Für gutes Miteinander auf dem Görlitzer Wilhelmsplatz
Görlitz, 16. August 2019. Das Aufmerksamkeitszentrum im menschlichen Hirn wird höchst aktiv, wenn es etwas Ungewöhnliches; Bewegung oder Geräusche bemerkt. Oft führt das dazu, dass Menschen einen gewohnten, "sicheren" Zustand wieder herstellen möchten – bevor sie sich vielleicht an das Ungewohnte gewöhnt haben und das Aufmerksamkeitszentrum nicht mehr darauf reagiert.
Abbildung: Das "&" auf dem Wilhelmsplatz – steht es für "Na und?" oder für Verbindendes?
Stadtverwaltung will die Situation entspannen
Für Politiker wird dieser Effekt regelmäßig zur Herausforderung: Wird etwas neu eingeführt oder nur in die Debatte geworfen, richtet sich die Aufmerksamkeit darauf und es kommt oft genug zu einer großen Welle von "Dagegen!", wozu sich Betroffene, sich Solidarisierende und notorische oder professionelle Meckerer vereinen. Es ist ja auch viel einfacher, Gegenargumente zu finden als selbst Gestaltungskraft zu entwickeln. Bundesverkehrsminister Scheuer dürfte in diesen Tagen ein Lied davon singen können: Anstatt beispielsweise die Idee, Busspuren für gut ausgelastete Pkw zu öffnen, zu diskutieren und Umsetzbedingungen auszuloten, sind vielen Statements aus mehr oder weniger berufenen Mündern grundsätzliche Gegenpositionen zu entnehmen.
Wie man es richtig macht, macht man es falsch, sagt der Volksmund, womit wir schon auf dem Wilhelmsplatz in Görlitz angekommen sind. Die große, von Blumen hübsch gesäumte Wiese inmitten der Stadt war im Grunde immer für das Betreten tabu. Dann wurde im Zuge einer Kunstausstellung – der Görlitzer ART – am 1. April 2016 mitten auf der Wiese, die mangels blühendem Wildwuchs eher als Rasen zu qualifizieren ist, ein großes "&" aufgestellt, das zu den von Görlitzer Bürgern ausgewählten Kunstobjekten gehört. Zeitgenössische Kunst wurde von vielen – verwenden wir das Wort einmal – Alt-Görlitzern als Tabubruch inmitten der Fassadenharmonie empfunden und vielleicht war es ja genau dieses "&", das symbolisierte: Mit dem Gras auf dem Wilhelmsplatz kann man mehr anfangen: Nicht nur sich träge in der Sonne sielen, auch Party machen, rumbolzen oder seinen persönlichen Zwist austragen. Anything goes all over the the Wilhelmsplatz, all das ist nicht verboten – was allerdings auch ein wenig Vernunft im Umgang mit dieser Freiheit voraussetzt. Doch welches Maß an Vernunft will man von jungen Leute erwarten, deren Ratio von Hormonen lahmgelegt ist?
Jedenfalls hat der Wilhelmsplatz in den vergangenen Wochen nicht nur bei den Anwohnern, sondern auch in der Stadtgesellschaft insgesamt immer mehr Aufmerksamtkeit erregt. Positiv gesehen: Der Wilhelmsplatz wird als Ort der Kommunikation und der Erholung gerade bei schönem Wetter und insbesondere in den Sommermonaten gut angenommen. Sogar ein mit großen Blumen abgeschirmter Liegebereich war entstanden, der Bürgerrat schaffte Liegen an. Leben allerdings ist mit Geräusch verbunden und das stößt so manchem Anwohner sauer auf, gar von nächtlichem Lärm ist die Rede. Stichwort Aufmerksamkeitszentrum: Das reagiert eben schon, wenn nächtens Musik oder Gespräche zu hören sind, was wenig mit Lautstärke zu tun hat. Der Verweis auf die gesetzlichen Ruhezeiten wie der Ruf nach einer Lärmmessung helfen da wenig bis gar nicht. Vielmehr ist Vernunft auch bei den Anwohnern gefragt: Eine Innenstadtwohnung ist nun mal kein abgelegenes und stilles Idyll. Wer die Stille der Nacht sucht, ist mit den berühmten Ohrstöpseln gut bedient.
Andere Städte, andere Sitten. Man muss ja nicht gleich New York, die Stadt, die niemals schläft, zum Vergleich heranziehen. Nein, das Beispiel stammt aus einer westfälischen Stadt: Unter den Wohnhäusern eines ursprünglich dörflichen Ortskerns sind Kneipen und Gaststätten so verteilt, dass den Bewohnern lange Wege hin und mühselige Rückwege erspart bleiben. Auf den Freisitzen wird, so lange man überhaupt im Freien sitzen kann, gern bis früh halb Vier gefeiert, Körnchen auf Körnchen, mit Gesang und lauthals begrüßten Runden. Wenn der Wirt dann Feierabend bzw. Feiermorgen macht, geht die Feier weiter bis um Fünf. Für die unmittelbaren Anwohner ist das wirklich laut, aber Beschwerden gibt es keine. Gewohnheitssache und zudem eine Frage der Lebenseinstellung, den anderen ihren Spaß zu gönnen. So gesehen würde eine große Sommer-Freigaststätte auf dem Görlitzer Wilhelmsplatz klare Verhältnisse schaffen.
Der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu kann sich derlei Betrachtungen freilich nicht hingeben. Er muss für Ausgleich sorgen und Abhilfe schaffen, wenn die Beschwerden der lärmgestörten Bürger begründet sind. Es hilft ihm nicht, nur die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Meinungen anzuhören, um zu einer Bewertung der Situation zu kommen. Und so hat sich Oberbürgermeister in den vergangenen Tagen persönlich ein Bild von der Situation auf dem Wilhelmsplatz gemacht. Nun verweist er darauf, dass die Stadt Görlitz in den vergangenen Wochen mehrere Maßnahmen ergriffen hat, um "ein gutes Miteinander von Anwohnern und Menschen, die auf dem Wilhelmsplatz ihre Freizeit verbringen, zu ermöglichen".
Im Einzelnen zählt der Görlitzer Oberbürgermeister auf:
- Der Sportplatz in der Augustastraße wird mit einem Ballfangzaun ausgestattet und kann voraussichtlich ab Oktober außerhalb der Schulsportzeiten zu bestimmten Zeitfenstern als Bolzplatz genutzt werden.
- Mit Anwohnern und Interessierten hat bereits im Juli ein Bürgerdialog zum Wilhelmsplatz stattgefunden, der im Herbst fortgesetzt wird.
- In der Stadtverwaltung werden derzeit Änderungsvorschläge für die Grünanlagensatzung erarbeitet.
- Polizei und Ordnungsamt haben ihre Kontrollen, unter anderem auch bezüglich des Jugendschutzgesetzes, zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten deutlich verstärkt.
- Durch das Landesamt für Denkmalpflege werden derzeit kleine bauliche Veränderungen im Bereich der Rabatten geprüft.
- Die Installation von Fahrradabstellern sorgt für ein geordnetes Abstellen von Fahrrädern.
Kommentar:
Wat dem een sin Uhl, is dem annern sin Nachtigal, das trifft mit Sicherheit (Wieder dieses Wort!) auch auf das städtische Leben zu, ob nun am Tage oder in der Nacht. Wenn beispielsweise das Fußballspielen auf dem Wilhelmsplatz per Grünanlagensatzung verboten und auf den eigens angelegten Bolzplatz in der unmittelbaren Nähe verlagert wird, so werden das alle, die auf dem Wilhelmsplatz nicht Fußball spielen möchten, begrüßen. Ob aber die fußballernde Jugend, wenn die Lust auf Fußball sie zum Anstoß schreiten lässt, justament den Bolzplatz im geöffneten Zustand vorfindet?
Vielleicht ist der Wilhelmsplatz nur ein Indikator für Veränderungen in Görlitz. Insbesondere junge Leute verlagern ihre Freizeit in den öffentlichen Raum oder sind zwischen spätabends und frühmorgens noch unterwegs, nicht müde schleichend, sondern aufgekratzt und fröhlich. In Görlitz wächst, wozu die Stadt Potential hat: ein urbanes Lebensgefühl. Dessen Erscheinungen kann man mit Vorschriften allein nicht regeln,
meint Ihr Thomas Beier
P.S.: Wer erinnert sich noch an die Sechzigerjahre, als junge Leute mit Kofferradios, die diese Bezeichnung noch verdienten, auf den Schultern durch die Straßen zogen? War vielleicht sogar mancher der heute die Stille Suchenden dabei?
Wilhelmsplatz
Von Wolfgang Blachnik am 16.08.2019 - 12:38Uhr
Es hätte nicht des Ausflugs in die westfälische Stadt bedurft, die Beispiele liegen viel näher. Wer in die Görlitzer Altstadt zieht, weiß, dass dort regelmäßig Feste gefeiert werden, die zu Recht große Besucherscharen anziehen. Auch in der Zwischenzeit werden auf den Freisitzen oder dem Heimweg keine Schweigegelübde abgelegt. Wer dort hinzieht, weiß das und ist bereit, sich zu arrangieren.
Andererseits hat man sich eine Wohnung am Wilhelmsplatz augewählt, weil die fantastische Kombination aus Zentrumslage und wunderbarer Grünanlage anziehend ist. Natürlich unterliegt alles einer Veränderung, deshalb ist der Rasen dort inzwischen auch als Liegefläche ausgewiesen und das ist gut so.
Allerdings scheint es Mitbürger zu geben, die das Zitat "alles, was entsteht ist wert, dass es zugrunde geht" völlig missverstanden haben. Ihre Beiträge beschränken sich daher auf Ausbringen von Kot mittels mitgebrachtem Hund und Stuntübungen per Fahrrad. Was da so lieblich in der Sonne glitzert sind leider auch keine Edelsteine, sondern schnöde Glassplitter, weil leere Glasflaschen einfach zuviel Volumen haben. Dass der Rasen das Danebenhacken bei der gewolten, aber nicht gekonnten Ballabgabe übelnimmt, ist ja schließlich auch keine Schuld des zukünftigen Profis.
Alle, die es nicht hören wollen, wissen jetzt auch, was der Hobbytrinker früh um zwei von der ihn kontrollierenden Polizistin hält. Ebenso aus dem Streit der zwei Brüder, dass der eine am Montag zum dritten Mal in den Knast muss und das alles Schuld der Alten ist.
Genug gelästert. Problem ist, dass Menschen, die nichts geleistet haben und das auch überwiegend nicht tun werden, mit einer Selbstverständlichkeit Gemeingut hemmungslos für sich beanspruchen. Und ich meine nicht nur die mit den langen Anreisewegen.
Die Architekten mögen mich verbessern, aber die Anlage der Häuserzeilen fördert auch die Verstärkung der vorhandenen Geräusche.
Hauptproblem ist, dass die Stadt derzeit keine Lösung hat, Scheinlösungen verspricht, die sie natürlich nicht halten kann, dafür aber Verständnis fordert. "Der Worte sind genug gewechselt, nun lasst uns endlich Taten sehen!"
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- Quelle: red / Kommentar: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 16.08.2019 - 07:17Uhr | Zuletzt geändert am 16.08.2019 - 09:15Uhr
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