Neue Heimat? Vom sensiblen Umgang mit Sprache und Worten

Neue Heimat? Vom sensiblen Umgang mit Sprache und WortenGörlitz, 19. Februar 2019. Von Thomas Beier. Dresden möchte, wie in Sachsen auch Chemnitz und Zittau und neben einer aus Slowenien, eine der beiden europäischen Kuturhauptstädte des Jahres 2025 werden und hat seine Bewerbung unter das Motto "Neue Heimat Dresden 2025" gestellt. Neue Heimat? Da war doch was…
Abbildung: Die Papst-Johannes-Paul-II.-Brücke wurde in der "DDR" Stadtbrücke genannt, ein Name, der sich auf der deutschen Seite bis heute gehalten hat. Ursprünglich handelt es sich um die Reichenberger Brücke, doch Reichenberg wurde zum tschechischen Liberec und sollte nach dem Willen der SED aus dem Gedächtnis getilgt werden.

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Heimat, ein geschundenes Wort, wenn es für Grenzen missbraucht wird

Heimat, ein geschundenes Wort, wenn es für Grenzen missbraucht wird
Idyll am der Lausitzer Neiße mitten in der Europastadt Görlitz-Zgorzelec

Mit ihren Mottos tun sich die Sachsen schwer, immer, wenn ein ganz besonderer Höhenflug gelingen soll, geht's daneben - man denke nur an das arrogant daherkommende "So geht sächsisch!", bei dem das "Am sächsischen Wesen soll die Welt genesen!" nu gar nimmer weit ist.

Aber was ist an "Neue Heimat" auszusetzen? Die Nazis hatten die gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaften der nationalsozialistisch gelenkten, nämlich der Deutschen Arbeitsfront (DAF) unterstellten "Neue Heimat" zugeordnet. Genau diese "Neue Heimat" wurde in der alten Bundesrepublik als gewerkschaftseigener Wohnungsbaukonzern weitergeführt, erregte aber erst in den Achtzigerjahren Aufsehen, als sie Pleite ging, wozu wohl Klüngel- und Vetternwirtschaft ein gehöriges Maß beigetragen hatten. Nun also will Dresden - ausgerechnet die Stadt, die auf einen Schlag ihren gesamten kommunalen Wohnungsbestand privatisierte - "Neue Heimat" sein.

Auf der Suche nach Heimat

Dresden ist eine Stadt, die wie andere wunderschöne Städte auch, im Zweiten Weltkrieg der Strategie des "moral bombing" zum Opfer fiel. Während die heutigen Bewohner anderer Städte wie Baden-Baden, Hamburg oder Münster die Lektion aus der Zerstörung gelernt haben, wurde in Dresden von Beginn an ein Opferkult gepflegt, der durch die SED-Demogagie noch befeuert wurde. "Aber unser Dresden, die Kunststadt, hätten sie doch nicht bombardieren dürfen!", "Die Stadt war voller Flüchtlinge und militärisch wertlos!", "Die haben die vor dem Feuersturm in die Elbauen Geflüchteten mit Tieffliegern angegriffen!" Die Tieffliegerangriffe sind historisch nicht belegt, aber sonst: Es war der Zweck des moral bombing, unter den Zivilisten und Arbeitern der zuletzt auf den "totalen Krieg" getrimmten Wirt- und Gesellschaft maximalen Schrecken zu verbreiten, einen solchen Schrecken, dass er sich bis an die Front herumsprach. Das Kalkül: Warum noch "in Feindesland" Deutschland verteidigen, wenn es doch eh in Schutt und Asche versinkt?

Es ist für die Zeitzeugen wie für die Nachgeborenen schwierig, das Geschehene zu bewerten. Wer die Angriffe auf Dresden mitgeflogen hat, mag die Bilder von Guernica, Warschau und Coventry, die Einschläge der "Vergeltungwaffen" in London vor sich gesehen haben. Rache kann so süß sein: wahlloses Töten mit wahllosem Töten vergelten. Wer jedoch am Boden, in der Stadt, den Feuersturm überlebte, sah nicht unbedingt eigene Mitschuld.
Es war die Zeit des sich ausgeliefert Fühlens, ausgeliefert an Führungsspersonen oder Umstände, die nicht beeinflussbar schienen oder sogar waren. Wenn Leute aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts erzählten, tauchte immer wieder ein Sprachmuster auf, nämlich: "Dann hieß es..." Als ob sie von einem höheren Wesen, das Orientierung gab, sprächen. Oder die eigene Hilflosigkeit dokumentierten.

Ist das heute anders? Ein großer Teil der Menschen schließt sich auf seiner Suche nach Orientierung Lehren, Denkweisen und Führern an. Je simpler und damit schlüssiger diese die Welt erklären, je mehr sie dem Individuum Verantwortung abnehmen, umso einfacher finden sie Gefolgschaft, große Gefolgschaft. Wer jedoch Komplexität zu erkennen vermag und aus dieser Sicht Zusammenhänge beschreibt, erscheint solchen Gefolgsleuten als zu kompliziert, als zu wenig klar. So ist das auch mit dem Heimatbegriff, der in einem Projekt für junge Leute und Schulen, das "HEYMAT – Was ist das?" heißt, von seiner missbrauchbaren Komponente befreit werden soll.

Zu allererst ist Heimat das Vertraute, wo die Menschen berechenbar reagieren. Auch der vertraute Ort, mit seinen Überlieferungen und seinen Ritualen. Doch was ist, wenn sich die Menschen verändern, wenn einige ihre Heimat unter Ausschluss anderer, in ihren Augen nicht heimatkompatibler Menschen, zu verteidigen beginnen? Sich offen gegen Menschen richten, die anders sozialisiert, anders von einer ganz anderen Heimat geprägt wurden? Ist das dann noch die eigene Heimat, die diese Heimatverteidiger doch bewahren wollen?

Wie war das bei Stefan Heym, Namensgeber des HEYMAT-Projektes, der Chemnitz – wo schon 1932 die Nazis stark genug waren, um das durchzusetzen – verlassen musste, um wenigstens in Berlin sein Abitur ablegen zu können? Als er nach der Machtergreifung der Nazis von Verhaftungsabsichten erfährt, flieht er über das Riesengebirge nach Prag. Von dort kann er Dank eines Stipendienprogramms in die USA gehen – und kommt 1945 als US-Soldat zurück in seine Heimatstadt Chemnitz. Dieses kaputtgebombte Chemnitz mit seinen verstörten, hungernden Menschen, war das noch seine Heimat? Heym schoss seinen Revolver leer aus lauter Freude, wieder in der Heimat, an diesem Ort seiner Heimat zu sein.
Doch hatte er wohl auf seinem Weg weg von und zurück nach Chemnitz eine zweite Heimat gewonnen, die des Weltbürgers Stephan Heym. Zur Liebe zur eigenen Heimat gehört stets das Zugeständnis, das ein jeder seine Heimat lieben darf, den Ort, den er als Heimat erkoren oder an den es ihn verschlagen hat. Diese Einigkeit mit allen Menschen, die ihre Heimat mit all ihren Eigentümlichkeiten lieben, sie macht den Weltbürger aus.

Heimat ist unbegrenzt

In Görlitz sucht der Gedanke, die Heimatstadt abzugrenzen, ganz aktuell fruchtbaren Boden.

Görlitz ist die Stadt, deren östlich der Lausitzer Neiße gelegener Teil nach dem Zweiten Weltkrieg unter polnische Verwaltung gestellt und zu Zgorzelec wurde. Die Staatsgrenze quer durch die Stadt wurde spätestens mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag im Jahr 1990 endgültig. Seit der Europastadt-Erklärung von Görlitz und Zgorzelec im Jahr 1998, mit dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 und dem Beitritt zum Schengenraum im Dezember 2007 ist ein Prozess in Gang gekommen, der diese Grenze wieder hat verblassen lassen. Ebenso gehen das Wohlstandsgefälle und die damit verbundene Kriminalität – mancherorts in der Oberlausitz ein ernstes Problem – schrittweise zurück.

Wichtiger noch: Die Menschen beiderseits der Neiße kommen sich näher, der Arbeitsplatz überm Fluss ist nicht mehr außergewöhnlich. Damit entwickelt sich die Identität auch von Görlitz weiter, eine Veränderung, die – wie jede Veränderung – durchaus oft auf wenig Gegenliebe stößt. Begrüßt wird das Verschwinden der deutsch-polnischen Grenze, die oft nur noch durch "grenzüberschreitende" EU-Förderprojekte in Erinnerung gerufen wird, vor allem von den jüngeren und weltoffenen Görlitzern und jenen, die nach Görlitz zugezogen sind und sich oftmals mehr als Alteingesessene einbringen in die Stadtgesellschaft, um zu zeigen: Hier ist Heimat, grenzenlos.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 19.02.2019 - 06:53Uhr | Zuletzt geändert am 24.05.2020 - 18:26Uhr
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