Ist uns der Müll lieb und teuer?
Görlitz, 21. November 2012. Das scheint der Lauf der Welt: Politische Fehlentscheidungen werden am Ende bei den Bürgern sozialisiert - auf gut deutsch: Das Volk muss zahlen. So auch in Bezug auf die Müllentsorgung in der Stadt Görlitz, deren kommunaler Abfall auf die Reise in die nur per Lkw erreichbare Müllverbrennungsanlage in Lauta geschickt wird.
Görlitzer Linke thematisieren Müllgebühren
Für die Müllentsorgung in Görlitz ist die Entsorgungsgesellschaft Görlitz-Löbau-Zittau mbH (EGLZ) zuständig, deren Gesellschafter sind der Landkreis Görlitz und die Beteiligungsgesellschaft des Landkreises Görlitz mbH. Der Landkreis Görlitz ist die Mitglied im Regionalen Abfallverband Oberlausitz-Niederschlesien (RAVON), der seinen Müll an Thermische Abfallbehandlungsanlage in Lauta (Thermische Abfallbehandlung Lauta GmbH & Co. oHG) liefert.
Wem das zu kompliziert wird: Diese Müllverbrennungsanlage in Lauta gehört der Vattenfall Europe AG und der STEAG GmbH, einem Energieerzeuger, an dem ein Stadtwerke-Konsortium von Rhein und Ruhr sowie über die Evonik Industries AG auch die RAG Stiftung, die ein Vermögen für die Finanzierung der Folgekosten des deutschen Steinkohlenbergbaus aufbaut, und die CVC Capital Partners, eine globale Kapitalbeteiligungsgesellschaft, beteiligt sind. Soweit zum Verständnis, wo die Müllgebühren der Görlitzer nach Abzug aller Kosten ankommen.
Heikel an der Müllverbrennungsanlage in Lauta ist die Tatsache, dass sie mit einer Anlagenkapazität von jährlich 225.000 Tonnen Müll, zu denen der RAVON eigentlich 110.000 bis 150.000 zusteuern sollte, aus heutiger Sicht überdimensioniert ist. Gegenwärtig bringt der RAVON nur noch ca. 80.000 Tonnen jährlich auf die Müllwaage, was vor allem an der Liberalisierung der Entsorgung von Gewerbeabfällen und am demografischen Wandel liegen dürfte. Der RAVON hatte in der Zeit von 2007 bis 2011 die Lieferung von 95.000 Jahrestonnen vertraglich zugesichert, allerdings haben die Betreiber bei der Bitte um Vertragsverlängerung abgewinkt. Nun wird diskutiert, die Müllverbrennungsanlage komplett in kommunales Eigentum zu überführen – etwa, weil sie sich wirtschaftlich überhaupt nicht mehr darstellen lässt?
Offenbar ein wunder Punkt, denn Müllverbrennungs-Geschäftsführer Hartmut Jäger schreibt im Newsletter "T.A. Lauta info" vom März 2012: "Seit geraumer Zeit könnte man den Eindruck gewinnen, die wahre Kompetenz liege bei für die Bürger sprechenden Aktivisten oder so genannten Medienprofis, die in Kolumnen über etwas urteilen, wovon sie offensichtlich wenig verstehen. Da ist keine Rede von einer funktionierenden Infrastruktur zum Nutzen aller Bürger im Verbandsgebiet, von vorbildlichem Umweltschutz und umsichtigem unternehmerischen Handeln, sondern von Knebelverträgen, Preistreiberei und Politikerversagen. In der Tat, Ehrgeiz beim Umweltschutz hat seinen Preis. Das war gewollt, dazu muss man stehen, und das steht natürlich auch in den Verträgen, deren Offenlegung immer wieder mit Vehemenz gefordert wird. Das könnten auch jene, die schon immer alles vorausgesehen haben, auf ihren Transparenten nachlesen oder in den Artikeln von damals."
Auf der Webseite der T.A. Lauta ist zu lesen: "Mit der T. A. Lauta ist die wirtschaftlich vernünftige und ökologisch konsequente Entsorgung von Hausmüll und hausmüllähnlichem Gewerbemüll für mehr als 1 Mio. Bürger langfristig gesichert."
Was sagen die Görlitzer Linken?
Mirko Schultze, Vorsitzender des Ortsverbades der Görlitzer Linken, und Thorsten Ahrens, Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Görlitz, haben am 19. November 2012 den nachstehenden gemeinsamen Brief an die Fraktionen im Stadtrat Görlitz, den SPD Ortsverband Görlitz, den CDU Ortsverband Görlitz, den FDP Ortsverband Görlitz, den Ortsverband Görlitz der Grünen, an den Bürger für Görlitz e.V. und die Görlitzer Bürger geschrieben.Das nachstehend im Wortlaut wiedergegebene Dokument gibt nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
sicher haben auch Sie die Artikel zur höheren Müllgebühr ab 2013 in der Tageszeitung vom 16.11. wahrgenommen und sicher waren auch Sie verwundert, wenn nicht gar erschrocken. Sollten die Pläne des Landkreises im Kreistag im Dezember beschlossen werden und so sieht es momentan aus, rollt auf die Görlitzer Bürger eine weitere Gebührenerhöhung zu. Die neue Gebührensatzung sieht für die Stadt Görlitz eine Steigerung von bis 55%, für den nördlichen Teil des Landkreises eine Erhöhung von 4% und für den südlichen Teil eine Absenkung von 1% vor. Das Sparen von Müll und Abfällen wird durch die Mindestzahl von abzurechnenden Tonnen auch eingeschränkt.
Angesicht der Verschlechterungen, welche ab 2013 im Rahmen der Müllentsorgung greifen, ist dies eine nicht zu rechtfertigende Belastung für die Menschen und die Stadt Görlitz. Die Nebenkosten für Wohnen steigen durch Strompreiserhöhung und Kosten für Heizung bereits erheblich und werden immer mehr zum Hemmschuh für Vermietungen. Schon heute sind kostendeckende Kaltmieten, welche die Investition in Altstadt- oder Gründerzeithäusern rechtfertigen, kaum noch zu erzielen, da die Nebenkosten unaufhörlich steigen, ohne dass sich die Einkommensverhältnisse verbessern.
Ein weiter Punkt ist der Wegfall des zweiten Wertstoffhofes in Görlitz und damit eines bewährten Systems. Tausende Görlitzerinnen und Görlitzer bezeugten mit ihrer Unterschrift den Wunsch den Wertstoffhof in Weinhübel zu erhalten. Der Landrat begründete in einem Schreiben an den Oberbürgermeister die Notwendigkeit der Schließung unter anderem damit, es sei den Menschen im Landkreis nicht zuzumuten, höhere Gebühren zu zahlen, nur weil Görlitz zwei Wertstoffhöfe unterhalten will. Angesichts der einseitigen Gebührenerhöhung in der Stadt Görlitz klingt diese Begründung wie blanker Hohn. Die Görlitzer Bürger zahlen dann faktisch die gesamte Erhöhung in der neuen Kalkulation, bekommen dafür aber weniger Leistung.
Die Erhöhung wird sich aber auch für die Stadt Görlitz und ihren kommunalen Haushalt negativ auswirken. So steigt bei Schulen in unserer Trägerschaft die Müllgebühr deutlich und da in Görlitz sehr viele Menschen leben, welche Zuschüsse zur Miete erhalten, belastet diese Erhöhung überproportional den Kreishaushalt bei Kosten der Unterkunft. Die entstehenden Mehrausgaben werden dann als notwenige Erhöhung der Kreisumlage wieder die Möglichkeiten des Görlitzer Haushaltes einschränken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
uns ist bewusst, dass Müllgebühren nicht über Jahre gleich bleiben können, erst Recht nicht, wenn Fehlentscheidungen der Vergangenheit, wie die zu hohe Mindestmengenzahl bei der Müllverbrennungsanlage Lauta uns heute Strafzahlungen aufzwingen, uns ist auch bewusst, dass die Gebühren in Görlitz seit längerem nicht mehr gestiegen sind.
Unklar bleibt jedoch, weshalb die Menschen in Görlitz jetzt mehr zahlen sollen, obwohl sich die Leistungen verschlechtern. So sollen die Menschen nun Sperrmüll und Elektrogeräte nicht mehr einer Verwertung zuführen dürfen, sondern müssen sie lagern, bis ausreichend Sperrmüll oder Elektroaltgeräte zusammen gekommen sind, um dann eine Abholung anzumelden.
Wir rufen alle demokratischen Parteien und Vereine der Stadt auf, gemeinsam über eine Lösung nachzudenken und diese Gebührenerhöhung nicht unwidersprochen hinzunehmen. Wenn es keine Einsicht auf seitens des Kreistages gibt - und dies ist nicht zu erwarten, sind doch die Mehrheitsverhältnisse im Kreistag gegen Görlitz-, so muss es politischen Druck aus Stadtrat und Bevölkerung geben. Die Görlitzerinnen und Görlitzer, der Wirtschaftstandort Görlitz und die Haushaltsituation der Stadt erfordern es, dass wir über Partei und ideologische Grenzen hinweg nun zusammen stehen und einer einseitigen Belastung durch die neue Müllgebührensatzung entgegentreten.
Als LINKE in Görlitz stehen wir für alle Initiativen offen gegenüber und hoffen, dass auch Sie als Vertreterinnen und Vertreter ihrer jeweiligen Partei oder Ihres Vereines bereits sind, gemeinsam zu handeln.
Wir haben zur Zeit nicht die eine Lösung und wir sehen offen gestanden größte Schwierigkeiten, die Gebührensatzung noch zu verändern. Wir setzen aber viel Hoffnung in ein gemeinsames Zusammenwirken aller politisch Aktiven, ihrer Kompetenzen und hoffen so gemeinsam einen Weg zu finden, der notwendige Anpassungen nicht durch einseitige Belastungen vornimmt.
In der nächsten Woche finden Fraktionssitzungen, eine Sitzung des Verwaltungsausschusses und die Stadtratssitzung statt. Wir gehen davon aus, dass dies genug Gelegenheiten sind um sich über ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen und verbleiben mit hoffnungsvollen Grüßen.
gez.
Mirko Schultze
Vorsitzender OV
Thorsten Ahrens
Fraktionsvorsitzender
Kommentar:
Mit Müll lassen sich glänzende Geschäfte ebenso wie trübe Verluste machen. Das Prinzip, auch unnötig hohe Kosten auf den Bürger umzulegen (der gar nicht die für eine wirtschaftliche Auslastung der vorhandenen Entsorgungsanlagen nötigen Müllmengen verursacht), scheint mir nicht sonderlich seriös. Aber wie immer, wenn Staat und Verwaltung Wirtschaft "alleine" gestalten wollen, ist das finanzielle Risiko enorm.
Dass es anders geht, zeigen Städte wie Dresden: Hier hatte man für die Biologisch-Mechanische Aufbereitungsanlage, die den Restmüll der Dresdner nahe vollständig einer Wiederverwertung zuführt, gleich den Anlagenlieferanten aus Gesellschafter ins Boot geholt. Und sobald es sich rechnet, könnte hier sogar die unmittelbar angrenzende Altdeponie durch die Aufbereitungsanlage geschickt werden, um die gelagerten Wertstoffe zurückzugewinnen
Seltsam dünkt auch die Webseite des "Regiebetriebs Abfallwirtschaft" für das Entsorgungsgebiet des ehemaligen Niederschlesischen Oberlausitzkreises, die immerhin den aktuellen Abfallkalender zugänglich macht, erreichbar im Internet unter http://www.akvision.de/ebwsw – seltsam vorallem deshalb, weil die Hauptdomain des Webauftritts http://www.akvision.de auf einen privaten Appartement- und Zimmervermieter verweist.
Ach was, wundern Sie sich nicht, zahlen Sie Ihre Müllgebühren, sonst stinkt´s bloß noch mehr,
Ihr Fritz R. Stänker
Mehr:
http://www.ravon.de
http://www.t-a-lauta.de
http://www.abfall-eglz.de
http://www.akvision.de/ebwsw
http://corporate.evonik.de/de/unternehmen/standorte/Pages/default.aspx
http://www.rag-stiftung.de
http://de.cvc.com
Ergebnis: Sind die neuen Müll-Entsorgungspreise in Görlitz noch angemessen?
Umfrage seit dem 22.11.2012
Teilnahme: 100 Stimmen
Müll und Privatwirtschaft
Von Ernst am 22.11.2012 - 08:04Uhr
Aus dem Artikel sollte man nicht schlussfolgern, dass die gesamte Müllkette von der Erfassung bis zur Verwertung in kommunaler Hand (auf Basis reiner Kostenumlage) besser aufgehoben ist.
Private Unternehmen wirtschaften trotz oder eben wegen ihres Gewinnstrebens nunmal effizienter.
Vermutlich sind in Bezug auf die Müllverbrennung Lauta aus heutiger Sicht weder Technologie noch Vertragsgestaltungen besonders glücklich realisiert. Zu den Ursachen dafür dürften die sich immer wieder ändernden gesetzlichen Regelungen gehören.
Unseren Müll können wir allein verarbeiten
Von Jens Jäschke am 21.11.2012 - 11:29Uhr
Egal, welche Art von Müll in unserer Stadt kreist, wir haben alle Möglichkeiten, unseren Müll selbst zu bereinigen.
In diesem konkreten Fall sollte man eine neue Vergabe an die eigens dafür vorgesehene Stadtreinigung Görlitz mbH, die wieder zu gründen wäre und durch die auch wieder Arbeitsplätze entstehen können, bedenken. Damit wäre dann auch die Möglichkeit geschaffen, eigenständig zu funktionieren und man könnte sich auch solch eine Geschichte wie in Dresden mit der Biologisch-Mechanischen Aufbereitungsanlage vorstellen. Damit hätten wir eine Arbeitsmarktperspektive (wenn auch nur eine kleine) sowie geringere Müllgebühren und belasten dadurch, denn die Entsorgungsfahrzeuge müssen für eine Entleerung über 100 km zurück legen, unsere Umwelt nicht in der Form, wie es durch die ELGZ passieren würde.
Desweiteren müssen wir für die zu unterstützenden Haushalte in Görlitz nicht Unsummen dazu beisteuern, die, wie der Name schon sagt, vom STEUERZAHLER kommen. Unser Stadtrat, verbunden mit dem Oberbürgermeisteramt, müsste doch solch eine Situation nicht von landesdirektionalen parteipolitischen Forderungen aus dem Kreis- oder Landtag abhängig machen, sondern eigenverantwortlich und intelligent auf Forderungen seitens der Befürworter dieser sinnlosen umweltbelastenden Maßnahmen der Müllentsorgung reagieren können.
Nun frage ich an dieser Stelle Herrn Mirko Schultze: Sind die politischen Organe in unserer Stadt noch in der Lage, eine Situation wie diese zu kippen? Sollten wir uns in diesem Fall vielleicht eine Petition zu Nutze machen, um Unterschriften als Aufforderung, dagegen zu stimmen, zu sammeln und zu verabschieden an die Verantwortungsträger dieses Unfugs?
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- Quelle: red | Fritz Rudolph Stänker
- Erstellt am 21.11.2012 - 08:27Uhr | Zuletzt geändert am 30.12.2022 - 22:41Uhr
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