Die Nachwehen von Nazis und "DDR"

Die Nachwehen von Nazis und "DDR"Görlitz, 7. Oktober 2016. Von Thomas Beier. Wer will's den Rechten verdenken, wenn sie immer offener die Meinung vertreten, unter Hitler sei doch nicht alles schlecht gewesen? Mittlerweile greift dieses Gedankengut doch auch in Bezug auf die "DDR" in mehr oder weniger intellektuell angehauchten Kreisen, bei den Linken soundso, immer stärker um sich. Ist das Ausdruck der Verunsicherung in der Gegenwart, die die Sehnsucht nach der Berechenbarkeit des Lebens in der Diktatur weckt? Schon kramt in Görlitz ein Projekt "Erfahrung DDR" in der Mottenkiste der Erinnerungen und die Stadtbibliothek Görlitz lädt zu einem "DDR-Vorlesewettbewerb", damit man sich an einem "vergnüglich bunten Programm erfreuen" kann. Wie groß waren eigentlich die Unterschiede zwischen der Nazi- und der SED-Diktatur?
Abbildung oben: Werbeprospekt der Firma Bamberger und Hertz, München 1931, ausgestellt im Jüdischen Museum Berlin.

Foto: Privat
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Ein Vergleich der Diktaturen von Nazis und SED

Ein Vergleich der Diktaturen von Nazis und SED
Wenn es nur so einfach wäre, den Nebel aus den Köpfen zu bekommen!

Bringen wir es auf den Punkt, auch wenn die nachstehende Auflistung nicht vollständig sein kann, auch nicht in der Wiedergabe der teils komplexen Zusammenhänge.

Nur wenige Unterschiede gab es in folgenden Bereichen:

  • Militarisierung des Lebens, Paraden, Massenveranstaltungen
  • Installation von Massenorganisationen, denen sich der einzelne Bürger kaum entziehen konnte
  • ideologische Beeinflussung von Kindkeit an
  • Pflicht zur Arbeit und Bestrafung von Nicht-Arbeit
  • Staatsziel war in beiden Systemen, nach und nach einen gewissen Mindest-Lebensstandard (Suggestion von Fortschritt) zu gewährleisten
  • propagiert wurden Fleiß, Disziplin und die Einordnung in Hierarchien als grundlegende Tugenden
  • das Rollenbild der Frau in der Familie blieb weitgehend traditionell, Kinder zu bekommen war staatlich ausdrücklich erwünscht; notgedrungen bekamen Frauen in beiden Systemen in der Wirtschaft einen relativ hohen Stellenwert: in der "DDR" wegen des aus mangelhafter Produktivität penetranten Arbeitskräftemangels, im Dritten Reich spätestens als Ersatz für die in den Krieg gezogenen Männer
  • Ausgrenzung und Verhaftung von Andersdenkenden, drakonische Strafen bei Widerstand gegen den Staat
  • ideologische Einflussnahme auf die Kunst und Kultur
  • Zensur, auch vorauseilende Selbstzensur
  • Distanz zu den Kirchen, zugleich neues Selbstverständnis als "Deutsche Christen" unter den Nazis und "Kirche im Sozialismus" unter der SED
  • Unterordnung des Einzelnen unter den Aspekt des "Volkswohles"
  • kein transparentes Gesetzgebungsverfahren
  • ideologisch geprägte Rechtsprechung
  • deutliche staatliche Eingriffe in die Wirtschaft
  • chronischer Devisenmangel
  • Einteignung von Bürgern (unter den Nazis vor allem von Juden, in der "DDR" beipielsweise von Kunstsammlern, denen Phantasiesteuern aufgebürdet wurden, zu deren Begleichung die Sammlungen enteignet und dann gegen Devisen verkauft wurden)
  • Unfähigkeit, die Staatsfinanzierung selbst zu lösen (für die Nazis eines der internen Kriegsmotive)
  • Sippenhaft (in der "DDR" zum Beispiel durch Reiseverbote für Verwandte von Flüchtlingen)
  • vorbeugende Verhaftungen
  • Klima des Misstrauens in der Gesellschaft, Förderung des Denunziantentums

Deutlichere Unterschiede hingegen gab es hier:

  • Die "DDR" hat nicht so offen auf Kriegstreiberei gesetzt wie die Nazis, obgleich die SED-Führung 1968 gern eine Beteiligung der NVA beim Einmarsch in die CSSR gesehen hätte und zumindest einzelne Soldaten in den Krieg der Sowjetunion in Afghanistan schickte. Rüstung war wichtige Staatsaufgabe, in der "DDR" auch als "Landesverteidigungsobjekte" (LVO) in zivilen Betrieben.
    Bezeichnend für beide Systeme ist auch die militärische Nachwuchsgewinnung, bei der großer Druck ausgeübt wurde.
  • Der Rassismus und die Ausländerfeindlichkeit in der "DDR" waren - zumindest offiziell - bei weitem nicht so ausgeprägt wie unter den Nazis, die "Rassenlehre" wurde offiziell nicht weiterverfolgt.
  • Willkürliche Verhaftungen und Arbeitslager, oft letzter Aufenthaltsort im Leben der Gefangenen, erlangten in der "DDR" nicht den Umfang wie in der Sowjetunion. Im Nazireich dagegen kann von systematischen Verhaftungen gesprochen werden, hier entwickelten sich die Konzentrationslager zu Stätten, in denen ein Leben wenig galt bis hin zum systematischen Mordfabriken.

Unterm Strich

Was aber beide Systeme insbesondere auszeichnete, ist die Schizophrenie des Denkens: Die Menschen unterschieden sehr genau, was gesagt werden durfte (sollte), was nur "hinter vorgehaltener Hand" gesagt werden konnte und was man lieber ganz für sich behielt - um so mehr, wenn wieder einmal die Runde machte: "Den haben sie auch abgeholt!"

Beide Systeme haben den Einzelnen weitgehend entmündigt und der Grundeinstellung, Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lebens zu übernehmen, weitgehend entwöhnt. Die Folgen erleben wir im Ruf, der Staat möge doch alle Probleme lösen, noch heute. Gefragt sind aber gänzlich neue Lösungsansätze.

Nachsatz

Heinrich Heine, der "Deutschland, ein Wintermärchen" gedichtet hat, bezeichnete Deutschland einst als "Brechpulver", bevor er 1831 nach Paris ging. "Der deutsche Nationalismus blieb ihm zutiefst zuwider, nicht aber die deutsche Sprache. Sie war das »Vaterland selbst demjenigen, dem Torheit und Arglist ein Vaterland verweigern«", heißt es auf einer Tafel im Jüdischen Museum Berlin.

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  • Quelle: Thomas Beier | Foto Reklame: Privat, Foto Rauchabzug: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 07.10.2016 - 09:08Uhr | Zuletzt geändert am 04.04.2021 - 17:20Uhr
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