Weniger Denkmalschutz in Görlitz?

Görlitz, 23. Juni 2016. In der Sitzung am 23. Juni 2016 soll der Görlitzer Stadtrat seine Zustimmung zur Vorlage "Städtebauliches Entwicklungskonzept (SEKo) 'Lebendige Mitte' mit Stadtumbau-Matrix" geben. Das Stadtforum Görlitz findet diese Matrix äußerst bedenklich und hat deshalb allen Görlitzer Stadträten am 22. Juni 2016 einen Offenen Brief übergeben, den der Görlitzer Anzeiger im Wortlaut wiedergibt.

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Offener Brief des Stadtforums Görlitz vom 22. Juni 2016

Thema: Bürgerbeteiligung

Bürgerbeteiligung

Lokalpolitik ist im besonderen Maße bürgernahe Politik. Wie gut sie gelingt hängt wesentlich davon ab, wie Stadträte und Verwaltung kommunizieren und wie intensiv sich die Bürger einbringen, beispielsweise im Zuge der Bürgerschaftlichen Beteiligung. In Görlitz soll es deren Ziel sein, dass die Bürger über die wichtigsten Projekte und Entscheidungen ihrer Stadt informiert werden sowie sich aktiv an politischen Entscheidungen beteiligen können und somit bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes mitwirken. Dabei sollen Beteiligungsräume es den Einwohnern ermöglichen, in einem definierten Rahmen und Verfahren Entscheidungen für ihr unmittelbares Wohnumfeld zu treffen.

Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,

in der kommenden Stadtratssitzung am 23.06.2016 wird Ihnen die Beschlussvorlage „Städtebauliches Entwicklungskonzept (SEKo) „Lebendige Mitte“ mit Stadtumbau-Matrix“ zur Zustimmung vorgelegt werden.

Die Matrix führt zu einer Klassifizierung von Denkmalen. Abhängig beispielsweise von der Belegenheit, dem Alter, der Häufigkeit des Baustils werden Denkmale in Stufen von 1 – 11 klassifiziert. Je höher die Stufe, desto mehr Eingriffe werden in der Gebäudesubstanz zugelassen. Dies geht bis zur Duldung eines modernen Daches, Teilabrissen, modernen Bauteilen in der Fassade bis hin zum Vollabriss des Denkmals.

Die Stadtratsvorlage ist möglicherweise rechtswidrig. Das Sächs. Denkmalgesetz lässt es nicht zu, dass eine Klassifizierung von Denkmalen vorgenommen wird. Vielmehr geht das Sächs. Denkmalschutzgesetz von einer Einheitlichkeit des Denkmals aus. Würde der Beschluss gefasst und umgesetzt, geschieht genau das, was der Gesetzgeber nicht wollte. Görlitz als Flächendenkmal wird zerstört. Die bisherigen denkmalgerechten Sanierungen werden ad absurdum geführt.

Die Ausführungen des Beschlusses zeigen sich exemplarisch an folgenden Vierteln der Stadt:

  • In den Quartieren entlang der unteren Krölstraße, Hartmannstraße, Hospitalstraße, Berliner Straße, Jakobstraße sind viele Häuser grundsätzlich saniert. Nun soll durch die Matrix bei fast allen die Veränderung der Straßenfassade zugelassen werden, es wäre sogar ein Teilneubau möglich.

  • Auch im kompletten Bereich Innenstadt West, westlich von Leipziger Straße und Dresdener Straße, trifft das zu. Nur dass hier wegen der Einstufung als Randzone zusätzlich Dachneubauten und Aufstockungen möglich werden.

Wenn Sie, verehrte Stadträte, das Stadtbild des Flächendenkmals Görlitz zerstören wollen, nur zu! Allerdings wird im Nachgang zu prüfen sein, wer hierfür schadenersatzpflichtig ist und die Verantwortung zu übernehmen hat. Ihnen dürfte bekannt sein, dass auch Stadträte bei rechtwidrigen Beschlüssen haften!

Wir gehen davon aus, dass Sie Ihrer Verantwortung als Stadträte in Ansehung der Würde Ihres Amtes gerecht werden.

Denn Görlitz ist eine Denkmalstadt, auf die wir alle stolz sein können. Sie lebt nicht vom Einzeldenkmal, sondern glänzt als Flächendenkmal mit ablesbarer Bausubstanz aus vielen Schaffensepochen. Ohne Not wollen Sie jetzt die Geschlossenheit des Stadtbildes opfern?

Stadtentwicklung bedarf eines langen Atems, Schnellschüsse schaden nur. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass auch ohne Aktionismus Neues entsteht. Es siedeln sich junge Unternehmen in großherrschaftlichen Villen an, wir haben steigende Nachfrage in der Gründerzeit, die Touristenzahlen steigen, längst abgeschriebene Flaniermeilen finden behutsam zu neuem Leben. Junge Familien ziehen in die großzügigen Wohnungen der Innenstadt, in verwaisten Ladengeschäften gründen sich alternative Unternehmensformen, wie beispielsweise in der unteren Jakobstraße.

Wir dürfen Ihnen versichern, dass das Stadtforum Görlitz selbstverständlich auch zukünftig die Entwicklungen im Bereich der Görlitzer Denkmalpflege aufmerksam beobachten und konstruktiv begleiten wird.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Göttsberger

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  • Quelle: red
  • Erstellt am 23.06.2016 - 02:16Uhr | Zuletzt geändert am 23.06.2016 - 02:28Uhr
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