Vorbereitet auf die nächste Flut?
Leipzig. Die Betroffenen des Muldehochwassers 2002 fühlen sich auch heute noch schlecht auf eine erneute Flut vorbereitet. Das ist das Ergebnis einer Befragung des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle in der Kreisstadt Eilenburg und sowie den Dörfern Erlln und Großsermuth südlich von Grimma. Im Foto das Symbol der Muldeflut 2002 - die zerstörte Pöppelmann-Brücke in Grimma.
Umweltforschungszentrum befragt Muldeanwohner zu den Lehren aus der Jahrhundertflut
Lediglich fünf Prozent der 400 Befragten gaben an, auf ein starkes Hochwasser sehr gut vorbereitet zu sein. "Etwas vorbereitet" gaben immerhin 16 Prozent an. Dagegen schätzen sich rund ein Drittel als gar nicht oder kaum vorbreitet ein. Die Befragung ist Teil des EU-Forschungsprojektes "FLOODsite", in dem neue Methoden zum Management von Hochwasserrisiken erarbeitet werden.
Die Wissenschaftler schlussfolgern daraus, dass die Bevölkerung bessere Informationen für den persönlichen Schutz benötigt. In den vergangenen vier Jahren hat der Freistaat Sachsen viel in technischen Hochwasserschutz investiert. Trotzdem ist das Wissen der potentiell Betroffenen insbesondere über persönliche Schutzmaßnahmen bei künftigen Katastrophen immer noch gering. Eine bessere Informationspolitik halten zwei Drittel der Befragten für sinnvoll, aber nur ein reichliches Drittel denkt dabei an eigene Vorkehrungen. "Uns interessiert, wie die Katastrophe 2002 aus Sicht der Befragten genau ablief", berichtet Dr. Annett Steinführer. "Wir wollen so herausfinden, welche Folgen die Erfahrung 'Jahrhundertflut' für das soziale Leben in den Orten, für die Haushalte, aber eben auch für die Wahrnehmung des Hochwasserrisikos und die Umsetzung eigener Vorsorgemaßnahmen hatte."
Immerhin verringerte sich der Anteil der Flussanwohner, die sich gar nicht vorbereitet fühlen, nach der Flut von 85 auf 20 Prozent. Trotzdem sehen die Wissenschaftler noch Defizite, denn bisherige Untersuchungen haben gezeigt, dass Hochwasserschäden vor allem wenig informierte und kaum vorbereitete Bevölkerungsgruppen besonders stark treffen. Obwohl die Schäden an den Häusern und die seelischen Auswirkungen in der Befragung als schlimm eingestuft wurden, rangieren die materiellen Verluste auf der Betroffenheitsskala weit unten. Ein Indiz dafür, dass die staatlichen Ausgleichszahlungen gut funktioniert haben. Die Wissenschaftler fürchten aber, das Handeln des Staates und die große Spendenbereitschaft nach der Flut 2002 könnten dazu führen, dass Anreize fehlen, Eigenvorsorge zu betreiben oder sich besser zu informieren.
Welche Verwundbarkeit aus Wissen oder Nichtwissen resultiert, untersucht der Geograph Christian Kuhlicke in seiner Dissertation am Fallbeispiel der Stadt Eilenburg im gleichen Forschungsprojekt. Etwa die Hälfte der 18.000 Einwohner war von dem Hochwasser 2002 betroffen. Der Gesamtschaden belief sich auf rund 150 Millionen Euro. Woran lag es, dass die Informationen über die Flutwelle damals nur unzureichend ankamen? Seine Hypothese ist dabei, dass der Kommunikationsprozess misslang, da die Informationen nicht zu den Erfahrungen der Eilenburger mit früheren Hochwassern passten. "Die Flut 2002 war für die Betroffenen ein sehr einschneidendes Erlebnis", erzählt Christian Kuhlicke. "Die meisten konnten sich ein solches Ereignis einfach nicht vorstellen. Noch heute ist es für viele unbegreiflich, dass das Wasser 2002 so hoch ansteigen konnte." Die letzten großen Hochwasser lagen schon einige Jahrzehnte zurück (1954, 1974). Dazu kommt, dass der Pegel der Flutwelle im August 2002 noch deutlich höher stieg als 1974 oder 1954.
Momentan laufen noch die Auswertungen der Befragungen. Ende des Jahres wollen die Wissenschaftler die drei Orte an der Mulde über ihre Ergebnisse informieren. Die Untersuchungen sind eingebettet in das Europäische Hochwasserforschungsprojekt "FLOODsite". Vergleichbare Analysen finden momentan auch an der Etsch/Adige in Norditalien und an der Themse in Großbritannien statt. Ab kommendem Jahr wollen die Wissenschaftler dann die Erfahrungen mit Hochwassern in den drei EU-Staaten vergleichen.
Mehr:
http://www.floodsite.net
http://www.ufz.de/index.php?de=6310
Risikowahrnehmung und lokale Verarbeitung von Hochwasserkatastrophen:
http://www.ufz.de/index.php?de=7024
(Nicht-)Wissen und Verwundbarkeit - Das Mulde-Hochwasser 2002 in Eilenburg
http://www.ufz.de/index.php?de=7027
Hintergrund:
Die Wissenschaftler des UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle (UFZ) erforschen die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften. Sie entwickeln Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu sichern.
Das UFZ ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die mit ihren 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2.2 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands ist. Die insgesamt 24.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Helmholtz-Gemeinschaft forschen in den Bereichen Struktur der Materie, Erde und Umwelt, Verkehr und Weltraum, Gesundheit, Energie sowie Schlüsseltechnologien.
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- Quelle: /idw /Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle GmbH /Tilo Arnhold /Veröffentlicht von: Doris Böhme /Foto: André Künzelmann/UFZ
- Erstellt am 11.08.2006 - 00:32Uhr | Zuletzt geändert am 15.08.2020 - 11:21Uhr
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