Der Mindestlohn kommt - und damit die Plagen

Görlitz, 5. Juli 2014. Der Kuhhandel in der Großen Koalition funktioniert: Die gemeinsamen Stimmen von CDU und SPD im Bundestag werden genutzt, um sich gegenseitig die Missliebigkeiten zu erlauben. Für die CDU dürfte dazu der gesetzliche Mindestlohn gehören, der nun kommt. Warum der kontraproduktiv ist, erklärt Unternehmensberater Thomas Beier.

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Zwölf Argumente gegen den Mindestlohn

Von Thomas Beier. Eins vorweg: Dass Menschen von ihrer Arbeit leben können, ist eine berechtigte Forderung - vor allem an Unternehmen, denen es wirtschaftlich gut geht, die aber einem Manchesterkapitalismus gleich nur Hungerlöhne zahlen. Um diesen Mangel der sozialen Marktwirtschaft zu beheben, ist ein gesetzlich vorgeschriebener Mindestlohn jedoch der falsche Weg. Er benachteiligt vor allem Arbeitnehmer wie auch Unternehmen in strukturschwachen Gebieten wie der Oberlausitz.

Die Fakten sprechen für sich: Nach Angaben der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) arbeiten 4,6 Millionen Beschäftige unterhalb der Mindestlohngrenze. Mit der Umstellung auf Mindestlohn werden 3,7 Millionen davon mehr Geld vom Arbeitgeber erhalten, aber 900.000 werden ihren Job verlieren.

Mindestlohn = mehr in der Tasche?

Mehr Geld vom Arbeitgeber zu erhalten bedeutet für die 3,7 Millionen dann besserverdienenden Arbeitnehmer jedoch nicht zwangsläufig, mehr Geld zur Verfügung zu haben. Mit dem Anstieg der Lohneinnahmen verlieren die sogenannten Aufstocker ihren Anspruch auf die Zuschüsse der Jobcenter zur Deckung der Lebenshaltungskosten, Folge:

1. Der Staat wälzt seine Fürsorgekosten auf die Unternehmen ab

Einsparungen bei Aufstockern, Mehreinnahmen für Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie Berufsgenossenschaften - diese Abgaben basieren ganz oder teilweise auf der Höhe des Arbeitnehmerbruttolohns.
Damit macht der Staat aus der Arbeitslosigkeit als gesellschaftliches Problem ein unternehmerisches Problem. Es ist aber ausdrücklich nicht die Aufgabe der Unternehmen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Mitarbeiter möglichst gut zu bezahlen; Aufgabe der Unternehmen ist es vielmehr, konkurrenzfähige Produkte und Leistungen anzubieten. Nur so lassen sich Umsätze erzielen, aus denen auch die Mitarbeiter bezahlt werden. Erst der Erfolg am Markt ist die Basis dafür, dass Mitarbeiter eingestellt und gut bezahlt werden können.

2. Preissteigerung bei Dienstleistungen

Geringe Löhne werden oft im Dienstleistungsbereich bezahlt, vor allem dort, wo die Umsätze unmittelbar durch die Mitarbeiter erwirtschaftet werden. Höhere Löhne schlagen hier direkt auf die Preise durch. Aber auch im Handwerk, das gewöhnlich weitere Deckungsbeiträge aus dem Materialeinsatz oder aus Handelsware erzielt, gehören die Lohnkosten meist zu den maßgeblichen Faktoren.

3. Arbeitnehmer wegzurationalisieren lohnt sich wieder

Steigen die Lohnkosten, rücken Rationalisierungsmaßnahmen wie beispielsweise Investitionen in komplexere Software oder Maschinen mit höherem Automatisierungsgrad stärker in Richtung Wirtschaftlichkeit. Die Tendenz zur Langzeitarbeitslosigkeit, wo oft Jobs mit eher geringen Qualifikationsvoraussetzungen gefragt sind, wird damit verstärkt.

4. Konzentrationsprozesse werden gefördert

Große Unternehmen werden in vielen Fällen den Mindestlohn besser verkraften als kleine, vor allem, wenn sie die nötige Marktmacht besitzen, um höhere Preise zu erzielen. Kleinere Unternehmen und Zulieferer hingegen stehen gewöhnlich unter enormem Preisdruck. Das Erfolgspotential des für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Mittelstands wird in Richtung der Großunternehmen verlagert.

5. Weniger neue Arbeitsplätze werden geschaffen

Insbesondere Start-Ups und Kleinstunternehmen, für die Einstellungen fast immer einen riskanten Kostensprung darstellen, werden durch den Mindestlohn noch stärker von Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze abgehalten.

6. Arbeitsverhältnisse werden ausgehebelt


Je höher der zu zahlende Arbeitslohn, um so mehr steigt bei geeigneten Tätigkeiten die Tendenz, Arbeiten an Selbständige - wenn nicht sogar an Schwarzarbeiter - auszulagern. In der Praxis sind die pro Stunde zwar deutlich teurer als ein Arbeitnehmer, befreien den Auftraggeber aber von der Soziabürokratie und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen. Gerade bei Kleinstunternehmern, die bislang von Angestellten ausgeführte Tätigkeiten übernehmen, werden die Stundensätze dann wiederum so gedrückt, dass oft genug das Jobcenter einspringen muss, um dem Selbständigen das Überleben zu sichern.

7. Gesamtkaufkraft steigt nicht

Auch wenn die Einkommen einiger tastsächlich steigen, erfolgt bei anderen nur der Ersatz der Hartz-IV-Leistungen durch den höheren Lohn, hunderttausende aber verlieren sogar ihre Arbeit und werden dann auf Sozialleistungen angewiesen sein.

8. Bürokratieekosten steigen

Schon fordert die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft 2.000 bis 2.500 neue Stellen, um den Mindestlohn kontrollieren zu können. Die dürften dann Jagd auf sogenannte "Scheinselbständige" machen, die aus dank Mindestlohn ihren Arbeitsverhältnissen gedrängt wurden. Auch für bestehende Kleinunternehmen, die wegen des Mindestlohns ihre Beschäftigten entlassen müssen, droht dann schneller die Gefahr, als "Scheinselbständiger" bezichtigt zu werden.

9. Der Mindestlohn ist ungerecht

Der Praktikantenausbeutung bietet der gesetzliche Mindestlohn keinen grundsätzlichen Einhalt – hier gelten genau so Sondervorschriften wie für Zeitungszusteller, Erntehelfer und junge Leute außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses.
Außerdem verringert der Mindestlohn den Lohnabstand zu den Leistungsträgern mit der Folge, dass die nun auch mehr Geld wollen - aber eher weniger erhalten, wenn aus dem Lohnbudget ein größerer Anteil für die Niedrigeinkommen aufgewendet werden muss.

10. Unsicherheit bei Unternehmen wächst

Für Unternehmer, die Arbeitnehmer oder Praktikanten beschäftigen wollen, bringt der Mindestlohn höheren Aufwand, wenn sie rechtsmangelfreie Arbeitsverträge abschließen wollen. Gerade für kleinere Unternehmen ist die zu recherchierende Informationsflut eine Mehrbelastung. Nebenbei: Schon heute halten gesetzliche Regelungen, die zum Schutz von Arbeitnehmern oder Auszubildenden getroffen wurden , von Einstellungen. Unlängst hat ein Unternehmer ein Lehrverhältnis nicht begründet, nachdem er erkennen musste, dass der Lehrvertrag für ihn zwar bindend ist, aber nicht für den Auszubilden, der gegebenenfalls zum ersten Tag einfach nicht zu erscheinen braucht. Unternehmer sollten sich zur Gestaltung von Arbeitsverträgen oder mündlichen Zusagen bei ihrem Rechts- oder Steuerberater informieren.

11. Mehr Unternehmensverlagerungen ins Ausland

Wer nicht zwangsläufig seine Leistung in Deutschland erbringen muss - vom Entwicklungsunternehmen bis zur Industrie - hat nach der Einführung des Mindestlohns ein weiteres Argument, ganz oder teilweise in Billiglohnländer abzuwandern.

12. Politischer Eingriff in die Tarifautonomie

Nicht zuletzt ist der gesetzliche Mindestlohn ein politischer Eingriff in die Tarifautonomie. Wenn die Politik die Löhne vorschreibt, ist das der Anfang der Planwirtschaft und das "Amt für Preise“ nicht mehr fern.

Kein Mindestlohn – was dann?

Das Argument, dass es auch in anderen Ländern den Mindestlohn gebe, ist schwach, wenn man die Wirtschaftleistung dieser Lander und das Preisniveau mit Deutschland vergleicht. Andere Lösungen sind gefragt.

Offen bleibt also die Frage, wie ohne ein Mindestlohngesetz und ohne Hartz-IV-Transferleistungen der Jobcenter ausreichende Einkommen – denn allein darum geht es in der Mindestlohndiskussion – gesichert werden können.

Aus sozialer Sicht kommt hier das viel diskutierte Bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel. Grundgedanke ist hier die Umverteilung von Arbeit verbunden mit einem staatlichen Grundeinkommen. Bislang Arbeitslose würden durch eine Teilzeittätigkeit besser sozialisiert, der entwürdigende Antragsprozess beim Jobcenter wäre unnötig, weil der Anspruch auf das Grundeinkommen von den Bedingungen für die bisherigen Hartz-IV-Leistungen unabhängig wäre.

Ferner wäre denkbar, bei Löhnen unterhalb einer Mindesthöhe im Zuge der Steuererkärung die wirtschafliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu prüfen nach dem Prinzip, wer Mindestlohn zahlen kann, soll es auch tun und nicht seine Lohnkosten auf den Staat abwälzen, indem er seine Arbeitnehmer zu Aufstocken macht; dagegen spricht allerdings, dass dies ein erheblicher Eingriff in die unternehmerische Freiheit wäre.

Mehr:
Zehn falsche Gründe für den Mindestlohn von Prof. Michael Bräuninger (Video)

Ergänzung vom 6. Juli 2014:
Die lohnkostenintensive Spielszeug- und auch die Textilindustrie sind schon weg, schreibt die "Wirtschaftswoche" am 30. Juni 2014 im lesenswerten Beitrag "Deutsche Firmen auf der Flucht". Der staatlich verordnete Atomstromausstieg, hohe Energiepreise und Wachstumschancen in Schwellenländern tragen bereits jetzt neben dem kommenden Mindestlohn ein Übriges dazu bei.

Der freiberuflich tätige Unternehmensberater Thomas Beier betreut seit zwanzig Jahren mittelständische Unternehmen und Start Ups vor allem zur Unternehmensentwicklung und zum Marktzugang sowie in der Personal- und Organisationsentwicklung.

Kommentare Lesermeinungen (3)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Roosevelt-Zitat

Von Thomas Beier am 16.07.2014 - 13:39Uhr
Würde man nach dem von Herrn Schmidt angeführten Roosevelt-Zitat gehen, wären genau jene, die es tendenziell eh schon am schwersten haben, eine Arbeit mit niedrigstem Qualifikationsanspruch zu finden, vom Erwerbsleben ganz ausgeschlossen und würden ihre Beschäftigungsfähigkeit relativ schnell verlieren.

Ich halte es für wichtig, Leuten einen geregelten Tagesablauf und das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden - auch dann, wenn das zunächst nur zu einem prekären Lohn mit zusätzlichen Sozialleistungen möglich ist.

Arbeit ist für die meisten Menschen ein wichtiger sozialer Aspekt, den man ihnen nicht allein deshalb vorenthalten darf, weil sich die Arbeit wirtschaftlich nicht lohnt.

Ist es nicht paradox, dass unsere Industrie - vor allem die arbeitsintensive - zu großen Teilen in Billiglohnländer abgewandert ist und wir glauben, Arbeitsplätze zu schaffen, indem wir das Lohnniveau steigern?

Ich habe Mitleid mit den ehemaligen Industriearbeiterinnen und -arbeitern, die kaum jemals wieder eine Chance auf eine geregelte und menschenwürdig bezahlte Beschäftigung haben, weil deren Qualifikation als einfache Maschinenbediener nicht mehr gefragt ist und weil sie schon viel zu lange raus sind - und der Mindestlohn verstärkt diese Gruppe weiter.

Mindestlohn

Von Michael Schmidt am 13.07.2014 - 14:15Uhr
Zitat von Franklin D. Roosevelt aus dem Jahr 1938:
Unternehmen, deren Existenz lediglich davon abhängt, ihren Beschäftigten weniger als einen zum Leben ausreichenden Lohn zu zahlen, sollten in diesem Land kein Recht mehr haben, weiter ihre Geschäfte zu betreiben. (...) Mit einem zum Leben ausreichenden Lohn meine ich mehr als das bloße Existenzminimum - ich meine Löhne, die ein anständiges Leben ermöglichen.
[Ende des Zitates]

Der Mindestlohn ist längst überfällig.

Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe

Von LunaSol am 13.07.2014 - 14:01Uhr
Jeder Mensch hat das Recht auf eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe.

Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist das wichtigste Gebot des Grundgesetzes. Ein Mensch kann nur in Würde leben, wenn für seine Grundbedürfnisse gesorgt und ihm gesellschaftliche Teilhabe möglich ist. In unserer Geldwirtschaft ist dazu ein Einkommen notwendig.

Wenn ein Einkommen nur durch Arbeit erzielt werden kann, muss zur Sicherung der Würde aller Menschen Vollbeschäftigung herrschen. Unter dieser Voraussetzung ist Vollbeschäftigung bislang ein großes Ziel der Wirtschaftspolitik. Sie wird auf zwei Wegen zu erreichen versucht: durch wirtschaftsfördernde Maßnahmen mit dem Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen oder durch staatlich finanzierte Arbeitsplätze mit dem vorrangigem Ziel der Existenzsicherung. Beides sind Umwege und verlangen umfangreiche öffentliche Mittel.

Wenn jedoch öffentliche Mittel eingesetzt werden, muss dies möglichst zielführend geschehen. Da das Ziel ein Einkommen zur Existenzsicherung für jeden ist, sollte dieses Einkommen jedem direkt garantiert werden. Nur dadurch ist die Würde jedes Menschen ausnahmslos gesichert. So wie heute bereits u.a. öffentliche Sicherheit, Verkehrswege und weite Teile des Bildungssystems ohne direkte Gegenleistung zur Verfügung gestellt werden, soll auch Existenzsicherung Teil der Infrastruktur werden.

Wir Piraten sind der Überzeugung, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen eine sichere Existenz als Grundlage für die Entfaltung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Potenziale nutzen wird. Sichere Existenz schafft einen Freiraum für selbstbestimmte Bildung und Forschung sowie wirtschaftliche Innovation. Sie erleichtert und ermöglicht ehrenamtliches Engagement, beispielsweise die Pflege von Angehörigen, die Fürsorge für Kinder, unabhängigen Journalismus, politische Aktivität oder die Schaffung von Kunst und Freier Software. Davon profitiert die ganze Gesellschaft.

Die Piratenpartei setzt sich daher für Lösungen ein, die eine sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe individuell und bedingungslos garantieren und dabei auch wirtschaftliche Freiheit erhalten und ermöglichen. Wir wollen Armut verhindern, nicht Reichtum.

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  • Quelle: red
  • Erstellt am 05.07.2014 - 09:24Uhr | Zuletzt geändert am 14.07.2014 - 14:16Uhr
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