Nachruf an den Sommer - Teil 4
Madrid | Zittau. Semesterferien sind zum Faulenzen da? Nein, entweder man hat mehrere Hausarbeiten zu verfassen oder reist den alten Freunden hinterher, die seit dem Abitur quer durch alle Lande verstreut wohnen. Studentin Romy Ebert aus Zittau hat sich für eine dritte Variante entschieden: Aktivurlaub in der spanischen Hauptstadt Madrid. Eine Reportage über das Bekannte in der ungewohnten Fremde.
Tag 4: Vertraue nie dem, was du siehst - vor allem, wenn es um Essen geht
Wieder rattert Landschaft an mir vorbei. Im Bus ist es heiß. Stickig. Quietschend hält das Gefährt und eine Traube Menschen stolpert auf die Straße hinaus. An der Hausecke hängt ein großer, quadratischer Stein und verziert prangt darauf der Straßenname: „Calle Toledo“. Der Bus dreht und ich ahne, dass ich mein eigentliches Ziel, das 70 Kilometer entfernte Unesco-Weltwerbe-Städtchen Toledo, nicht erreiche. Oder zumindest vorerst in den falschen Bus gestiegen bin, den Stadtbus quer durch den Madrider Fußballstadtteil Getafe.
Eine Stunde später an der Metro Station Plaza Elíptica grase ich die unterschiedlichen Busstationen ab, in der Hoffnung doch noch sofort ins wirkliche Toledo zu kommen. Nicht an eine Straße, die nach der Stadt benannt ist. Man denkt es ist Nacht, wenn man um die Busse schleicht, die „draußen“ auf ihre Fahrgäste warten.. Aber es ist erst 11 Uhr in der Früh. Ich bin nur unter der Erde. Die Busabgase quetschen sich zu immer dichterem Staub zusammen und durch die unterirdischen Straßengänge hindurch. Nach meinem ersten misslungenen Versuch finde ich den Toledo-Bus doch noch. Er parkt genau da, wo eine unüberschauliche Anzahl von Kamera- und Hawaiihemdenträgern, kurz Touristen aller Länder, vor der Bustür zusammengepfercht wartet. Bis der Bus startet dauert es noch eine Stunde. Aber die Stadt ist so begehrt, dass man gar nicht zeitig genug da sein kann. Dem Risiko voll bewusst fahre ich aber dennoch noch einmal nach oben, um frische Luft zu schnappen. Aber nicht zu lange, sonst verpasse ich noch irgendetwas.
90 Minuten lang durch die spanische Spätsommersonne (die zu Freude und Leid immer noch 30 Grad im Schatten beschert) in einem vollständig gefüllten Touristenbus zu fahren ist lästig. Und lustig. Zumindest, wenn man den zahlreichen Asiaten Aufmerksamkeit schenkt, die nahezu jeder Palme, die am Straßenrand auftaucht, ein Foto widmen. Klingt nach Klischee - ist aber tatsächlich so. Mit übertriebener Gemächlichkeit holpert der Bus über die Dörfer. Immer schön neben der schnellen Autobahn entlang. Der Bus hält in den engsten Gassen. Es gibt Hupkonzerte. Die spanischen Autofahrer scheinen vom Busfahrer genauso wenig begeistert zu sein, wie ich.
Top oder Flop - Infrastruktur in Spanien
Je Häuserblock quält sich der Bus durch mindestens einen Kreisverkehr. Spanien - das Land der Kreisverkehre. Was dem Bus aber zu schaffen macht, ist für die Fahrgäste purer Genuss. Oh, wie schön kann Infrastruktur sein. Denn ganz im Gegenteil zu den öden Verkehrsinseln in Deutschland verschönert jeden spanischen Kreisverkehr ein individueller Brunnen und gibt der Stadt ihr eigenes Gesicht. Ich seufze, weil es mir gefällt. Die Asiaten fotografieren.
Das Infrastruktur aber auch hässlich sein kann, beweist kurz darauf der mickrige Bahnhof vom echten Toledo. Von Unesco-Welterbe ist hier jedenfalls noch nichts zu spüren und auch nichts von den 77.000 Einwohnern, die das Städtchen immerhin haben soll. Gestank, kaputte Bahnhofsuhren und versiffte Kioske sind mein erstes Bild von Toledo. Vielleicht hätte man eher den Toiletten des Bahnhofs von Toledo einen Preis verleihen sollen. Für eine seltene, aggressive Schimmelart. Was für ein Spitzentag!
Aber bereits der erste Blick hinauf zu dem spätantiken und mittelalterlichen Stadtkern entschädigt für alle Qualen der Hinreise. Türmchen, Brücken und Stadttore blitzen aus den Häusern hervor. Eine dicke Stadtmauer schirmt das gesamte Innere Toledos ab und wirkt so fest und beständig, als könne man auch heutzutage nie diese Stadt einnehmen. Eilends trete ich aus den Bahnhofshallen hinaus und mache mich auf den Weg, in der prallen Mittagssonne den Berg zur Stadt zu erklimmen. Zwei Bein- und Augenpaare verfolgen mich, während ich schnaufend die erste steile Treppe nehme. Die beiden Mädchen in meinem Alter schwatzen laut auf deutsch miteinander und stapfen mir nach. Ich bleibe stehen und wäge die möglichen Wegvarianten ab und die beiden schließen zu mir auf.
Um es kurz zu machen: wir haben alle keine Ahnung wohin des Weges und verplappern uns stattdessen über unser Studium und darüber, woher wir kommen. Es ist schön, auch in der Fremde (und bisher waren es ja auch nur ein paar Tage) wieder ein Stück Heimat zu erwischen. Dafür bin ich zwar nicht in den Urlaub gefahren, aber Smalltalk verschafft einem ja Glückshormone. Die kann ich nach dem verrückten Tagesstart auch besonders gebrauchen.
Die Mädels aus Mecklenburg-Vorpommern wandern schließlich nach links und ich stürze weiter bergauf, bis ich auf einer breiten Hauptstraße lande. Vor mir ist ein historisches Stadttor auf die Straße gewuchtet und aus der engen, dunklen Öffnung ploppen in einer Tour Reisebusse heraus. Rolltreppen rattern keine fünfzig Meter daneben und hieven alte Besucher hinauf in die Stadt, zu den Aussichtsplattformen über dem quirligen Treiben Toledos. Ich wähle den anstrengen Weg und das nicht ohne Grund. Mein Blick wandert. Links, rechts, geradeaus, oben, unten. Es ist wie an meinem ersten Tag in Madrid. Am liebsten würde ich jedes Haus und jedes Stück Stadtmauer fotografieren, aber schließlich fotografiere ich garnicht. Zum Einen, weil ich mich einfach nicht entscheiden könnte und zum Anderen, weil ich keine der schönen Ecken beleidigen will, weil sie nicht für meinen Film in der analogen Kamera ausgewählt wird. Es ist ein Drama in vielen Akten.
Wo das Mittelalter zuhause ist
Toledo gleicht einem der Mittelalterstadtfeste, die seit einigen Jahren in Deutschland Konjunktur haben. Lanzen, Ritterrüstungen, Schmuck, Schwerter und die ganzen dazugehörigen Läden sind in das enge Stadtinnere hineingepfropft. Gleich neben den tausenden Restaurants und Souvenirshops, die den Weg bergauf, ins Herz der Stadt säumen. Um den Busverkehr und den dominanten Touristen zu entkommen, tapse ich in eine Seitengasse. Auf der Suche nach einem echten spanischen Mittagessen. Aber vorher trifft mich ein Schock. Keine Menschenseele, obwohl der Touristenstrom nur drei Schritte entfernt ist! Es ist eiskalt im Dauerschatten der hohen Gassengebäude, die Häuser sind teils zerfallen und teils von streunenden Katzen bevölkert. Von der Pracht bin ich in den Hinterhof gestolpert; vom vornehmen und stolzen Salon in die kalte Küche. Unesco-Welterbe hin oder her.
Ich schleiche wie die Stadtkatzen durch die Gässchen und finde mich nicht mehr aus dem mittelalterlichen Gewirr hinaus. Der Stadtplan von Madrid in meiner Tasche hilft mir nicht weiter, ich sehne mich zurück zu menschlichen Wesen und mein Magen schreit hungrig nach Essen. Von Speisekarte zu Speisekarte wandert mein Blick, zu den horrenden Preisen und zu den geschlossenen, billigeren Spelunken. Im einzigen Restaurant, das wirklich spanische Gerichte anbietet, öffnet mir eine Chinesin die Tür zum dunklen und leeren Gastraum und ich mache schnell kehrt. Ist es etwa zu viel verlangt, in einer ehemaligen spanischen Hauptstadt und heutigem Touristenmagneten spanisch essen gehen zu wollen? Flexibel bleiben ist das Stichwort, und so verschiebe ich meinen Plan schließlich auf den Abend in Madrid und suche nach einem kleinen Snack.
Ein ungenießbarer Snack für zwölf Euro, wie sich herausstellt, als ich später Brot mit Wasser, Kartoffeln bzw. eher Pommes mit einem Salat aus Tomaten, Zwiebeln und Thunfisch und einem trockenen, knorpeligen und grauen, undefinierbaren Stück Fleisch vor mir liegen sehe. Eigentlich will ich gar nicht wissen, ob es sich dabei um Straßenkatze oder Straßenköter handelt und piekse in meine Pommes. Das muss vorerst reichen.
Leider endlich ein traditionelles spanisches Gericht
Manchmal ist es wirklich besser, man weiß nicht, was man eigentlich isst. In Madrid angekommen durchkämme ich immer noch hungrig die halbe Stadt nach einem spanischen Restaurant. Nachdem ich in unzählige Lokale hineingeblickt habe, bleibe ich an einer Taverne mit erschwinglichen Preisen und immerhin Tapas mitten auf der großen Einkaufsstraße Gran Vía hängen. Sobald ich eintrete und die ersten Brocken Englisch hervorsprudel, spricht mich ein Besucher, statt dem kopfschüttelnden Kellner, an. „Deutsch? Essen?“, fragt er. Ich nicke und lasse mich zu einem Tisch schieben. Der Kellner zeigt auf Bildchen in seiner Speisekarte und versucht mir ein Angebot zu machen. Tortilla kenne und liebe ich ja bereits, aber was dieses „Pulpo“ sein soll, auf das der freundliche und rundliche Mann ständig deutet, ist mir unklar. Keine englische Erklärung. Der Dolmetscher bleibt stumm. Lass dich überraschen, fliegt durch meinen Kopf und ich starre noch verzweifelter auf das Bild in der Menükarte. Kartoffeln. Keine Frage. Und darauf? Traditioneller Schinken mit Speck? Ich bestelle schließlich gespannt. Schlimmer als heute Mittag kann es nicht kommen. Hinter der Theke hängen Fleischkeulen und ihr etwas ungewöhnlicher Duft und strömt durch das Lokal. Nicht gerade appetitanregend. Im Gegensatz zu den kleinen Tapas mit Lachs, Schinken oder Käse, die in einer kleinen Glasvitrine im grellen Lampenlicht präsentiert werden. Die muss ich dann nachher auch probieren, aber erstmal kommt mein „Pulpo“.
Kleine Kreise lugen mir im Fleisch auf den Kartoffeln entgegen. Unsicher kaue ich auf dem ersten Stück herum, es ist wabbelig und weich. Mir kommt ein furchtbarer Gedanke. Ich bin mir garnicht mehr sicher, ob das Schinken und Speck sein soll. Ich stochere mit der Gabel in die Mitte des Menüs und ein noch blutiger Tentakel mit Saugnäpfen fällt vor mir auf den Teller. Ahja - Tintenfisch. Wie gut, dass ich eigentlich keinen Fisch esse. Aber das muss jetzt weg, denke ich, als mir der Gedanke an den stolzen Preis des Gerichtes in den Sinn kommt. Darauf hätte ich auch eher kommen können. Der Kellner saust grinsend an meinen Tisch, deutet auf das Gericht und hebt stirnrunzelnd seine beiden Daumen in die Höhe. Ich würge ein „Si“ heraus und steche in das nächste Stück des Kraken. Tapfer verspeise ich gequält immerhin acht Stück des Tieres, natürlich gut gespült mit Tortilla, Baguette, Tapas oder Ananassaft. Es schmeckt gut, nur das Bild des lebendigen Tieres will nicht aus meinem Kopf. Ich habe eine Abneigung gegen Meerestiere. Gegen alle.
Nach dem mehr oder minder erfolgreichen Mahl wandere ich heimwärts. Immer schön geradeaus, quer durch ein türkisches Viertel der Stadt. Das Kreuzberg Madrids wie es mir scheint, denn Teestuben reihen sich aneinander, nur getrennt durch Dönerläden. Ich wünschte, ich hätte lieber eine andere traditionell spanische Speise zu mir genommen: Döner mit Ketschup, denn das scheint in Madrid so Spezialität zu sein. Andere Länder, andere Sitten. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag.
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- Quelle: Romy Ebert | Fotos: Romy Ebert
- Erstellt am 02.01.2010 - 23:03Uhr | Zuletzt geändert am 02.01.2010 - 23:52Uhr
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