"Bautzener Appell“ gegen neue Einkaufszentren in den Innenstädten

Oberlausitz, 29. November 2012. Der "Oberlausitzer Städtebund" vereint Bürgerinitiativen aus Bautzen, Zittau, Görlitz und Hoyerswerda sowie einen Immobilienbesitzer-Verband aus Bautzen, die sich gegen aus ihrer Sicht zu große neue Einkaufszentren in den Innen- und Altstädten wenden. Mit ihrem aktuellen "Bautzener Appell" wollen Sie der Öffentlichkeit Fakten und Hintergrundwissen zu den Auswirkungen neuer innerstädtischer Einkaufscenter vermitteln.

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Der "Bautzener Appell" im Wortlaut

Das nachstehend im Wortlaut wiedergegebene Dokument gibt nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die Auffassung der Verfasser wieder.

Oberlausitzer Städtebund gegen Einkaufszentren in der Innenstadt
"Bautzener Appell“

Vertreter von Bürgerinitiativen aus Bautzen, Zittau, Görlitz und Hoyerswerda trafen sich am 24. Oktober 2012 in Bautzen, um als „Oberlausitzer Städtebund“ gemeinsam gegen die unvernünftige und verantwortungslose Politik der betreffenden und miteinander konkurrierenden Stadtverwaltungen vorzugehen, völlig überdimensionierte Einkaufszentren mitten in die Altstädte zu setzen. Für diese vermeintliche „Belebung der Innenstädte“ werden nicht nur der einheimische Einzelhandel und das historisch gewachsene Stadtbild schwerwiegend beeinträchtigt, sondern auch offen zugegeben, dass man sich gegenseitig die Kaufkraft abschöpfen will. Diese insgesamt ruinöse, auf rein persönlichem und wirtschaftlichem Standortvorteil beruhende Politik ist mehr als kurzsichtig und gefährdet nicht nur nachhaltig die eigene Lebensbasis und Identität, sondern auch die der Gemeinden und kleineren Städte des unmittelbaren Umfeldes.

Die Teilnehmer des Treffens stellten gemeinsam fest, dass es einerseits nicht nur erschreckend gemeinsame Parallelen im Ablauf der Planungsverfahren und einer viel zu späten Information der Bürger bzw. einer ungenügenden Bürgerbeteiligung gibt, sondern andererseits das massive Ausbluten einheimischer Potentiale zugunsten von fremden Großinvestoren zugelassen wird, was es unbedingt zu verhindern gilt. Im Sinne von „Regional denken - Städtisch handeln“ versteht sich das Regionalbündnis als parteiunabhängige Plattform zur Vernetzung vorhandener Potentiale und zur gemeinsamen Durchsetzung der frühzeitigen Bürgerbeteiligung bei stadtplanerischen Vorhaben. Deshalb wurden die besorgniserregenden Fakten zu einem „Bautzener Appell“ zusammengefasst, um regional und überregional vor der möglichen Katastrophe in Oberlausitzer Städten zu warnen und eine breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen:

Seit etwa 20 Jahren drängen deutschlandweit großflächige Einkaufszentren aufgrund hoher Gewinnerwartung in innenstädtische Bereiche. Nun soll auch der historisch-verträumte Charme Oberlausitzer Innenstädte überdimensionierten Einkaufszentren, aufgrund von einseitigen und kurzfristig orientierten Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen geopfert werden. Die Verantwortlichen von Bautzen, Zittau, Görlitz und Hoyerswerda wollen darüber die Innenstädte neu beleben, starke Wachstumsimpulse setzen, und erhoffen sich wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung und einen regionalen Standortvorteil gegenüber ihrem Umfeld.
Wir verurteilen diese leichtfertige und illusionäre Handlungsweise der Städte und mahnen einen verantwortlichen Umgang mit dem unverwechselbaren Stadtbild und den dazugehörigen einzigartigen Denkmalen an. Authentisch gewachsene Stadtstrukturen und die kleinteilige Handels- und Geschäftslandschaft in unserer Region haben nicht nur eine prägende und identitätsstiftende Funktion, sondern sind wichtige Voraussetzungen für eine lebenswerte Umwelt. Dieser ist nicht durch Wirtschaftlichkeit und moderne Technik allein bestimmt, sondern durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten in der Region, von öffentlichen und individuellen Plätzen, vom Vertrauen auf Bestandsschutz und dem Recht auf Privatsphäre. Unsere Oberlausitz, mit ihrer nahezu noch unbeschädigten historischen Häuserlandschaft, die von ihren Bewohnern geliebt und geschätzt, von Touristen aus aller Welt wegen ihrer Schönheit gern besucht wird, wurde 2011 zum wachstumsstärksten Ziel Sachsens ausgewiesen. Die florierende Tourismusbranche ist nicht nur ein schöner Nebeneffekt, sondern wird zukünftig in unserer eher landwirtschaftlich geprägten Region zu einem immer wichtiger werdenden Wirtschaftsfaktor für die weitere Gesamtentwicklung der Oberlausitz. Daher müssen vorhandene Potentiale in diesem Sinn neu bewertet, langfristig und zielgerichtet zu einer breiten, qualitativ hochwertigen, regionalen Angebotspalette entwickelt werden. Bewahrung von kulturellem Erbe und sinnstiftende Denkmalpflege entspricht jedoch auch der Forderung nach Umweltschutz und Nachhaltigkeit, weil durch die Nutzung der bestehenden Bausubstanz eine zunehmende Flächenversiegelung verhindert wird.

Aber neben der geplanten Verschandelung des historischen Flairs unserer Städte droht vor allem der wirtschaftlichen Binnenstruktur, besonders den kleineren Einzelhändlern und Hausbesitzern, der wirtschaftliche Ruin. Unsere Städte weisen seit Jahren großen Leerstand auf, und das nicht nur bei Ladengeschäften. Da der Verkaufsflächenindex in unserer Region mit durchschnittlich ca. 2,6 m² jetzt schon weit über dem Bundesdurchschnitt von 1,5 Quadratmeter pro Einwohner liegt, in Bautzen aktuell sogar über 3,2 m², wirkt der derzeitig hohe Leerstand noch alarmierender und unterstreicht die Unsinnigkeit weiterer neuer Einkaufscenter. Seit den 90ger Jahren ging die Kaufkraft bundesweit bis heute um 20 Prozent zurück, bis 2025 werden für die Oberlausitz weitere 19 Prozent Kaufkraftrückgang und ein Bevölkerungsrückgang von 58.000 prognostiziert. Die demographische Entwicklung hat sich so weit zugespitzt, dass die bisherige Wirtschaftsweise nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dem unverhältnismäßigen Konkurrenzdruck der großen Center mit ihrer vielfältigen und oft preiswerteren Angebotspalette konzentriert unter einem trockenen Dach, den längeren Öffnungszeiten und ausreichenden Parkplätzen, werden viele der einheimischen Einzelhändler nicht Stand halten, denn der Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Zusätzliche Steuereinnahmen sind in den ersten 10 Jahren durch die hohen Abschreibungen zu vernachlässigen, die Gewinne werden überwiegend ganz woanders versteuert. Der Mittelstand ist die Basis der Wirtschaft, er ist der Arbeitskräftefaktor Nummer eins und zugleich der kommunale Steuerzahler. Das darf nicht aufs Spiel gesetzt werden!

Werden die neuen Center zur aktiven Sterbehilfe für noch weitere Geschäfte? Steht uns eine neue Verarmung unserer bis heute nahezu unbeschädigten und für Besucher so attraktiven Innenstädte mit besonderem historischem Flair bevor? Wenn die unsinnigen Centerpläne nicht vereint gestoppt werden, sterben zuerst die mittelständischen Einzelhandelsgeschäfte, nachfolgend die Hausbesitzer, die ihre Läden nicht mehr vermieten können, dann kränkelt der städtische Haushalt und dann bröckeln die Fassaden. An der globalen Umweltkrise wird deutlich, dass Probleme nicht mehr im Alleingang oder einzig über Steigerung von Wachstumsraten gelöst werden können. Dieses Denken ist illusionär und gefährdet unser aller Existenz. Deshalb mahnen wir dringend die Umsetzung des Landesentwicklungsplanes 2012 an, in dessen Entwurfsfassung verankert ist: „Innenstadtbereiche und der vor 1949 bestehende Bestand sind zu stärken, Brachflächen zu renaturieren und zu rekultivieren. Zur Gewährleistung von Nachhaltigkeit bedarf es einer regional abgestimmten, d.h. einer gemeinsamen konzeptionellen Untersetzung und überregionalen Kooperation.“

Bürgerinitiative „LauenPark“ zur Rettung der Goschwitzstraße aus Bautzen
Bürgerinitiative „Bessere Mitte“ aus Zittau
Stadtforum Zittau
Stadtforum Görlitz e.V.
Bürgerinitiative „Initiative Kaufhaus“ aus Görlitz
Bürgerinitiative Hoyerswerda „Zoowiese“
Verein der private

Mehr:
Stadtentwicklung Bautzen fast sieben Jahre später

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Warum erst jetzt?

Von Th. E. Müller am 29.11.2012 - 10:17Uhr
Leider bin ich nicht in der Lage genau zu sagen, ob es der erste Kommentar dieser Art in der Oberlausitz ist, dennoch bin ich, mit Blick auf die (nicht nur) historischen Innenstädte, der Meinung, dass dieses Schriftstück gute 15 Jahre zu spät kommt.

Dennoch überrascht mich diese städtebündische Aktivität äußerst positiv. Auf Lösungsansätze einerseits der innerstädtischen, aber insbesondere der ruralen Defizite darf man also weiterhin gespannt sein.

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  • Quelle: red
  • Erstellt am 29.11.2012 - 09:27Uhr | Zuletzt geändert am 13.08.2019 - 15:12Uhr
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