Landkreis Görlitz hat Beschränkungen aufgehoben
Landkreis Görlitz, 15. Februar 2021. Seit heute ist im Landkreis Görlitz Beschränkung von Versorgungsgängen sowie von Sport und Bewegung im Freien auf einen Umkreis von 15 Kilometern nach § 2b Abs. 2 Sächsische Corona-Schutz-Verordnung (SächsCoronaSchVO) vom 12. Februar 2021 sowie über die Aufhebung der nächtlichen Ausgangssperre nach § 2c Abs. 2 SächsCoronaSchVO aufgehoben.
Sieben-Tages-Inzidenz weiter gesunken
Grundlage dafür ist die aktuelle Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung, wonach sächsische Landkreise die Ausgangssperre aufheben können, wenn der Inzidenzwert von 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen im jeweiligen Landkreis an fünf Tagen andauernd unterschritten wird. Per 14. Februar 2021 war das im Landkreis Görlitz der Fall, an diesem Tag wurde die Sieben-Tage-Inzidenz mit 88,63 je 100.000 Einwohner gemeldet. Die Landkreisverwaltung weist allerdings darauf hin, dass in den Nachbarlandkreisen Bewegungseinschränkungen gelten können und beim Aufenthalt dort zu beachten sind.
Kritik an der Verlängerung des Lockdowns – berechtigt?
Von Thomas Beier. Wirtschaftsverbände kritisieren die Verlängerung des Lockdowns über den 14. Februar hinaus. Der Landestourismusverband Sachsen e.V. fordert von den politischen Entscheidungsträgern in bemerkenswerter Anwendung der deutschen Sprache, "dass die über 200.000 Gastgeberinnen und Gastgeber auch im Sinne der Menschen in unserem Land Perspektiven bekommen." Forderungen hat etwa auch der Landesverband der freien Berufe Sachsen e.V., der fordert "schnelle, deutliche und vor allem verlässliche Perspektiven für die Wirtschaft". Das erinnert an einen Passagier, der im Orkan auf hoher See vom Kapitän schnelle, deutliche und vor allem verlässliche Perspektiven für die Weiterfahrt fordert. Hans-Joachim Kraatz ist Präsident dieses Verbandes. Von ihm ist in einer Mitteilung zu erfahren, "dass nun entgegen allen vorher vollmundig verkündeten Aussagen plötzlich erst ab einer Inzidenz von 35 weiter gelockert wird, verstehen wir nur bedingt. Dies ist nach unserem Verständnis kein wissenschaftlich begründeter Wert, sondern ein rein politischer und erscheint deshalb absolut willkürlich gewählt."
Ja, was denn sonst? Im Bestreben, eine Pandemie, die vor allem Ältere tötet und, wie inzwischen bekannt ist, bei vielen weiteren zu ernsthaften Post-Covid-Erkrankungen führt, in den Griff zu bekommen, brauchen Gesellschaft und Politik einen nachvollziehbaren Maßstab dafür, unter welchen Bedingungen das Pandemiegeschehen noch steuerbar bleibt. Dafür wurde der Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen gewählt, weil bis zu diesem Wert die Nachverfolgung von Infektionsketten durch die Gesundheitsämter noch möglich ist. Diese Nachverfolgung führt dazu, dass vorsorglich Quarantänen ausgesprochen und Infektionen zielgerichteter nachgewiesen werden können. Als Wert hätte anstelle von 50 ein anderer Wert in dieser Größenordnung gewählt werden können, aber die 50, auf die man sich geeinigt hat, schafft bundesweit einen klaren Maßstab zur Beurteilung des Infektionsgeschehens.
Klar ist aber auch: So lange die Pandemie existiert, wird jede Lockerung von Einschränkungen zu einem Anstieg der Infektionszahlen führen. Deshalb ist es nachvollziehbar, weitgehende Lockerungen erst ab einem Inzidenzwert von – vom Willen der Experten gekürten, also willkürlich festgelegten – 35 zuzulassen. Damit verbindet sich die Hoffnung, bei einem Anstieg der Infektionszahlen nach Lockerungen dennoch unter 50 zu bleiben beziehungsweise vor dem Erreichen dieses Wertes rechtzeitig neue Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Beeinflusst ist die Entscheidung für den Grenzwert von 35 sicherlich auch vom Auftreten und der Verbreitung der noch ansteckenderen Mutanten. Der Lockdown ist ein Spiel auf Zeit, bis eine ausreichende Durchimpfung erreicht ist oder, was zum Jahresende erwartet wird, ein Medikament gegen Covid-19 vorliegt.
Warum dürfen die Friseure, was andere nicht dürfen?
Doch der Drang nach Lockerungen ist groß und weithin wird nun gefragt, weshalb Friseure wieder öffnen dürfen und andere Bereiche noch nicht. Auch diese Frage kann beantwortet werden: Zunächst gibt es offenbar sehr viele Menschen, die ohne Friseur mit ihren Haaren nicht klarkommen; Bayerns Ministerpräsident hat den Haarschnitt sogar in Verbindung mit Menschenwürde gebracht. Die Sorge um die Haartracht anderer ist nichts Neues, wie jeder weiß, der mit der Beat-Generation aufgewachsen ist.Die Frisur besitzt einen höheren Stellenwert als das Gestalten von Fingernägeln, Schönheitsmasken und andere sogenannte körpernahe Dienstleistungen. Mit Sicherheit werden sich nun Kunden und Mitarbeiter in Friseursalons mit SARS-CoV-2 infizieren und das Virus weitergeben, hoffentlich nur sehr wenige, denn die Lage in den Salons sollte mit Vorsicht und Disziplin beherrschbar sein. Wer nun aber ruft "Bei mir wäre das doch ganz genau so!" muss daran erinnert werden, dass die Infektionsgefahr eben nicht bei Null liegt und mit der Zahl der geöffneten Geschäfte steigt. Rahmenbedingungen und Folgen sind oben beim Ziel-Inzidenzwert von 35 erläutert.
Viel Kritik, aber keine Lösungen
Kritisiert wird viel in diesen Tagen. Die EU habe sich bei der Impfstoffbeschaffung zu zögerlich verhalten und hätte viel mehr Geld in die Hand nehmen müssen – zu einem Zeitpunkt, als Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 noch gar nicht entwickelt waren, die Wirksamkeit und Verträglichkeit dessen, was da verimpft werden sollte, noch ebenso unklar war wie die Möglichkeit zur Massenproduktion. Wie schnell man sich den Unbill des Volkes einhandeln kann, zeigt ein Beispiel, bei dem ein Politiker Nägel mit Köpfen gemacht hat: Bundesverkehrsminister Scheuer hatte dem politischen Willen entsprechend die Einführung der Pkw-Maut vorangetrieben, dann ging’s schief – ein Schuldiger war schnell benannt. Wenn das bei den Vakzinen ebenso gelaufen wäre und man hätte keinen praktikablen Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden – das Spießrutenlaufen für Frau von der Leyen möchte man sich gar nicht ausmalen: Millionenbeträge in den Sand gesetzt, hätte es gehießen!Ganz aktuell steht die Grenzschließung zu Tschechien, das inzwischen den Notstand ausgerufen hat, wegen drastischer wirtschaftlicher Folgen in der Kritik. Doch welcher der Kritiker hat den Überblick, um die Lage zu bewerten? Die Frage ist doch: Glaubt wirklich jemand ernsthaft, die Regierung wolle der Wirtschaft schaden oder gar das Volk gegen sich aufbringen? Es ist die Kunst der Politik in einer Demokratie, das epidemiologisch Wünschenswerte so umzusetzen, dass es für die Betroffenen noch akzeptabel bleibt. Vor diesem Hintergrund kann eine Diktatur Anti-Epidemie-Maßnahmen konsequenter und erfolgreicher durchsetzen, zum Glück sind wir da aber stärker den Freiheitsrechten verbunden.
Wer jetzt für seine Branche oder sich ganz persönlich Erleichterungen und Lockerungen fordert, muss an das Wesen der Bundesrepublik erinnert werden: Ob man es nun Humanismus oder christliche Werte nennt, auf jeden Fall steht humanes Verhalten der Gesellschaft über den Interessen der Wirtschaft oder Einzelner, was in einem kapitalistischen System übrigens eine bemerkenswerte Leistung ist. Dass solche Anmerkungen Diskussionen auslösen, erscheint zwangsläufig, ändert aber nichts an der Tatsache.
Außerdem gilt der Grundsatz: Es ist, wie es ist, wie gehen wir mit der Situation um? In unsicheren Zeiten auf Grundlage unsicherer Daten und wenig absehbarer Entwicklungen getroffene Entscheidungen im Nachgang zu zerpflücken, mag einzelnen Vereinsfürsten Befriedigung verschaffen, bringt aber keine Lösungen. Entsprechend sieht Rolf Domke, Vorsitzender des Unternehmerverbandes Markersdorf e.V., wenig Sinn darin, in die Kakophonie der Bedenkenträger und Kritiker einzustimmen: "Dass der erneute Lockdown für viele Unternehmen und Selbständige eine wirtschaftliche Katastrophe sein kann oder ist, dass die viel zu wenig diskutierten psychischen Belastungen der Bevölkerung und die Spätfolgen von fehlender Beschulung und fehlenden sozialen Kontakten bei Kindern noch gar nicht abzuschätzen sind, wissen wir alle. Nur, welche Alternative bieten wir an?" Auch könne man nicht, so Domke weiter, die Angst vor einer dritten Welle, ausgelöst von den Mutationen der Viren, mit Argumenten aus der Welt schaffen, sondern nur mit Maßnahmen, die gegen die Pandemie wirken.
Coronaschutz in der Praxis
Schaut man sich als Otto Normalverbraucher überregional im öffentlich zugänglichen Bereich von Unternehmen um, trifft man das ganze Spektrum von Verhaltensweisen, vom absolut sorglosen Umgang mit der Infektionsgefahr bis zu angemessenen Vorsichtsmaßnahmen. Schon ein Besuch im Supermarkt ersetzt eine Feldstudie darüber, wie Anti-Pandemie-Maßnahmen akzeptiert werden: Werden die Masken so getragen, dass sie überhaupt etwas bewirken können – oder ist das Riechorgan als niesbetriebene Virenschleuder freigelegt? Wie viele Kunden nutzen die bereitgestellten Desinfektionsmittel? Wird das unverpackte Obst und Gemüse erst einmal abgetastet und durchsortiert, bevor sich jemand für ein Stück entscheidet? Wird auf den Abstand zu anderen geachtet? Diese Studie kann jeder selbst machen.Das Bild, das sich zeigt, spricht nicht unbedingt für schnelle Lockerungen. Verstöße gegen die Regeln Abstand – Hygiene – Atemwegsbedeckung werden ganz offenbar gesellschaftlich toleriert. Das stellt ein Problem dar bei den Bemühungen, pandemiebedingte Auflagen zu lockern, wenn der "Jetzt dürfen wir ja wieder"-Effekt alle Vorsicht überlagert. Ähnliches wäre zu befürchten, wenn es angesichts geringer lokaler Inzidenzwerte Lockerungen für einzelne Städte oder Regionen geben würde. So würden mit Sicherheit gelockerte Besuchsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden, was die Zahl der Infektionen wieder steigen lassen würde.
Sicherlich haben viele recht, die auf intelligente Hygienekonzepte verweisen, die vor allem den ausgebremsten Wirtschaftsbranchen helfen würden, wieder Umsätze zu machen. Andererseits: Werden die Konzepte zu wenig akzeptiert und eingehalten, ist nichts gewonnen. Und wie die Öffnung der Friseure zeigt, würde schnell eine “Me too!”-Welle entstehen, bei der viele – zu viele – auf die unterschiedlichsten Konzepte setzen würden. Man darf nicht vergessen: Die zweite Pandemiewelle ist so stark aufgeflammt, weil die Politik im November des Vorjahres keine starken Einschränkungen zumuten wollte. Dieser Fehler sollte beim Abklingen der Pandemie nicht wiederholt werden.
Ein Ausblick
Einschränkungen sind keine politische Willkür, sondern Reaktionen der Politik auf die Pandemie und auf die Empfehlungen von Experten. Das Gros der Antipandemie-Maßnahmen wird bleiben, bis die Impfungen – eventuell jährlich – breit akzeptierter Standard sind. Absehbar ist, dass bestimmte Maßnahmen Teil des Alltags werden, etwa die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln im Handel oder das freiwillige Tragen von Atemwegsbedeckungen zum Schutz anderer und zum Selbstschutz. Dass ein Mindestmaß an Infektionsvermeidung nützlich ist, zeigt zudem der aktuell starke Rückgang bei anderen Infektionskrankheiten.Landkreis Görlitz hat Beschränkungen aufgehoben
Von Muckenfuß am 16.02.2021 - 13:14Uhr
Liebe Redaktion,
vielen Dank für Ihren o.g. Kommentar zur Aufhebung von Beschränkungen im Landkreis Görlitz. Endlich mal jemand, der sachlich, kompetent und realistisch die derzeitige Situation aufzeigt. Ich schließe mich vollumfänglich Ihren Ausführungen an. Bitte weiter so. Es gibt in der gängigen Presse viel zu wenig derartige Kommentare zur derzeitigen Lage. Danke.
Mit freundlichen Grüßen
B. Muckenfuß
Görlitz
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- Quelle: red / Thomas Beier | Bildquelle: Alexandra_Koch, Pixabay License
- Erstellt am 15.02.2021 - 13:52Uhr | Zuletzt geändert am 15.02.2021 - 15:06Uhr
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