Wie menschengerecht gestalten wir unsere Welt?
Görlitz, 18. März 2021. Im Grunde erscheint es logisch, wenn der Mensch versucht, sein Lebensumfeld für seine Bedürfnisse passend zu gestalten. Schaut man auf Görlitz, dann wird niemand daran zweifeln, dass eine als schön empfundene Architektur und großzügige Grünanlagen das Leben hier besonders angenehm machen. Ist das wirklich so einfach?
Von Irrtümern, Widersprüchen, Lösungen und Herausforderungen
Architektur
Schon bei der als schön empfundenen Architektur scheiden sich die Geister: Viele empfinden als schön, was sie gewohnt sind – Neues, das sich nicht in die gewohnten Strukturen einfügt, wird abgelehnt. Görlitz liefert dafür zwei Beispiele: In der jüngsten Vergangenheit ist es die für das CityCenter ins Auge gefasste Parkhauserweiterung in die Diskussion geraten. Viele Stimmen fordern hier eine historisierende Fassadengestaltung, die sich in die Umgebung einfügt. Ob das wirklich eine gute Lösung wäre, sei dahingestellt – man muss jedoch respektieren, dass Bausünden in anderen Kommunen manchem Architekturfreund das Grausen lehren.Eine bereits realisierte Görlitzer Bausünde, an der längst niemand mehr – wenn überhaupt jemals – Anstoß nimmt, ist das Neue Rathaus am Untermarkt. Der 1903 fertiggestellte Neorenaissancebau in ein Beispiel für den architektonischen Rückgriff in die Vergangenheit. Indem Barockportale aus zwei zugunsten des Neubaus abgerissenen Bürgerhäusern wiederverwendet wurden, entsteht eine Kontinuität, die aber nicht in die damaligen Baustile des Jugendstils und der beginnenden Moderne führt. Übertragen auf die Parkhauserweiterung würde eine solche Lösung bedeuten, Elemente der beiden dafür abzureißenden Häuser oder gestalterische Anlehnungen daran in die Fassade zu integrieren – Fortschritt allerdings sieht anders aus.
Mobilität
Die Hinwendung zu einer menschengerechteren Umwelt wird am deutlichsten sichtbar beim öffentlichen Personenverkehr: Die Infrastruktur wird zunehmend barrierefrei, die öffentlichen Verkehrsmittel sind als besonders umweltschonend anerkannt.Auf der anderen Seite wird niemand bestreiten können, dass die Individualmobilität mit Kraftfahrzeugen ebenfalls menschenfreundlich – weil bequem – ist. Allerdings stehen den großen Vorteilen auch ernste Argumente gegenüber, wenn man etwa an die Verstopfung der Städte durch den Individualverkehr denkt – ein Zustand, der auf Dauer durch die Abkehr vom Konzept der autofreundlichen Stadt nicht verbessert wird, vor allem, wenn Autogegner anderen die Art der Fortbewegung vorschreiben möchten. In dem Maße, wie Elektromobiltät das Abgasproblem vom Fahrzeug entkoppelt oder sogar ganz ad acta legt, wird die weitestgehend autofreie Stadt, wie manche sie sich wünschen, unwichtiger.
Das Fahrrad übrigens mag zwar im Einzelfall zur Lösung der Verkehrsprobleme in den Städten beitragen, löst diese aber nicht, weil es für neuen Unmut sorgt – und zwar bereits durch die rechtliche Stellung des Radfahrers im Straßenverkehr: Der kann nämlich ohne jede Haftpflichtversicherung drauflosstrampeln; kommt es zu einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, haftet zudem der Fahrzeugführer grundsätzlich zumindest anteilig mit, auch wenn er völlig schuldlos ist – solange der Radfahrer seine Sorgfaltspflichten nicht grob missachtet.
Bedürfnisse
Wie in Görlitz ist vielerorts eine unzureichende Infrastruktur festzustellen, wenn es um ganz grundlegende menschliche Bedürfnisse geht: die Verrichtung der Notdurft und die Verfügbarkeit von Trinkwasser. An beidem kann auch einmal unerwarteter und sehr dringender Bedarf entstehen und das Leben zeigt: Nicht alle sind freundlich. Mit den Hinweis “Nicht mein Problem!” abgewiesen zu werden, kann den Betroffenen nicht nur in Schwierigkeiten, sondern auch in eine sehr peinliche Situation bringen. Den Test, einmal nach "öffentliche Toiletten in Görlitz" zu googeln, kann jeder selbst machen – man kann froh sein, wenn es nur ein Trockentest ist! Das Görlitzer Toilettenthema wurde über die Bürgerbeteiligung für Rauschwalde und den Wilhelmsplatz eingebracht – erfolglos, angesichts von Investitions- und Folgekosten beziehungsweise Vandalismus- und Unfallgefahr.Nun sind die Einrichtung und der Betrieb einer öffentlichen Toilette tatsächlich nicht gerade billig, aber verzichten kann man darauf eben nicht. Viel einfacher zu realisieren sind hingehen Wasserspender, wie man sie gelegentlich etwa im Einzelhandel vorfindet. Zu den verbreiteten Systemen aus Wassertank und Trinkbecher-Vorrat gesellen sich inzwischen raffinierte Lösungen, die mit dem Trinkwassernetz verbunden sind und je nach Bedarf das in Deutschland hochwertige Trinkwasser noch einmal filtern, kühlen, erwärmen oder mit Kohlensäure versehen. Inzwischen gibt es eine enorme Auswahl solcher Wasserspender für Anwendungsgebiete, wie in der Medizin – vor allem in den Warteräumen und Personalbereichen in Krankenhäusern und Arztpraxen – oder auch in Kindereinrichtungen, in Fußgängerzonen, im Einzelhandel sowie in Unternehmen, um nur einige zu nennen, festzustellen ist.
Herausforderungen
Wenn aktuell auch durch die Corona-Pandemie eingeschränkt haben die Menschen heutzutage so viele Optionen wie noch nie, ihr Leben zu gestalten. Natürlich gilt dabei: In der Jugend ist die Auswahl an solchen Gestaltungsmöglichkeiten am größten, mit der Zahl der Lebensjahre geht sie immer weiter zurück. Wer als junger Mensch aber meint, noch ausreichend Zeit zu haben, um die eigene Lebensplanung im Sinne von "Was ist mir wichtig?" noch eine Weile vor sich herzuschieben, irrt. Das Prinzip ist, sich von einem großen, inspirierenden Lebensziel leiten zu lassen und dann immer wieder zu schauen, welchen Weg dorthin man wählt.Die Corona-Krise erhellt schlaglichtartig, was Menschen in ihrem Leben wichtig ist: Freunde und Verwandte, Party, Hoch- oder Soziokultur, Natur und Reisen oder berufliche Selbstverwirklichung etwa. Eine menschengerechte Welt muss all das berücksichtigen, die ganz speziellen Interessen wie die Ansprüche des Alltags. Zur neuen Herausforderung können, wenn man ein wenig spekulieren möchte, neuartige Orte und Formate der Begegnung sein, denn ohne Zweifel gibt es einen großen Mangel an Begegnungen und wertschätzendem Gedankenaustausch.
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- Quelle: TEB | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 18.03.2021 - 09:22Uhr | Zuletzt geändert am 18.03.2021 - 12:52Uhr
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