Schwarzer Tag für die Lausitz
Bautzen, 3. April 2014. Gestern hat der Regionale Planungsverband Oberlausitz-Niederschlesien die Fortschreibung des Braunkohlenplans Tagebau Nochten (Nochten 2) genehmigt. Damit ist die letzte Hürde gefallen und rund 1.700 Menschen im sorbischen Kernland müssen umsiedeln. Möglich ist das auf Basis des von den Nationalsozialisten geschaffenen Bergrechts.
Fritz R. Stänker: "Früher hatten wir Funktionäre, heute haben wir Funktionierende"
Damit haben die Verantwortlichen des Planungsverbandes - oder sollten wir deren Mehrheit die Verantwortungslosen nennen? - das Undenkbare wahr gemacht: Nicht nur einen weiteren schweren Eingriff in die Natur, sondern vor allem in die Kultur des sorbischen Volkes.
Kultur, Traditionen und Sprache lassen sich nicht so einfach Umsiedeln wie Menschen. Und auch für die ist es nicht einfach angesichts von Zuckerbrot und Peitsche: Freilich mag mancher froh sein über ein neues Haus (auch in der Gewissheit, dass die Umsiedlung nicht zu vermeiden ist), doch wer ein Leben lang das Erbe seiner Vorfahren bewahrt hat und bleiben möchte, für den wird es schwer - er wird von seiner Heimat vertrieben. Psychologisch durchdachte Vorgehensweisen und die Gruppendynamik bewirken, dass die Menschen angesichts der Unausweichlichkeit sich auf die Vorteile der Umsiedlung konzentrieren. Was bleibt ihnen sonst auch. Wer vor diesem Hintergrund auf die Zustimmung der Menschen zur Umsiedlung verweist, irrt: Es sind stets individuelle Abwägungen, die die Zerstörung des über Jahrhunderte entstandenen kulturellen Lebensraumes in seiner Gesamtheit zulassen.
Mit Nochten 2 sichert sich der schwedische Vattenfall-Konzern strategisch Pfründe, die nach Expertenmeinung zum Betrieb des Braunkohlekraftwerks Boxberg/O.L. gar nicht nötig sind. Und was nützt die beste Braunkohlenverstromungstechnologie, wenn sie doch im Kern vorsintflutlich bleibt: Bloßes verbrennen von Bodenschätzen mit allen nachteiligen Folgen für Mensch und Umwelt, legitimiert durch eine Grundlasttheorie zur Stromversorgung, die intelligente lokale Stromnetze mit sowohl flexibler Stromerzeugung wie auch flexibilisiertem Stromverbrauch unbeachtet lässt.
Erst das nationalsozialistische Deutschland hat die Möglichkeit zur Enteignung von Grund und Boden in das Bergrecht eingeführt - schließlich zählte der Volksgenosse wenig, wenn es um die Sache ging. Später wurde das Nationale erstmal weggelassen, es ging um die Sache des Sozialismus, der sich der massenorganisierte Einzelne unterordnen musste. Dies verhängnisvolle Denkweise scheint noch immer tief verankert. Der heutige Rechtsstaat sollte jedoch die Rechte des Individuums schützen und wenn er schon das nicht kann, dann wenigstens das Recht einer Minderheit auf Heimat, Sprache und Kultur. Genau das aber wird mit der beschlossenen Devastierung massiv eingeschränkt.
Früher hatten wir Funktionäre, heute haben wir Funktionierende,
meint Ihr Fritz R. Stänker
Update vom 4. April 2014
In der Facebook-Gruppe "Treffpunkt Görlitzer Politik" hat der Görlitzer Anzeiger Prof. Joachim Schulze, Mitglied im Regionalen Planungsverband, gefragt, wie er sich "bei diesem gewiss nicht einfachen Thema" (dem Nochten 2 Beschluss) positioniert.
Seine Antwort: "Hallo Herr Stänker, die ablehnende Position von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Braunkohle bzw. Nochten II dürfte bekannt sein. Auch ich persönlich habe mich im Kreistag dazu eindeutig geäußert. Wir hatten übrigens durchgesetzt, dass überhaupt über Nochten II gesprochen wird. Ich bin - formal gesehen - Stellvertreter von Landrat Lange im Planungsverband, d.h. nur dann stimmberechtigt, wenn er nicht da ist. Dennoch habe ich im Planungsverband bzw. Braunkohlenausschuss in früheren Sitzungen zur Erweiterung ablehnend gesprochen = Link folgt gleich.......An der letzten Sitzung konnte ich wegen dingender dienstlicher Verpflichtungen in meinem Beruf nicht teilnehmen."
Hier der Link zum Beitrag von Prof. Dr. Joachim Schulze auf der Webseite der Görlitzer Bündnisgrünen: Nochten II wird uns teuer zu stehen kommen!
Zitate aus dem Beitrag:
"Diese Vorgehensweise ist befremdlich. Vom wissenschaftlichen Standpunkt her ist sie grob fehlerhaft, demokratietheoretisch könnte das so gewertet werden, dass die planende Verwaltung dem ehrenamtlich arbeitenden Mandatsträger offenbar nur bestimmte Informationen zukommen bzw. fehlerhafte Annahmen lässt und ihn damit in seiner freien Mandatsausübung behindert."
"Die Planung verfolgt einen höchst eingeschränkten Blick auf das Thema „Sozialverträglichkeit“, (im wesentlichen Bewertungsfragen der Immobilien) der offenbar ohne fachwissenschaftliche Grundlagen getroffen wird (...)"
"Dass hier lediglich auf Ergebnisse einer offenbar erfolglosen Wirtschaft- und Strukturpolitik aus der Vergangenheit gegründet eine Zukunftsextrapolation erfolgt, ist sowohl ein Armutszeugnis für die Politik, der man offenbar nichts zutraut, bzw. man geht davon aus, dass diese Politik und die sie tragenden Kräfte so bleiben, andererseits ist es methodisch fehlerhaft. Es fehlt die Auseinandersetzung mit alternativen Entwicklungsszenarien, es wurden auch hier offenbar keine Untersuchungen angestellt bzw. Gutachten eingeholt."
"Ich trete hier den Ausführungen von Philipp-Gerlach/Teßmer (2013, S. 46-54) bei, die folgend in zwei Kernaussagen zitiert werden. Die Autoren beziehen sich ausdrücklich auf die breit dargestellten Ausführungen zu den Umsiedlungsfolgen über Belastungen der körperlichen Unversehrtheit hinaus, insbesondere die Folgen von Vertreibung und leiten dann Fragen der Grundrechte ab (u.a. Freiheitsrechte, Recht auf Heimat)."
"Die Verbandsräte sollten sich nicht dem möglichen Vorwurf grob fahrlässigen Handelns aussetzen bezogen auf mögliche, ganz erhebliche Lasten von vielleicht mehreren hundert Millionen Euro, die für den Staat bzw. die Allgemeinheit anfallen könnten."
Nochten II
Von Prof. Dr. Joachim Schulze am 04.04.2014 - 09:26Uhr
Mein Dank an den Görlitzer Anzeiger, der eine klare und ablehnende Position gegen Nochten II einnimmt und damit eine rühmliche Ausnahme in der regionalen Presselandschaft einnimmt.
Wir haben es mit einer Fehlentscheidung zu tun, die nicht nur vielen Menschen die Heimat kostet, Umwelt zerstört, sondern auch auf Jahrzehnte mögliche alternative Wirtschaftsentwicklungspfade für die Lausitz blockiert.
Mit Interesse verfolgen wir die Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen und setzen uns für politisch bessere Zeiten der Energiepolitik in Sachsen ein.
Trauerflor zum "Tag der Oberlausitz"
Von Fritz R. Stänker am 04.04.2014 - 05:11Uhr
Eben habe ich in der Facebook-Gruppe "Oberlausitz" vorgeschlagen, zum "Tag der Oberlausitz" am 21. August 2014 die Fahnen mit einem Trauerflor zu versehen für die Menschen, die für den endgültig genehmigten Tagebau Nochten 2 ihre Heimat verlieren.
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- Quelle: red | Fritz R. Stänker | Fotos: www.goerlitzer-anzeiger.de
- Erstellt am 03.04.2014 - 07:03Uhr | Zuletzt geändert am 05.04.2014 - 07:35Uhr
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