Frauentags-Konkurrenz

Während im Osten Deutschlands der 8. März als "Internationaler Frauentag" im Bewusstsein verankert ist, setzen andere Länder eher auf den "Muttertag".

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Geschichte des Muttertags

Der weltweit jeweils am zweiten Maisonntag gefeierte Muttertag ist der amerikanischen Werbeleiterin Ann Jarvis (1864-1948) aus Philadelphia zu verdanken. Die ehemalige Lehrerin, die später zur Werbung umschwenkte, machte sich nach dem Tod ihrer Mutter immer wieder Vorwürfe, der Verstorbenen zu deren Lebzeiten nicht genug Liebe entgegengebracht zu haben. Auf ihr Engagement ist es zu zurückzuführen, dass man den Muttertag zuerst in den USA und später auch anderswo eingeführt hat.

Ann Jarvis wurde am 1. Mai 1864 als Tochter eines Methodistenpredigers in West Virgina geboren. Ihre Mutter hatte elf Kinder zur Welt gebracht, sich ihr Leben lang - vor allem für die Mütter - sozial engagiert und wiederholt den Wunsch nach einem „Memorial Mother’s Day“ geäußert. Ann war noch keine zwei Jahre alt, als ihre Eltern nach Grafton bei Webster (West Virginia) zogen. Nach dem Tod des Vaters 1902 zogen die Mutter, Ann und ihre Schwester Lillie nach Philadelphia (Massachusetts).
Schon zu Lebzeiten ihrer Mutter kämpfte Ann Jarvis für die Rechte der unterdrückten und entrechteten Frau. Dies bedeutete damals, dass man sie in der Öffentlichkeit, teilweise auch bei ihren Geschlechtsgenossinnen, nicht so recht für voll nahm. Sie selbst machte sich lächerlich und man machte sich über sie lustig, doch bei ihrer Mutter fand sie viel Rückhalt und Unterstützung.

Am 12. Mai 1907, dem zweiten Sonntag nach dem Todestag ihrer am 9. Mai 1905 gestorbenen Mutter, hielt Ann Jarvis mit Freunden eine private Gedenkfeier ab und regte dabei erstmals im kleinen Kreis an, man solle auch den lebenden Müttern einen Ehrentag widmen. Ein Jahr später – am zweiten Maisonntag 1908 – ließ sie die Gedenkfeier als offiziellen Gottesdienst wiederholen. Einer der ersten Prominenten, dem die unverheiratete und kinderlose Ann Jarvis ihre Idee vortrug, jeweils am zweiten Sonntag im Mai sollten alle Menschen ihre Mütter durch einen Besuch, Blumen und ein kleines Geschenk besonders ehren, war der Bürgermeister von Philadelphia. Er hörte aufmerksam zu, fand diesen Gedanken gut, betrachtete sich aber dafür nicht zuständig.
Der Verlauf des Gespräches mit dem Bürgermeister erweckte in Ann Jarvis eine unglaubliche Energie. Zuhause angekommen, begann sie einen gigantischen Werbefeldzug, der etliche Jahre dauerte. Sie schrieb mit der Hand mehr als 100.000 Briefe an Gouverneure, Industrielle, Frauenvereine, Geistliche und Abgeordnete, sprach mit wichtigen Persönlichkeiten, hielt zahlreiche Vorträge über die Befreiung der Frau und gab Broschüren heraus. Auf diese Weise opferte sie allmählich ein Vermögen für Porto und Reisen.

Der erste Erfolg für Ann Jarvis stellte sich ein, als man in Charleston (Virginia) den Muttertag einführte, bald folgte der US-Bundesstaat Pennsylvania diesem Beispiel. Später erklärten sich zwei Abgeordnete aus Alabama und Texas bereit, dem Kongress in Washington einen Antrag vorzulegen, für alle Bundesstaaten der USA den „Mother’s Day“ (Muttertag) zu empfehlen.
1912 führte die „General Conference of the Methodist Episcopal Church“ den Muttertag als kirchlichen Feiertag ein. Am 10. Mai 1913 beschloss der amerikanische Kongress, künftig solle in jedem Jahr am zweiten Sonntag im Mai offiziell der Muttertag begangen werden. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson (1856–1924) unterzeichnete das entsprechende Gesetz.
In den USA wurde der Muttertag erstmals als „General Memorial Day of all Mothers“ am 9. Mai 1914 gefeiert. Damit war eigentlich das Lebenswerk von Ann Jarvis gekrönt. Doch der Erfolg in den USA spornte sie an, ihre Idee in allen Ländern der Erde zu verwirklichen.

Mit dem amerikanischen Muttertag konkurrierte anfangs in England der dort bereits seit dem 16. Jahrhundert nachweisbare „Mothering Sunday“ an Mitfasten – Lätare bzw. vierter Fastensonntag –, den ein „Mothering Sunday Movement“ wiederbeleben wollte. Durch die Heilsarmee setzte sich 1917 der Muttertag in der Schweiz durch, 1918 führte man ihn in Norwegen und 1919 in Schweden ein.
In Deutschland beschloss 1922 der Verband der Blumenhändler, eine Werbekampagne für den Muttertag zu starten. Außerdem traten volkserzieherisch und bevölkerungspolitisch engagierte Verbände wie der „Reichsbund der Kinderreichen zum Schutze der Familie“ für diesen Gedenktag ein. Entscheidend dafür war auch der Gedanke, die Leistungen und Opfer der Mütter während des Ersten Weltkrieges (1914–1918) für das Land zu würdigen.
Presse und Rundfunk in Deutschland unterstützten das Vorhaben. In einem Leitartikel aus jener Zeit hieß es, der Muttertag wäre ein trefflicher Bundesgenosse gegen die Verrohung, Verflachung und Entseelung der Zeit. Die der katholischen Kirche nahestehende Presse dagegen äußerte sich zurückhaltend und befürchtete, ein derartiges profanes Fest könnte das öffentliche Leben weiter „entchristlichen“.

Am 13. Mai 1923 fand der schöne Brauch des Muttertags auch in Deutschland Eingang. Die Bevölkerung nahm die neue Idee anfangs zögernd an. Es dauerte Jahre, bis sich der Brauch durchsetzte. Offiziell wurde der Muttertag in Deutschland 1933 eingeführt und in den Dienst der nationalsozialistischen Sache gestellt. Als Höhepunkte galten später die Muttertagsfeiern, in denen Mütter mit vier und mehr Kindern das „Ehrenkreuz der Deutschen Mutter“ erhielten.
Ann Jarvis nahm an, der Muttertag würde dem Gedanken der Gleichberechtigung der Frau nützen. Doch bald spürte sie, dass der Muttertag das Bild der Frau erneut und sogar umfassender einengte. Die Mutter als Symbol der Häuslichkeit, des Friedens in der Familie, der Aufopferung für Kind und Mann, gewann mit zunehmender Kommerzialisierung dieses Tages fast kindlich-naive, zumindest „entmündigte“ Züge.

Ann Jarvis sah in der einseitigen kommerziellen Ausschlachtung des von ihr ideell gedachten Muttertages eine grobe Verfälschung ihres Anliegens. Sie prozessierte deswegen und verlor dabei ihr gesamtes Vermögen. Völlig mittellos und vor Hunger entkräftet wurde sie von Frauen, die sich an sie und ihren Kampf um ihre Rechte erinnerten, in einer zugigen Dachkammer aufgestöbert. Diese Besucherinnen kümmerten sich darum, dass sie ihren Lebensabend in einem Altersheim verbringen konnte.
1946 fragte ein Reporter die 82-jährige Ann Jarvis, ob sie glücklich darüber sei, dass sich der Muttertag weltweit durchgesetzt hat. Ihre Antwort lautete: „Ich bin glücklich und unglücklich zugleich. Mein Sieg ist zugleich auch meine Niederlage geworden. Es sollte ein Tag des Herzens und kein Tag des Geldbeutels sein!“ Die zuletzt blinde Ann Jarvis starb am 24. November 1948 im Alter von 84 Jahren in West Chester (Pennsylvania) in einem Armenhaus.
Im Todesjahr von Ann Jarvis wurde der Muttertag bereits in mehr als 40 Ländern am zweiten Maisonntag gefeiert. In der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beging man den Gedenktag offiziell am „Internationalen Frauentag“ jeweils am 8. März. Dagegen fand der Muttertag in der Bundesrepublik Deutschland bald zu seinen gewohnten Inhalten und Formen zurück.

Der Artikel über Ann Jarvis stammt aus dem Taschenbuch "Superfrauen 11 - Feminismus und Familie" des Wissenschaftsautors Ernst Probst aus Mainz-Kostheim. Das Buch ist erhältlich bei: www.buch-shop-mainz.de

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  • Quelle: openPR
  • Erstellt am 08.03.2006 - 00:56Uhr | Zuletzt geändert am 22.10.2019 - 14:32Uhr
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