Dr. Ernst Kretzschmar 80 Jahre

Görlitz, 23. August 2013. Der Historiker Dr. Ernst Kretzschmar erforscht und vermittelt seit mehr als 50 Jahren die Görlitzer Stadtgeschichte. Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen sowie seine Vortragstätigkeit haben ihn bekannt gemacht und weisen ihn als Kenner der preußischen Geschichte der Stadt aus.

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Als Flüchtling Görlitzer geworden

Geboren wurde Ernst Kretzschmar am 26. August 1933 im Osten Brandenburgs in Meseritz, dem heutigen Międzyrzecz, etwa 60 Kilometer östlich von Frankfurt (Oder). Sein Vater, ein städtischer Finanzbeamter, verstarb bereits im Jahr 1940. Die Mutter war von Beruf Putzmachermeisterin, abgeleitet von "aufputzen"; Putzmacher fertigten Hüte für die Damen und waren das Pendant zum Hutmacher.

Eine jüngere Schwester Kretzschmars, mit der er sehr verbunden ist, lebt ebenfalls in Görlitz. Das was man Kindheit nennt, endete für Kretzschmar in Meseritz abrupt am 29. Januar 1945 durch die vorrückende Rote Armee. Nach anderthalb Jahren Flüchtlingsleben in der Prignitz folgte die Umsiedlung nach Görlitz.

Hier in Görlitz, wo seine Großmutter lebte, legte Ernst Kretzschmar 1952 das Abitur ab. Schon in der Schulzeit engagierte er sich für Kultur und leitete das Schülertheater. An der Landeshochschule Potsdam studierte Kretzschmar Geschichte mit Lehramtsbefähigung, stand dem Hochschulfunk vor und trat im Studentenkabarett auf.

Ein Faible für preußische Geschichte


Zahlreich waren Besuche der Museen und Theater im nahen Berlin. Berlin und die preußische Geschichte waren und blieben bis heute die große Leidenschaft des Jubilars. Dennoch kehrte er 1959 nach Görlitz zurück. Anlass dafür war unter anderem auch die Unterstützung der allein lebenden Mutter. Er wurde Lehrer für Geschichte und Deutsch an der Frédéric-Joliot-Curie-Schule.

Neben der Lehrtätigkeit entstand 1968 seine Promotion zur Geschichte der Erziehung. Die Forschungsarbeit mündete in die Veröffentlichung des Heftes "450 Jahre höhere Schulbildung in Görlitz“.

Museum als Ort für Alltagsgeschichte


Im Jahr 1974 begann Ernst Kretzschmar als Historiker bei den Städtischen Kunstsammlungen. Dort erarbeitete er im Barockhaus Neißstraße 30 eine ständige Ausstellung über den Künstler und Literaten Johannes Wüsten, die dort von 1976 bis 1999 zu besichtigen war. Kontakte zu Künstlern, Familienangehörigen und Freunden Wüstens ermöglichten ihm, eine große Sammlung an Gemälden, Grafiken und Schriftzeugnissen für das Museum zusammenzutragen.

Gleichzeitig entstand im Museum der Plan, in den nächsten Jahren wechselnde Ausstellungen zu verschiedenen stadtgeschichtlichen Themen und Epochen zu organisieren. Schon die erste unter dem Titel "Als Opa noch ein kleiner Junge war. Görlitz um 1900“ war ein großer Erfolg. Als Handreichung für Lehrer entstand ein Bildheft "Görlitz um die Jahrhundertwende“, von dem insgesamt 30.000 Exemplare gedruckt wurden. Weitere sieben Bildhefte zu unterschiedlichen Epochen entstanden erschienen bis 1992 in der Schriftenreihe des Museums. Als letztes wurde "Görlitz als mittelalterliche Handels- und Gewerbestadt“ veröffentlicht. Die Ausstellungen zur Stadtgeschichte wie "Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut. Görlitz 1945 bis 1950“ oder "Zwischen Biedermeier und Märzrevolution“ bescherten dem Museum zahlreiche Besucher.

Das Konzept, Alltagsgeschichte zu zeigen und die Bevölkerung zu animieren, Objekte und Fotos dem Museum zur Verfügung zu stellen, erwies sich als sehr erfolgreich und erschloss damals neue Besuchergruppen. Die Gründung eines Jugendklubs, die alljährlich stattfindenden Museumstage der Arbeiterjugend und Lichtbildervorträge als Begleitveranstaltungen zu den Ausstellungen erreichten ein breites Publikum. Unter der Regie der Museumspädagogin Ingrid Rosin und Ernst Kretzschmars etablierte sich im Jugendklub das szenische Spiel zu historischen Themen.

Im Unruhestand

Im Dezember 1995 beendete Ernst Kretschmer mit 62 Jahren den aktiven Dienst im Museum. Auch als Ruheständler zog er sich nicht auf sein Altenteil zurück, sondern blieb dem Museum und der Geschichte der Stadt durch Vortragstätigkeit, Stadtführungen zu Spezialthemen des 19. Jahrhunderts und der großzügigen Vermittlung seines hohen Fachwissens an Kollegen, Schüler und Studenten erhalten.

Auch das Theaterspiel begleitet ihn bis heute. Allein "Der Gottesacker blüht“, ein erstmal 1999 gezeigtes Spektakel des Regisseurs René Harder auf dem Görlitzer Nikolaifriedhof erlebte zahlreiche Aufführungen. Die monatlichen Görlitzer Sagenspiele, zu denen Kretzschmar als Nachtwächter die Besucher an unheimliche und sagenhafte Orte der Stadtgeschichte führt, erfreuen sich nach wie vor größter Beliebtheit beim Publikum und halten den Jubilar jung. Seit einigen Jahren veröffentlicht er zahlreiche Hefte zur Geschichte von Straßen und Plätzen dieser Stadt.

Was sich das Geburtstagkind wünscht? Vor allem Zeit, um noch viele seiner Forschungsergebnisse zur jüngeren Stadtgeschichte zu veröffentlichen sowie Kraft und Gesundheit. Die Mitarbeiter der Görlitzer Sammlungen schließen sich dem an und danken dem Jubilar für die unermüdliche Unterstützung.

Kommentare Lesermeinungen (5)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Nachruf 16.12.2020 +

Von Schmidt Hans-Gerd am 22.06.2023 - 10:16Uhr
Ich habe 1962 an der EOS Görlitz mein Abitur gemacht. Genosse Kretschmar war damals Staatskundelehrer und Parteisekretär der Schule. Er hat so manchen Abiturienten das Studium wegen Unparteilichkeit vermasselt. Eine "rote Socke" durch und durch, gefürchtet unter Schülern und Eltern. Und so einer erfindet sich nach der Wiedervereinigung als Historiker und Heimatvertriebener. Ein absoluter "Wendehals"

Dr.med. H.-G. Schmidt

Geschichtliche Beiträge

Von Wolfgang Brocke am 09.06.2018 - 11:32Uhr
Herr Dr. Ernst Kretzschmar hat durch seine jahrzehntelange Tätigkeit ein unersetzliches Geschichtswissen gespeichert. Die entspricht auch den Literaturquellen wie: "1939, der Krieg, der viele Väter hatte" und
"Sie wollten den Krieg" von W. Effenberger.

Gleichzeitig kann man nicht genug auf die unwahrscheinlich hohe wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Görlitz hinweisen, die mit der Zugehörigkeit der Stadt zu Preußen begann, und die wir heute noch an vielen Bauten bewundern können. Leider werden und wurden die Industriezentren der Stadt die damals entstanden, regelrecht kaputtgemacht, und damit die eigentlichen Grundlagen für Politik, Hochschulen und Wohlstand!

Dr. Ernst Kretzschmar ist einer der wenigen Mutigen, die gegen die 1945 festgeschriebene Geschichtsfälschung durch die Siegermächte antreten.
Wir sollten ihm dankbar sein und in seinem Sinne argumentieren!

Dr. Ernst Kretschmer

Von Wolfgang Herrmann am 07.06.2018 - 21:52Uhr
Vielen Dank für die vielen Veröffentlichungen, besonders die Vorworte in den Stadtbild-Ausgaben, welche leider von unseren Stadtoberen kaum zur Kenntnis genommen werden, sowie die vielen immer interessanten Vorträge und auch schauspielerischen Leistungen (z.B. in Königshain).

Ich kann nur auf eine große und lange Gesundheit hoffen, denn die Lücke, die Dr. Kretschmer eines Tages in Görlitz reißen wird, kann keiner schließen, auch keine Schönredner im Rathaus.

Wolfgang Herrmann

Dr. Kretzschmar: Ihre Artikel im Stadtbild

Von Wolfgang Brocke am 19.03.2016 - 11:53Uhr
Sehr geehrter Herr Dr. Kretzschmar,

vielen Dank für Ihre Artikel im Stadtbild. Sie sprechen mir aus der Seele. Ich sammle diese Artikel und möchte diese gerne mit E-Mail an meine Verwandtschaft, Freunde und Bekannte weitergeben. Diese haben alle eine recht enge Bindung zu Görlitz. Bitte geben Sie mir Ihre Zustimmung dazu.

Ich freue mich auf viele weitere Ihrer Schriften!

Mit herzlichen Grüßen

Wolfgang Brocke

Verdienstvolle Tätigkeit

Von M. Leuart am 09.06.2014 - 18:37Uhr
Nicht zu vergessen seine Verdienste um die Bewertung des Eigentums von Ausreiserfamilien!

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  • Quelle: red | Foto: Kulturhistorisches Museum Görlitz, 2013
  • Erstellt am 23.08.2013 - 00:07Uhr | Zuletzt geändert am 23.08.2013 - 00:07Uhr
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