Stelen der Erinnerung eingeweiht
Görlitz, 2. September 2015. Von Thomas Beier. Gestern hatten sich auf dem Jüdischen Friedhof in Görlitz Persönlichkeiten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Kirche versammelt, um gemeinsam mit Holocaust-Überlebenden die "Stelen der Erinnerung" einzuweihen. Sie erinnern an die Opfer des nur wenige hundert Meter vom Jüdischen Friedhof entfernt gelegenen Konzentrationslagers Biesnitzer Grund.
"Jeder Mensch hat das Recht auf das bisschen Leben!"
Thema: Jüdisch
Juden hatten und haben einen großartigen Anteil an der Entwicklung Deutschlands in Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Leben ist undenkbar ohne die Erinnerung an die Zeit, als es in Deutschland ausreichte, Jude zu sein, um verhaftet, deportiert und umgebracht zu werden, wenn man nicht rechtzeitig geflohen war.
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148 der 323 in diesem Lager Umgekommenen und Ermordeten sind namentlich bekannt, weil sie im Görlitzer Krematorium eingeäschert wurden. Ihre Namen sind in den Fächern des neuen Denkmals in lateinischer und hebräischer Schrift wiedergegeben, freie Fächer stehen für die namenlosen Opfer. Die Idee für das Denkmal hatte der aus Görlitz stammende Sven Hüber im Jahr 2011.
In seiner Begrüßung wandte sich der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege gegen Antisemitismus und alle Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit. Er einnerte an den Leidensweg der anwesenden Gäste: Der heute 89-jährige Shlomo Graber, der aus Basel angereist war, erlebte als 18-Jähriger 1945 die Befreiung als Lagerinsasse in Görlitz. Für Monik Mlynarski aus Bad Neuheim, heute 92 Jahre alt, war Görlitz Station auf dem Todesmarsch ins KZ Buchenwald. Fünf Jahre lang erlebte er eine leidvolle Odyssee durch mehrere Lager. Dr. Bernhard Horno, 89, war aus Jerusalem gekommen. 1945 im KZ Bergen-Belsen befreit ist er der einzige Überlebende seiner Familie - alle wurden Opfer des deutschen Massenmords. Sein Vater Moses kam 1944 in Görlitz ums Leben.
Deinege bezeichnete es als große Ehre, dass auch der Gesandte der Isralischen Botschaft Avraham Nir-Feldklein der Einladung nach Görlitz gefolgt war. Der Sächsische Ministeerpräsident Stanislaw Tillich musste sich wegen der Sondersitzung des Landtags von Staatssekretärin Andrea Franke vertreten lassen. Aus Zgorzelec konnte Deinege Bürgermeister Rafael Gronicz begrüßen.
Gesundheitlich verhindert war zum großen Bedauern Dr. Nora Goldenbaum, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. An ihrer Stelle sprach Heinz-Joachim Aris, der Vorsitzende des Landesverbades Sachsen der Jüdischen Gemeinden und Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, ein Grußwort. Er erinnerte an die 1847 in Görlitz gegeründete Jüdische Gemeinde, die bis zu 600 Mitglieder groß war und unter der Naziherrschaft ausgelöscht wurde. Die Gemeinde hatte den Jüdischen Friedhof 1849 angelegt. Aris lobte die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Stadt Görlitz, die den Jüdischen Friedhof im Auftrag der Jüdischen Gemeinde zu Dresden pflegt, und dankte namentlich der Leiterin des Eigenbetriebs Städtischer Friedhof Evelin Mühle.
Bewegend war, was die Holocaust-Überlebenden berichteten. Monik Mlynarski hatte lange gezögert, ob er nach Görlitz kommen soll. Er war hier auf dem Todesmarsch nach Buchenwald für drei Tage im Lager. Er überlebte, weil er sich in Buchenwald vier Tage lang in einem Zimmer voller Leichen versteckt hatte. Mit noch 36 Kilogramm Körpergewicht wurde er am 11. April 1945 befreit. "Nach meiner Befreiung habe ich gedacht, jetzt gibt es nur heile Weilt. Jetzt gibt es keinen Rassismus, keinen Antisemitismus - aber ich habe mich getäuscht", blickte er zurück. Er versteht bis heute nicht, dass das Kulturvolk der Deutschen die Verbrechen der Nazis mit angesehen und nicht reagiert hat. Er appellierte an die Menschen, an die Kinder und die Jugend, dass so etwas nie wieder vorkommen darf: "Jeder Mensch hat das Recht auf das bisschen Leben!"
Shlomo Graber, der ebenfalls das Wort ergriff, berichtete vom Görlitzer Todesmarsch. Bewacht von Ukrainern überlebten von 1.500 Häftlingen nur 500 die 30 Kilometer, die aus Görlitz hinaus und wieder zurück führten. Bei der Befreiung wog Shlomo Graber noch 30 Kilogramm.
Die liturgische Leitung der Einweihungszeremonie hatte Rabbiner Alexander Nachama aus Dresden. Er und Pfarrer Norbert Joklitschke sprachen das Gebet El Male Rachamin (Gott voller Erbarmen).
Die Verabschiedung übernahm Evelin Mühle, die überaus engagierte Leiterin des Städtischen Friedhofes.
Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von Alex Jacobowitz auf dem Marimbaphon. Der gebürtige New Yorker, der seit 2002 in Berlin lebt, hat sich auf Klezmer-Musik spezialisiert. Er brachte eingangs "Doina" von Jacob Hoffman, einem Spross der berühmten Klezmerdynastie der Hofmanns, deren Stammvater Joseph zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Ukraine nach Philadelphia ausgewandert war. Der ebenfalls zu Gehör gebrachte "D Freygisch Nigun" ist keine eigentliche Klezmer-Musik, sondern wird von den Klezmorim instrumental für Chassidim gespielt.
Finanziert wurde die neue Gedenkanlage mit Geldern des Freistaats Sachen, der Axel-Springer-Stiftung und der Stadt Görlitz.
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Wer sich näher mit der faszinierenden Welt des Judentums beschäftigen möchte, bekommt hier einen Einstieg:
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Der frühere Präsident des Zentralrats der Juden starb 2006. In seinem Buch will er mit dem Fremden vertraut machen und beantwortet Fragen zu Religion, Tradition und Alltag der Juden.
304 Seiten, ISBN-13 9783548367132
Erschienen am 1. Dezember 2004 bei ullstein.
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Audionauten, 2008.
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- Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 02.09.2015 - 08:33Uhr | Zuletzt geändert am 24.05.2020 - 07:29Uhr
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