Görlitz – ein Armenhaus?

Görlitz – ein Armenhaus?Görlitz, 28. Dezember 2017. Von Thomas Beier. Kaum sind die Weihnachtsfeiertage vorbei, müssen wir betrübt zu Kenntnis nehmen, dass die Webseite tag24.de (ein Ableger der Morgenpost Sachsen GmbH, die zur Dresdner Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG gehört, die neben dem Döbelner Anzeiger auch die Sächsische Zeitung herausgibt), einen Artikel mit "Görlitz wird zum Armenhaus Sachsens" titelt. Wer denkt da nicht an zerlumpte Gestalten, die aus zugigen Wohnhöhlen kriechen?

Symbolfoto: stevepb / Steve Buissinne, Pixabay License
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Lebensqualität ist mehr als Geld

Lebensqualität ist mehr als Geld
Der Görlitzer Anzeiger als Lügenpresse: Zwei Görlitzer erholen sich nach dem Shopping. Allerdings ist hier gerademal der Boden des Einkaufswagens bedeckt – zu mehr reicht es nicht.
Symbolfoto: Aleš Kartal, Pixabay License

Der Beitrag ist mit Fakten gespickt, wie sie überhaupt auf tag24.de zu finden sind, so beispielsweise auch im aufklärenden Artikel "Darmexperte verrät: Darum stinken manche Fürze schlimmer als andere".

Doch Bilder sagen mehr als tausend Worte, drei Bilder hingegen ungleich mehr. So ist der Armenhaus-Görlitz-Artikel bebildert mit dem Konterfei des Görlitzer Oberbürgermeisters Siegfried Deinege. Der "sorgt sich um die Zukunft seiner Stadt", ist zur Kenntnis zu nehmen. Herrje, was soll er denn sonst tun? Da schwillt auch einem Oberbürgermeister so sehr der Hals, dass der oberste Hemdknopf gar nicht mehr zu geht.

Ferner erblicken wir im tag24-Artikel die belebte Berliner Straße, die auf diese Weise ein positives Bild von der Neißestadt vermittelt. In der Bildunterschrift werden die Menschen sogar – falls jemand nicht darauf kommt – richtigerweise als "Passanten" identifiziert. Ein weiteres Foto zeigt die Straßburg-Passage. Weil woanders die Bürger deutlich mehr in der Tasche haben, wird hier auf deren Abbildung weitestgehend verzichtet. "Eure Armut kotzt mich an!", scheint die Botschaft.

Dabei bietet die Stadt Görlitz gemeinsam mit ihrem Umland so viel, das man mit Geld und guten Worten nicht kaufen kann: Eine intakte Stadt, die mit ihren Häusern und Parks dem Auge ein Wohlgefallen ist, ein Kulturleben, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Ein Umland von der Heide- und Teichlandschaft über geschichtsträchtige Dörfer und Kleinstädte bis zum alpinen Mittelgebirge. "Wo gibt es das sonst?", hätte der reisende Geheimrat von Goethe gefragt, wäre er denn je hier gewesen.

Was wirklich zum K... wäre, das wäre, wenn Lebensqualität nur allein am Geldeinkommen, der Kaufkraft, festgemacht würde. Davon abgesehen, dass die Kaufkraft isoliert von Wohnungsmieten und anderen Preisen betrachtet wird, entsteht noch ein ganz anderes Bild: Wie viele Menschen rennen tagtäglich im Hamsterrad, gehen einer Arbeit nach, die sie nicht mögen, schieben auch noch Überstunden, um – neben den wirklich notwendigen Lebenshaltungskosten – all den Müll zu konsumieren, von dem ihnen die Werbung suggeriert, dass sie ihn brauchen?

Je älter man wird, um so mehr begreift man, dass man Konsumartikel nicht mitnehmen kann ins feuchte Loch oder in den heißen Ofen, sondern dass es weit befriedigender ist, einen Künstler (oder Winzer, Winzer ist auch o.k.) zu unterstützen, der "sein Ding" macht und damit der Welt etwas gibt, das wertvoller ist als alles, was über kurz oder lang auf dem Schrottplatz landet.

"Halte an!", möcht' man mit Veronika Fischer rufen, damals...

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto Portemonnaie: stevepb / Steve Buissinne, Foto zwei Personen: ales_kartal / Aleš Kartal, beide Pixabay License
  • Erstellt am 28.12.2017 - 05:57Uhr | Zuletzt geändert am 05.01.2020 - 09:59Uhr
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