Görlitz sucht seine Inschriften

Görlitz, 16. April 2018. Inschriften finden sich an und in Häusern, auf Grabdenkmälern und Gemälden wie auch auf Waffen, Schüsseln oder Schmuck. Auch in Görlitz sollen bislang unentdeckte sowie nicht dokumentierte Inschriften gesucht beziehungsweise erfasst werden. Bewaffnet mit Zollstock, Taschenlampe und Notizblock drehen Forscher der sächsischen Inschriftenarbeitsstelle seit Jahreanfang 2017 auf der Jagd nach diesen besonderen Botschaften in Görlitz buchstäblich jeden Stein um.
Abbildung: Inschrift an der Stadthalle Görlitz

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Gefragt sind bislang unbekannte, nicht öffentlich zugängliche Inschriften

"Die Inschriften der Stadt Görlitz" ist ein Projekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, angesiedelt an deren Arbeitsstelle in Dresden, das sich in einen weit größeren Rahmen einordnet: "Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit" widmen sich sechs Wissenschaftsakademien in Deutschland und die Österreichische Akademie der Wissenschaften. Seit mehr als 40 Jahren sammeln sie in Deutschland, Österreich und dem italienischen Südtirol deutschsprachige und lateinische Inschriften und veröffentlichen diese. Zeitlich erstreckt sich die Inschriftenerfassung vom Mittelalter bis zum Jahr 1650.

Bis 2021 soll das Buch der Görlitzer Inschriften vorliegen, als wissenschaftliche Publikation, die nicht nur die Inschriften abdruckt, sondern diese auch kommentiert, einordnet und illustriert. Dann braucht es noch einmal zwei Jahre, bis der Inhalt auf Deutsche Inschriften Online gebührenfrei verfügbar ist.

Realisiert haben die Inschriften meist Künstler oder Handwerker. Sie zeigen den Besitzer an, geben Auskunft über politische Umstände, nennen das Entstehungsjahr und vieles mehr. Für die Wissenschaftler ist jede Inschrift ist ein einzigartiges historisches Zeugnis, das nicht nur in seiner Materialität, sondern auch nach seinem Inhalt dauerhaft zu bewahren ist.

Die Suche nach Inschriften beginnt für die Epigrafiker (Inschriftenforscher) in der Stube oder im Lessesaal: Die Sichtung der Literatur, Recherchen in Bibliotheken und Archiven schaffen die Grundlage für eine Liste, die vor Ort als Hilfsmittel dient. Nicht selten wird dann festgestellt, dass die Objekte ihren Standort gewechselt haben oder gar verloren sind. Dann bleiben schriftlich überlieferte Nachrichten, manchmal auch Bilder die einzigen Informationen über sie. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein: Gerade in Görlitz, wo seit 1989 viele Gebäude saniert und restauriert wurden, sind immer wieder bislang unbekannte Wandaufschriften unter Putz, Tapeten oder Farbe aufgetaucht.

Ist das gesuchte Objekt gefunden, werden Inschrift und Inschriftenträger gemessen und fotografiert, der Text transkribiert, also punktgenau abgeschrieben, und Notizen der Erhaltungszustand beschrieben. Im Büro erfolgt dann die Entschlüsselung: Abkürzungen werden aufgelöst, Übersetzungen angefertigt und historische Bezüge aufgespürt.

Welche Inschriften gibt es in Görlitz?

Görlitz hat einen großen Inschriftenbestand: 550 Inschriften sind bekannt und davon etwa 250 erhalten. Allein an der Nikolaikirche und auf ihrem Friedhof haben sich 80 Grabplatten und Epitaphe aus der Zeit vor 1650 erhalten. Das ist ungewöhnlich, sind diese Denkmale doch Regen und Wind schutzlos ausgesetzt. Wertvolle transportable Inschriften findes sich im Kulturhistorischen Museum Görlitz, so Ratsschätze wie das Portrait Kaiser Sigismunds (um 1450), das im Kaisertrutz zu bestaunen ist, oder der Druckstock der ältesten Görlitzer Stadtansicht von Joseph Metzker und Georg Scharfenberg von 1565.

Besonders sind ebenfalls die Inschriften in und an Görlitzer Wohnhäusern: Beschriftungen auf Wandgemälden im Haus Untermarkt 5 und in Treppenhäusern wie auf dem Obermarkt 28 sowie zahlreiche eingehauene oder gemalte Jahreszahlen. Görlitzer Inschriftenextreme: Die höchstgelegene Inschrift der Stadt befindet sich am Rathausturm und die östlichste ganz Deutschlands ist am Wehr bei der Mühle eingemauert.

Görlitz unterstützt

Die Stadt Görlitz unterstützt das Inschriftenprojekt in vielerlei Hinsicht: In den vergangenen beiden Jahren haben das Kulturhistorische Museum, die Untere Denkmalbehörde, die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften und das Ratsarchiv den Epigrafikern mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Daneben stehen die Wissenschaftler mit Privatinitiativen wie der Evangelischen Kulturstiftung in Kontakt.

Doch viele Inschriften sind schlichtweg unbekannt, vor allem jene in Privathäusern. Wer in einem historischen Gebäude lebt und in seinen Räumen Jahreszahlen, Sprüche oder einzelne Buchstaben hat, sollte sich unbedingt melden.

Inschriften melden!
Kontakt: Dr. Sabine Zinsmeyer
Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig
Projekt "Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit"
Palaisplatz 3, 01097 Dresden
E-Mail zinsmeyer@saw-leipzig.de
Tel. 0351 - 56 39 41 52

Tipp!
Im Sommer 2018 soll es eine Führung zu besonderen Inschriften geben. Tour und Termin werden rechtzeitig bekanntgegeben.

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  • Quelle: red | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 16.04.2018 - 07:55Uhr | Zuletzt geändert am 16.04.2018 - 10:11Uhr
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