Deutsches zum Erinnern: Die Kampfgruppen

Görlitz, 20. April 2012. Von Thomas Beier. In der Erinnerung erleben wir die Gnade des Vergessens, ganz besonders des Unangenehmen, des Schlechten, des Bösen – wodurch jedoch auch nachträglich nichts besser wird. Für die jüngere Generation dürfte es seltsam anmuten, dass Menschen in der DDR freiwillig – aus Überzeugung, aus Karrieretrieb oder um eventuellen Nachteilen zu entgehen – zur Freizeitkriegern wurden mit der Bereitschaft, auf andere zu schießen. Wobei „Freizeitkrieger“ eine verharmlosende Bezeichnung ist, waren die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ oder „Betriebskampfgruppen“ doch eine paramilitärische Organisation, die an die Betriebe angegliedert war. Die Bezeichnung „Kampfgruppen“ war, als Treppenwitz der Geschichte, der Wehrmacht und der jungen Bundeswehr entlehnt.

Anzeige

Mit der Waffe in der Hand

Die „Genossen Kämpfer“ der Kampfgruppen bekannten sich zur „Verteidigung der Errungenschaften des Arbeiter- und Bauernstaates mit der Waffe in der Hand“. Als Kommandeure fungierten SED-Genossen. Mehrmals im Jahr ging es zu militärischen Übungen und Schulungen, oft verbunden mit ausgiebigen Feiern oder sogar Gelagen. Selbst bei betrieblichen Feiern wurden Kampfgruppen-Angehörigen besser gestellt: Verbürgt ist ein Görlitzer Betriebsjubiläum, bei dem die „Genossen Kämpfer“ in der Stadthalle separat von der restlichen Belegschaft im Kleinen Saal bei besserer Versorgung feierten.

Der SED direkt unterstellt

Operativ wurden die Kampfgruppen in den DDR-Bezirken von der „Bezirkseinsatzleitung“ geführt, deren Chef der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung war, als Stabschef fungierte der Leiter des Wehrbezirkskommandos der NVA, hinzu kamen weitere Mitglieder wie der Chef der Bezirksbehörde der Volkspolizei. Formell aber blieben die Kampfgruppen der Abteilung Sicherheit im Zentralkomitee der SED direkt unterstellt.

Der Lohn

Die Mitgliedschaft in den Kampfgruppen wurde nach 25 Jahren Zugehörigkeit mit einer Aufstockung der monatlichen Altersrente um 100 Mark der DDR belohnt – bei den damals geringen Altersrenten ein enormer Zuschlag.

Darüber hinaus gab es Blech an die Brust:


    • eine „Medaille für treue Dienste“ in vier Stufen (nach 10, 15, 20, 25 Jahren Mitgiedschaft)
    • eine „Medaille für hervorragende Kampf- und Einsatzbereitschaft“
    • eine „Medaille für sehr gute Leistungen“
    • ein „Bestenabzeichen“

Auch wertvolle Sachgeschenke hielten die „Genossen Kämpfer“ bei Laune. So gab es zum 20. Jahrestag der Kampfgruppen in Berlin für alle Kämpfer einer Hundertschaft eine Glashütter Armbanduhr und bei anderer Gelegenheit je einen Feldstecher von Carl Zeiss Jena.

Die Bewaffnung

Bewaffnet waren die Kampfgruppen meist mit nicht mehr ganz taufrischer Waffentechnik: Aber die Pistolen, Kalaschnikows, Granatwerfern und sogar leichten Panzer- und Flugabwehrkanonen sowie Schützenpanzer taten ihren Dienst.

Der Einsatz

Die „Bezirkskampfkräfte“ waren im „Ernstfall“ zur Eingliederung als reguläre Einheiten in die „Nationale Volksarmee“ (NVA) vorgesehen. Zur Bekämpfung „bewaffneter subversiver Kräfte“ innerhalb der DDR waren die „Kreiskampfkräfte“ vorgesehen, gemeinsam mit den Truppen des Ministeriums des Innern (MdI), zu denen die Bereitschaften der Volkspolizei (VP oder VoPo) gehörten. Sie kamen außerdem ergänzend zur „Zivilverteidigung“ (ZV) auch bei Katastrophen und Havarien zum Einsatz.

Eingesetzt wurden die Kampfgruppen auch zur Jagd auf Deserteure der Sowjetarmee, die aus der „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ (GSSD) geflüchtet waren.

Der Feind im eigenen Land

Offiziell richteten sich die Kampfgruppen gegen die „Feinde des Sozialismus“ (ein weit dehnbarer Begriff), besonders mit der Aufgabe, die Betriebe zu schützen. Zum Einsatz kamen die Kampfgruppen beim Bau der Berliner Mauer und bei der Friedlichen Revolution 1989, als vereinzelt Kämpfer in Zivil „gesellschaftliche Kräfte“ mimten. Kampfgruppenkommandeur Günter Lutz forderte noch am 6. Oktober 1989 in Leipzig, „diese konterrevolutionären Aktionen endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muss, mit der Waffe in der Hand!“

Vorbei

Am 6. Dezember 1989 ordnete der neue DDR-Innenminister die Entwaffnung der Kampfgruppen an.

Ende Mai 1990 war der uniformierte Spuk endgültig vorbei.


Weiterführende Quellen:

Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: TEB | Foto: Foto: Rainer Mittelstädt, Quelle Bundesarchiv, Bildlizenz: Creative Commons (entfernt)
  • Erstellt am 20.04.2012 - 06:27Uhr | Zuletzt geändert am 12.02.2022 - 11:43Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige