Weiter Teilzeit-Prohibition in Görlitz

Görlitz, 25.Juni 2016. Der hochwohllöbliche Görlitzer Stadtrat Görlitz hat am jüngsten Donnerstag mit deutlicher Mehrheit die Polizeiverordnung für ein örtlich und zeitlich begrenztes Alkoholverbot beschlossen. Das geht immer nur für ein Jahr, deshalb nun die Neuauflage, die heute in Kraft tritt. Der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege hatte vor der Beschlussfassung betont, das Alkoholverbot auf den ausgewählten Plätzen habe sich bewährt.

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Effekt des Verbots messbar

Thema: Bürgerbeteiligung

Bürgerbeteiligung

Lokalpolitik ist im besonderen Maße bürgernahe Politik. Wie gut sie gelingt hängt wesentlich davon ab, wie Stadträte und Verwaltung kommunizieren und wie intensiv sich die Bürger einbringen, beispielsweise im Zuge der Bürgerschaftlichen Beteiligung. In Görlitz soll es deren Ziel sein, dass die Bürger über die wichtigsten Projekte und Entscheidungen ihrer Stadt informiert werden sowie sich aktiv an politischen Entscheidungen beteiligen können und somit bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes mitwirken. Dabei sollen Beteiligungsräume es den Einwohnern ermöglichen, in einem definierten Rahmen und Verfahren Entscheidungen für ihr unmittelbares Wohnumfeld zu treffen.

In der Tat: Der Rückgang der Vandalismusschäden an Bänken, Hauswänden, Laternen ist messbar.

Weil sich auch Schulen an den Arealen, wo seit heute wieder von montags bis freitags je von 7 bis 18 Uhr die Alkohol-Prohibition gilt, befinden, setzte der Oberbürgermeister hinzu: "Wir wollen ja damit tagsüber Kinder und Jugendliche schützen."

Neben dem Wilhelmsplatz und der Elisabethstraße, die man glatt mit einem Platz verwechseln könnte, gilt das Tagsüber-Alkoholverbot auch auf dem bei Menschen aller Coleur beliebten Marienplatz, auf dem Demianiplatz und auf dem Postplatz, zum Leiden der dort zur weiteren Sanierung beschäftigten Bauarbeiter demzufolge auch im Baustellenbereich.

Wenn der Alkoholsum aber im Interesse jener Bürger, die dort sonst keinen Alkohol trinken, oder gar im Interesse des Stadtsäckels oder vielleicht auch einer Brauerei liegt, kann der Oberbürgermeister Ausnahmen erlassen. Auch für den Biergarten auf der Elisabethstraße wäre das naheliegend. Seitens der Stadtverwaltung wird das Straßentheaterfestival ViaThea als Ausnahmebeispiel angeführt - das allerdings sollte auch ohne Alkohol erträglich sein.

Für Oberbürgermeister Deinege ist die Görlitzer Alkoholregelung in Ordnung, denn auch viele Amtskollegen hätten beim jüngsten Hauptausschuss des Deutschen Städtetages ebenfalls intensiv das Thema Ordnung und Sicherheit auf öffentlichen Plätzen diskutiert. "Die Görlitzer Entscheidung für das Alkoholverbot hat da eine Symbolwirkung“, ist sich Deinege sicher. Zudem harmonisiere sie die Regelungen in der Doppelstadt, da auch im polnischen Teil Zgorzelec ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit besteht.

Dürfen die das denn überhaupt?

Auf Grundlage des Sächsischen Polizeigesetzes von 2011 als Ermächtigungsgrundlage darf in einem genau definierten öffentlichen Raum so ein Verbot wie in Görlitz erlassen werden. Ziel in Görlitz ist es, präventiv darauf hinzuwirken, dass Straftaten unter Alkoholeinfluss, so beispielsweise Eigentumsdelikte und körperliche Gewalt, zurückgedrängt werden. Außerdem verweisen die Görlitzer auf die Statistik, wonach sich der Präventionsgedanke wie auch die Verbotswirkung bestätigt haben.

Kommentar:

Dass "Cuba libre" weit weniger mit dem Befreiungskampf der Kubaner als mit einem wirksamen Gesöff zu tun hat, ist sicherlich auch im Görlitzer Stadtrat bekannt. Will sagen: Alkohol ist eine gesellschaftlich anerkannte Kulturdroge - wenn man sich an bestimmte Spielregeln hält.

Jene Leute, die tags mit dem Bierbeutel auf den Görlitzer Plätzen herumsaßen, sind der Gesellschaft allerdings so entfremdet, dass ihnen Spielregeln egal sind. Und genau deshalb müssen sie raus aus dem Stadtbild - es geht ja auch nicht, dass Schulkinder vorgeführt bekommen, in welche Situation die Gesellschaft, für die die Schule sie vorbereiten soll, sie bringen kann, von der Bigotterie jener, die sich auf der privaten Party "die Kante" geben, aber im Stadtbild die Realität nicht sehen wollen, ganz abgesehen. Auch für die Görlitz-Touristen ist der Anblick der sozial Gestrandeten im Stadtbild nicht zumutbar, oder?

Bei anderen keiner Droge ist der Umgang damit gesellschaftlich akzeptierter wie zugleich auch verlogener als beim Alkohol. An dieser Droge, die ständig verfügbar ist und in den Supermärkten ganze Regalreihen füllt, verdient der Staat über die Branntweinsteuer, die Schaumweinsteuer, die Biersteuer, die Zwischenerzeugnissteuer und die Alkopopsteuer, nicht zuletzt auch noch obendrein die Umsatzsteuer, Milliarden Euro. Zugleich ist Alkohol eine Droge, die viele Menschen ins soziale Elend führt, denn sie bringt Arbeitslosigkeit, Gewalt, den Verlust der sozialen Bindungen und körperlichen wie auch geistigen Verfall mit sich.

Sich als Stadt zwischen dem traditionell-kulturgeprägtem Umgang mit Alkohol, seinem Missbrauch und dessen Bekämpfung wie auch den wirtschaftlichen Interessen (wie wäre es mal mit einem alkoholfreien Stadtfest?) zu positionieren, ist schwierig, die Görlitzer Lösung aus dieser Sicht pragmatisch.

Heiter hingegen ist, was zur Wiederauflage des Alkoholverbots in einer Pressemitteilung der Görlitzer Stadtverwaltung kolportiert wird: "Somit ist ein weiteres Jahr untersagt, auf den Plätzen zu den beschriebenen Zeiten alkoholische Getränke zu konsumieren oder zum Zwecke des Konsums mitzuführen." Stimmt nicht ganz: Man darf alkoholische Getränke nur dann nicht im Gepäck haben, wenn die konkreten Umstände die Absicht erkennen lassen, dass sie dort getrunken werden sollen, wo es nicht erlaubt ist. Muss muss also mit Flachmann, Weinkiste und Bierbeutel nicht automatisch einen Bogen um die alkoholischen Sperrgebiete in Görlitz machen.

Sobald man aber in den Verbotszonen sein Fläschchen öffnet, wird es jedoch ordnungsrechtlich bedenklich: Die Ausrede, dass man den Wodka wegen der Zahnschmerzen braucht oder um den Tonkopf des Kassettenrecorders sauber zu halten, ist nicht mehr zeitgemäß,

glaubt Ihr Fritz R. Stänker

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Von C.S. am 01.08.2016 - 21:10Uhr
Während bei den Ausgaben für Drogenhilfe und Co. ständig gekürzt wird, werden tatsächliche Suchtbetroffene aus dem Stadtbild verbannt.Um es mit den Worten eines CDU-Stadtrates zu sagen: "Man verbietet, was dem Auge nicht gefällt" - ein wahrer Menschenfreund.

Mag ja sein, dass die Deliktzahlen am Marienplatz zurückgegangen sind, dafür werden sie sich in Zukunft jetzt auf den Rest der Stadt verteilen, auch wenn das nicht mehr so gut messbar ist.

Die sozialen Probleme der Menschen werden damit nicht weniger, nur unsichtbar für uns "normale" Menschen.

In vergangenen Zeiten hat man sogenannte "Asoziale" im Übrigen weggesperrt und umgebracht...

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  • Quelle: red | Foto: Hans / Hans Braxmeier, pixabay, Lizenz CC0 Public Domain
  • Erstellt am 25.06.2016 - 04:08Uhr | Zuletzt geändert am 25.06.2016 - 05:38Uhr
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