Strukturwandel: Da stelle ma uns mal janz dumm
Görlitz, 2. Juli 2021. Der Zug für Görlitz noch nicht abgefahren, meint die Görlitzer Stadtratsfraktion von Motor Görlitz/Bündnisgrüne und freut sich, dass die ersten drei Görlitzer Projekte im Rahmen des Strukturwandels vom Regionalen Begleitausschuss (RBA) genehmigt wurden. Möglicherweise versteht jedoch unter Strukturwandel jeder etwas anderes?
Was unterstützt den Strukturwandel, was nicht?
Dass sich Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft nach Entwicklungsphasen auch tiefgreifend ändern können oder müssen, ist nichts Neues. Der Strukturwandel, wie er heute in aller Munde ist, meint den Abschied von der braunkohlebasierten Wirtschaft, die sich – vor allem um Arbeitsplätze und für die Kommunen das Gewerbesteueraufkommen zu sichern – einem Wandel hin zu zukunftsrobusten Wirtschaftsbereichen unterziehen soll; besser gesagt: Ein Industriezweig wird stillgelegt, neue Unternehmen mit stabilen und anständig bezahlten Arbeitsplätzen müssen her.
Wenn das der Anspruch ist, dann muss die Frage erlaubt sein, was die Freudenauslöser bei Motor Görlitz/Bündnisgrüne zum Strukturwandel beitragen. Satte 5,1 Millionen Euro soll der Görlitzer Tierpark erhalten, 85.000 Euro fließen in die den Ausbau und die Digitalisierung der Görlitzer Tourismusinformation, der Experimentierwerkstatt zur Energieeffizienz des CaTeeDrale-Vereins wird mit 77.000 Euro unter die Arme gegriffen. Allen sei's gegönnt, doch wäre das Geld bei den Görlitzer Wirtschaftsförderern nicht besser investiert gewesen? Die haben ihre Handlungsfähigkeit bei der Ansiedlung von Unternehmen längst bewiesen. Klar kann mit man mit Attraktivität, weichen Faktoren des Standorts und Lebensqualität argumentieren, doch damit einen Strukturwandel bewerkstelligen? Das Pferd scheint von hinten aufgezäumt: Gute Lebensbedingungen sind noch immer die Folge prosperierender Wirtschaft und nicht umgekehrt.
Moderne Straßenbahn in einer Mittelstadt nicht innovativ?
Getrübt wird die Freude bei Motor Görlitz/Bündnisgrüne allerdings dadurch, dass die Entscheidung über das Projekt der Görlitzer Verkehrsbetriebe auf November verschoben wurde. Hintergrund: Der RBA verlangt weitere Informationen zum Antrag "ÖPNV-Modellstadt", weil der Antrag zu sehr auf die Erneuerung der Straßenbahnflotte fokussiert sei und man den innovativen Ansatz nicht ausreichend erkenne. Aber vielleicht wird es ja innovativer, wenn ein paar Dieselbusse stärker einbezogen werden?Der Fraktionsvorsitzende von Motor Görlitz/Bündnisgrüne, Mike Altmann, würdigt indes, wie die Görlitzer Stadtverwaltung den Weg zu besserer Möbiltät in der Neißestadt angeht: "Unsere Fraktion hatte in den vergangenen Monaten wiederholt darauf gedrängt, ein modernes Mobilitätskonzept zu entwickeln, in dem sich die Visionen und Anforderungen an eine ÖPNV-Modellstadt widerspiegeln. Es ist positiv, dass der Oberbürgermeister sich nun auf den Weg durch die Stadtteile macht, um mit den Görlitzern über ihre Wünsche zum Verkehr in Görlitz zu sprechen. Wir regen an, dass darüber hinaus auch die Nutzer aus dem Umland befragt werden, welche Erwartungen es an einen modernen ÖPNV in Görlitz gibt. Für den Nahverkehr der Zukunft brauchen wir die Perspektive der Fahrgäste."
Strukturwandel als Chefsache
Altmanns Fraktion fordert Oberbürgermeister Octavian Ursu zudem auf, das Thema Strukturwandel zur Chefsache zu machen. Es brauche klare Zuständigkeiten und eine Arbeitsstruktur, die schnell, innovativ und reaktionsfreudig ist, sowie eine kontinuierliche Verständigung mit den regionalen Partnern und Kommunen im Landkreis. Beim Görlitzer Antrag "ÖPNV-Modellstadt" gehe es um viel mehr als um die acht Niederflurbahnen, denn die gesamte ÖPNV-Infrastruktur soll modernisiert und digitalisiert werden. Auf neuen Strecken wie etwa zum Klinikum könnten dann alternative Antriebe und autonomes Fahren erprobt werden. "Görlitz eignet sich wegen seiner überschaubaren Größe als Modellstadt für einen schienengebundenen Nahverkehr der Zukunft. Das ist der Kern des Projektes und wir unterstützen den OB, dafür zu werben", teilte die Fraktion mit.Mit Blick auf die gesamte Stadtentwicklung sei es in den kommenden Monaten wichtig, eine Strategie zu erarbeiten, so Altmann: "Wohin wollen wir Görlitz entwickeln, welche konkreten Vorhaben lassen sich daraus ableiten, welche Partner können wir uns dafür an die Seite holen und welche Fördertöpfe klug nutzen? Wir haben den Start etwas verschlafen aber noch ausreichend Zeit, um aufzuholen. Der Zug ist noch nicht abgefahren." Die Stadtratsfraktion von Motor Görlitz/Bündnisgrüne schlägt nun vor, den Wirtschaftsausschuss zu einem Arbeits- und Beratungsgremium für Themen des Strukturwandels aufzuwerten.
Mehr:
- Görlitzer Anzzeiger vom 1. Juli 2021: Das soll der Strukturwandel sein?
- Weißwasseraner Anzeiger: Artikelübersicht zum Strukturwandel
Kulturzuschlag:
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- Quelle: red/TEB | Foto: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 02.07.2021 - 09:43Uhr | Zuletzt geändert am 02.07.2021 - 12:24Uhr
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