Der Osten braucht Menschen und Unternehmen
Görlitz, 7. November 2019. Wie soll man dem Ausbluten des Humankapitals im ländlichen Raum östlich der Elbe, gern als demografischer Wandel verharmlost, begegnen? Immerhin sind seit der Öffnung der innerdeutschen Grenzen rund zwei Millionen Menschen in die alten Bundesländer umgezogen, oftmals gut qualifiziert und im besten Leistungsalter. Im Osten selbst ist ein Großteil der Jugend in die Ballungszentren abgewandert oder gleich nach Ausbildung oder Studium dort geblieben.
Ländliche Regionen bieten Raum für Chancen
Versuche, mit Kampagnen junge Leute auf dem Dorf zu halten oder Weggezogene zur Rückkehr in die alte Heimat zu bewegen wirken oft hilflos und setzen den Hebel nicht am wirkungsvollsten Punkt an. Fakt ist: Der Osten braucht Zuzug von jüngeren, ausgebildeten oder bildungswilligen Leuten, nur auf die Dableiber und Rückkehrer zu setzen, das reicht nicht aus. Woher dieser Zuzug kommt, ist eher sekundär. Allerdings haben sich die Sachsen mittlerweile einen Ruf erarbeitet, der auch den Freistaat für den Zuzug nicht attraktiv macht: Verbreitetes national orientiertes Gedankengut und Vorbehalte gegenüber Ausländern schrecken eben auch jene Hochqualifizierten ab, die bereit sind, im Ausland – wie beispielsweise eben in Deutschland – zu arbeiten.
Wenn sich demografische Probleme durch Zuzug lösen lassen sollen, muss die Wirtschaft im Osten zudem die entsprechenden Arbeitsplätze bieten: Hochproduktiv, gut bezahlt und mit Potenzial zur Work-Life-Balance. Das funktioniert vor allem dort, wo Fachleute dringend benötigt werden. In den Regionen, denen der Abschied von der braunkohlebasierten Wirtschaft ins Haus steht, ist die Situation anders: Wer bislang gut bezahlt in Tagebauen und Kraftwerken gearbeitet hat, wird nach deren Ende mit seiner Qualifikation und seinen Berufserfahrungen in vielen Fällen nicht mehr gefragt sein. Daneben besteht zusätzlich ein Heer von Menschen, von denen viele ihre Fähigkeit, in einem Unternehmen beschäftigt zu werden, längst verloren haben.
Andererseits ist das Potenzial der Unternehmen im ländlichen Raum, in der Mitarbeiterzahl zu wachsen, begrenzt. Kluge Unternehmer kennen die Mitarbeiterzahlen, bei deren Überschreitung neue Strukturen erforderlich sind und neue Risiken eintreten. Lieber in der Betriebsgröße und der Mitarbeiterzahl übersichtlich und risikoarm zu wirtschaften, ist ein vernünftiger Grundsatz. Will man also neue Arbeitsplätze erzeugen, bleiben zwei Wege: Die bestehenden Unternehmen trotz möglicher Vorbehalte auf Wachstumspotenziale abklopfen und neue Unternehmen zusätzlich ansiedeln, aber bitte keine fantasiegetriebenen Start-ups, die mit rund 90 Prozent Versagerquote vielleicht auch noch Fördermittel in den Sand setzen.
Ländlicher Raum heißt nicht zwangsläufig Dorf. In der Region Görlitz kämpfen auch kleine Städte wie Bernstadt a.d. Eigen (nein, a.d. heißt nicht "an der") oder Reichenbach/O.L. um Beachtung und Entwicklung. Wer in die Oberlausitz umzieht, hat die Wahl zwischen mittlerer Stadt, Kleinstadt und Dorf. Fans denkmalgeschützter Immobilien, die saniert werden müssen, sind in beispielsweise in den kleinen Städten manchmal mit einem Euro Kaufpreis dabei – in Gedankenspiel, das sich lohnen könnte.
Wirtschaftsförderer in wichtiger Rolle
In den letzten Jahrzehnten haben die lokalen Wirtschaftsförderungen dazugelernt, oft sitzt eine neue und gut ausgebildete Generation an den Schalthebeln. Sie setzen auf professionelles Marketing und tragen ihre Werbebotschaften möglichst direkt zu den Empfängern, beispielsweise durch ihre Präsenz auf wichtigen Messen, wo sie neben den touristischen Reizen der Heimatregion auch über die Möglichkeiten einer Betriebsansiedlung informieren. Mit freundlichem und kompetentem Auftreten und dem Wissen, dass kleine Geschenke die Freudschaft erhalten, werden die erwünschten Investoren regelrecht umgarnt und das immer wieder über lange Zeit. Die Frage nach den probaten Marketingmitteln ist schnell beantwortet, denn schon aus steuerlichen Gründen darf deren Wert nicht zu hoch sein: Grußkarten mit Werbebotschaften versehen, Kugelschreiber bedrucken, Informationsbroschüren erstellen – das ist üblich und wird häufig sogar regelrecht erwartet.Allerdings sind der gute Wille und jeder Marketingaufwand umsonst, wenn vor Ort die harten Fakten und die weichen Faktoren nicht stimmen. Zu den harten Fakten zählen ausgewiesene Industrie- und Gewerbeflächen, die logistische Anbindung und eben auch die Verfügbarkeit von Arbeitnehmern mit den benötigten Qualifikationen. Die weichen Faktoren werden beeinflusst von der Unternehmerfreundlichkeit der Verwaltung, der Stimmung in der Bevölkerung und von der Serviceorientierung der lokalen Wirtschaftsförderer. Hier braucht sich die Region Görlitz nicht zu verstecken: Während in Gemeinden wie Markersdorf – in der Fläche immerhin fast so groß wie das benachbarte Görlitz – die Tür des Bürgermeisters für die Belange der Wirtschaft und für Ansiedlungen immer offen steht, ist es in Görlitz die sich als Unternehmerservice verstehende Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH als städtische Wirtschaftsförderung, die den Investoren den roten Teppich ausrollt. Sowohl die Stadt Görlitz als auch die Großgemeinde Markersdorf können hinsichtlich Ansiedlungen auf große Erfolge verweisen, beispielsweise produziert an beiden Standorten das bekannte Unternehmen Birkenstock.
Und beide Kommunen wollen mit Lebenqualität punkten: Für Görlitz stehen Wohnen und Kultur weit oben, Markersdorf setzt auf den unterschiedlichen Charakter seiner Ortschaften. Hier locken beispielsweise stadtnah Pfaffendorf und Holtendorf, während Jauernick-Buschbach den wohl besten Blick auf den Berzdorfer See bietet. Wer ländliche Ruhe und Wald bevorzugt, schaut sich in Deutsch-Paulsdorf um, Markersdorf selbst punktet mit sanierter Grundschule, neuer Kindertagesstätte und viel Wirtschaft bis hin zu Industriebetrieben. In Gersdorf, der einzigen Markersdorfer Ortschaft mit Bahnanschluss (Strecke Görlitz-Löbau-Bautzen-Dresden), entsteht gerade im Schloss mit der SCHKOLA eine Freie Schule, die zur Grund- und Oberschule ausgebaut werden und als Ziel auch das Fachabitur ermöglichen soll – nüchtern betrachtet: Neben dem Gersdorfer Schloss sieht Hogwarts aus wie ein Plattenbau. Als in der Aufzählung letzte der Markersdorfer Ortschaften ist Friedersdorf – früher Friedersdorf an der Landeskrone (a.d.L.) genannt – zu erwähnen; wer sich hier umsieht, sollte unbedingt die mit großem Engagement des Kirchbauvereins sanierte Bauernkirche St. Ursula besuchen.
Längst sind Görlitz und die Oberlausitz als Perlen weithin bekannt. Das lockt nicht nur viele Tagesausflügler, sondern zunehmend auch Kurzurlauber an, die in der Stadt, im nahen Umland oder in der Geheimen Welt von Turisede übernachten, die sich als ein etwas verrückter, riesengroßer Abenteuer-Natur-Erlebnis-, Urlaubs- und Freizeitpark seit Anfang der Neunzigerjahre etabliert hat. Hier findet seit gestern die alljährliche "Fachtagung der Querdenker" zu Erlebnisinszenierungen statt, wo sich kreative Köpfe darüber austauschen, wie die Attraktivität von Freizeit- und Reisedestinationen weiter gesteigert werden kann; der Görlitzer Anzeiger wird berichten.
Die Grenzlage als wirtschaftlicher Vorteil für Unternehmen
Die nahezu weltweit aktive Künstlerische Holzgestaltung Bergmann GmbH, die gleich neben dem Park arbeitet, ist übrigens ein Musterbeispiel für die Vorteile des Standortes ganz dicht neben Polen: Rund die Hälfte der etwa 120 Mitarbeiter kommt aus Polen. Unternehmen im Landkreis Görlitz nutzen die Nähe zu Polen mit weiteren Vorteilen. So sind die Lohnunterschiede beträchtlich, weshalb für viele Unternehmen die Lohnveredelung im günstigen Polen interessant ist. Viele Polen sind zudem in Deutschland qualifiziert und verfügen über deutsche Sprachkenntnisse.Polen bietet sich auch als Kooperationsstandort für deutsche Unternehmen an, weil Görlitz mit dem früheren Ostteil der Stadt, dem heutigen Zgorzelec, als Europastadt verbunden ist. Insider sind sich sicher, dass im Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der beiden Städte, die mit ihrem Umland gemeinsam die 100.000 Einwohner-Marke knacken, noch großes Potenzial liegt.
Was Görlitz als Standort bietet
Zu allererst: Ein tolles Lebensgefühl, das im Sommer mediterrane Maßstäbe erreichen kann. Ob der Abend in einem der Restaurants ausklingt oder das Wochenende einem Ausflug in die anwechslungsreiche Natur des Umlandes gewidmet ist – in Görlitz ist das leicht, vor allem auf kurzem Wege, möglich. Junge Leute finden in der sozio-kulturellen Szene schnell Anschluss, während Ältere vielleicht eher das Theater und die große kulturelle Veranstaltungsdichte schätzen.Eins bedingt das andere: gute Jobs – gute Lebensqualität, Folgen sind Zuzug und Prosperität. Die Region Görlitz hat beste Voraussetzungen, im Strukturwandel neue und gute Jobs zu bieten. Und diese Potenziale werden genutzt, wie die Ansiedlung von bedeutsamen Forschungseinrichtungen wie dem CASUS Wissenschaftszentrum beweist.
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- Quelle: red
- Erstellt am 07.11.2019 - 14:04Uhr | Zuletzt geändert am 08.11.2019 - 03:04Uhr
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