nicht", betont der DGB-Kreisvorsitzende und fordert: "Möglichst vorbeugende arbeitsmarkt-, bildungs- und sozialpolitische Maßnahmen sind gefragt, die die unterschiedlichen Lebensumstände junger Menschen einschließen.“

Armut grassiert

Wie der DGB berechnet hat, waren im Herbst 2012 in Sachsen 55 Prozent der hilfebedürftigen Jugendlichen in den letzten beiden Jahren mindestens 21 Monate lang auf Leistungen aus Hartz IV angewiesen - es sei eine gravierende Armutserfahrung, wenn sich der Hilfebezug bereits in jungen Jahren verfestigt.


Kommentar:

Der DGB hätte getrost noch etwas tiefer in das Thema Jugend und Hartz IV eintauchen können. Nicht ohne Grund sind die ostsächsichen Städte zu Drogenhochburgen - mit allen Folgeerscheinungen - geworden, nicht ohne Grund ist vielen jungen Leuten die Beschäftigungsfähigkeit in einem ganz normalen Arbeitsverhältnis abhanden gekommen.

Was unsere an sich so reiche Gesellschaft erlebt, ist eine hausgemachte soziale Katastrophe: Die Ausgrenzung und Stigmatisierung eines Teils der Bevölkerung, der sich zu einer neuen, sich selbst reproduzierenden Kaste der "Unberührbaren" entwickelt, unberührbar von Arbeit, Kultur, Bildung, gesellschaftlicher Teilhabe.

In Hartz IV kommt man schnell rein, aber kaum wieder raus - vor allem, je länger man zu den Leistungsbeziehern gehört. EIne Beschäftigungschance im Arbeitsmarkt besteht im Wesentlichen nur, wenn dem Arbeitgeber eine Förderung winkt - hier stehen die Jobcenter in der Tat an der Seite der jungen Leute. Doch oft genug mangelt es an deren Eigeninitiative und der genannten Fähigkeit, überhaut einer Beschäftigung nachgehen zu können.

Wer Hartz IV auf der Flucht nach vorn auf dem Weg in die Selbständigkeit verlassen will, scheitert an den von Verwaltungsdenken geprägten Spielregeln des Systems. Neben einem Übermaß an Bürokratie ist nach dem Ende des Hartz IV Bezugs der Sprung in volle eigenverantwortliche Übernahme der Sozialkosten kaum zu schaffen. Eine Lösung wäre, anstelle der Zuverdienstregelung das Ansparen von Geld für die ersten Monate nach Hartz IV zu erlauben, damit dann der Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestritten werden kann. Auch die Anerkennung betrieblicher Kosten nach den Regeln des Fiskus (und nicht nach dem Ermessen eines Verwaltungsmitarbeiters) wäre hilfreich, um sich als Selbständiger unter den Fittichen des Jobcenters nicht einen Schuldenberg aufzubauen.

Die Jugend ist unsere Zukunft - Frage- oder Ausrufungszeichen?

Thomas Beier

Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: Thomas Beier
  • Erstellt am 29.01.2013 - 08:11Uhr | Zuletzt geändert am 30.01.2013 - 01:43Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige