Bürgerinitiative: Görlitzer Stadtrat übergeht Ortschaftsräte

Görlitz, 1. April 2014. Auf der 77. Görlitzer Stadtratssitzung wurde der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege u.a. mit der Untersuchung der einzelnen Module der Engel-Leitidee zur Entwicklung des Berzdorfer Sees auf Umsetzbarkeit sowie der Erarbeitung einer sich daraus ergebenden Entwicklungsstrategie beauftragt. Dazu merkt Andreas Kohli von der Bürgerinitiative Seensucht an: "Ohne Zweifel betreffen Inhalte dieser Leitidee besonders die Ortschaften Hagenwerder/Tauchritz und Kunnerwitz/Klein Neundorf. Entsprechend der Sächsischen Gemeindeordnung ist der Ortschaftsrat bei wichtigen Angelegenheiten, die die jeweilige Ortschaft betreffen, zu hören. Ein Unterlassen dieser Anhörung stellt unserer Einschätzung nach einen schweren Verfahrensfehler dar, der die Rechtswidrigkeit eines Stadtratsbeschlusses zur Folge haben kann." Dem entgegen war die Mehrheit des Stadtrats einer Interpretation gefolgt, wonach die frühzeitige Anhörung auch nach dem Beschluss des Stadtrats erfolgen könne.

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Bürgerschaftliche Beteiligung sieht anders aus

Von Andreas Kohli, Bürgerinitiative Seensucht. Aus der Sicht der Bürgerinitiative Seensucht verliert die Möglichkeit, zu einer Beschlussvorlage eine Stellungnahme abzugeben, ihren Sinn, wenn diese erst nach einem Stadtratsbeschluss abgegeben werden kann.

Zudem gibt der in derselben Sitzung beschlossene Konzeptentwurf zur Bürgerschaftlichen Beteiligung zu denken, wenn dieser dem Anspruch genügen soll, sich mit nachvollziehbarer Relevanz in politische Entscheidungsprozesse einbringen zu können. Formale Anhörungsrechte zu wahren ist dafür Voraussetzung, und ortschaftsbezogene Beteiligung stellt eine der vier Säulen des vorgestellten Modells bürgerschaftlicher Beteiligung dar.

Zudem ist es bereits jetzt zulässig, einen Ortschaftsrat auch über den Kreis der anhörungspflichtigen Gegenstände hinaus anzuhören. Solch echte Wertschätzung wäre weit mehr wert als informelle Beteiligungsmöglichkeiten aus dem Methodenwerkzeugkoffer.

Kommentar:

Es liegt mir fern, mich über den Leitungsstil auf der jüngsten Stadtratssitzung auszulassen, bestimmte Erinnerungen an "Führungskader" aus den ersten beiden Dritteln meines Lebens will ich hier nicht auskramen. Auch das Auftreten einzelner Akteure ist nicht das Thema, schließlich sind es keine Profis, sondern Leute, die ein Ehrenamt auszuüben suchen.

Allerdings beschleicht mich das Gefühl, dass die eigentlich Betroffenen des Berzdorfer Sees - die Anrainer-Ortsteile und die Besucher - keine Lobby haben. Jede kluge Führungskraft weiß, dass sie Probleme gemeinsam mit den Betroffenen klären sollte und nicht über deren Köpfe hinweg, weil sie sonst ein "Dagegen!" provoziert. Was die in der Seensucht engagierten Bürger formulieren, drückt doch klar aus: Als Betroffene möchten sie beteiligt werden. Freilich mag das den Verantwortlichen als lästiger Aufwand erscheinen, aber es gibt keinen anderen Weg. Nebenbei: Auch ohne Bürgerbeteiligung ging es am Görlitzer Haussee bisher nur schleppend voran.

Nach der Trockenlegung des Helenenbades sollte der Berzdorfer See ein Erholungsort für die Görlitzer sein. Wie weit lässt sich das mit einem "hochwertigen Tourismus" vereinen? Wenn ich mit dem Fahrrad an den See fahre, interessiert mich kein Vier-Sterne-Hotel (das gern auch da sein darf!), aber die (nicht gewollte) Imbissbude samst vernünftigen Sanitäranlagen schon. Hochwertige Gastronomie und Hotellerie entsteht nicht allein durch Investitionen, sondern durch serviceorientierte Menschen, die solche Entwicklungen voranbringen. Daran besteht in Görlitz wie anderenorts von Ausnahmen abgesehen permanenter Mangel,

meint Ihr Fritz R. Stänker

Kommentare Lesermeinungen (2)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Seensucht

Von Jens am 02.04.2014 - 16:32Uhr
Nein, Ortschaftsräte sind nicht der Nabel der Welt, aber sie haben ein gesetzlich garantiertes Informations- und Anhörungsrecht! Man sollte die letzte Stadtratssitzung im Zusammenhang sehen, dann wird noch mehr klarer. Wie abgebrüht oder arrogant muss man eigentlich sein, um in einer Sitzung die gesetzlich garantierte (Bürger-)Beteiligung der gewählten Ortschaftsräte vorsätzlich zu ignorieren und als vernachlässigbar darzustellen und wenige Minuten später über neue, weitergehende, intensivere, ja ganz tolle Formen der Bürgerbeteiligung zu schwadronieren und sich selbst zu loben.

Alles nur Schall und Rauch! Erst einmal das praktizieren, was an Bürgerbeteiligung möglich ist, dann braucht man auch nicht die Dienste eines von uns Steuerzahlern alimentierten Hochschulprofessors in Anspruch nehmen. Auch wenn er dafür kein Extra-Honorar bekommt.

Wer an mehr als 3.000 (Dreitausend!) Dauerarbeitsplätze am Berzdorfer See glaubt, der glaubt auch noch an den Weihnachtsmann. Das erinnert mich alles an Tom Krause und "Henners Traum". Hat sich denn schon einmal ein Unternehmer gemeldet, der auch nur einen einzigen Arbeitsplatz schaffen will? So einfach ist das nämlich gar nicht, wie sich das einige wahlkämpfende Stadträte so vorstellen.

Berzdorfer / Görlitzer See

Von Seensüchtiger am 02.04.2014 - 08:01Uhr
Der am Donnerstag gefasste Beschluss zur Strategieentwicklung am Berzdorfer See bezieht sich auf die Leitidee als solche, welche nach dem Willen der Stadträte erst zur zukünftigen Strategie werden soll. Interessant ist die Begründung, die zuvor vorgetragen wurde: weitgehende Übereinstimmung mit dieser Leitidee. Zudem soll endlich die Umbenennung des Sees vorangetrieben werden.

Die Ortschaftsräte sind nicht der Nabel der Welt. Dagegen wurde eine Chance vertan: Die Bevölkerung in Görlitz und den Gemeinden rund um den See entscheidet, ob sie 4-Sterne-Hotels wollen oder es ein Naherholungsgebiet auch tut. Der Berzdorfer See mit weitgehend frei zugänglichen Ufern oder ein Görlitzer See mit dem prognostizierten Potenzial von 3000 Arbeitsplätzen; die Menschen sind sehr wohl in der Lage, mit Bedacht eine umsichtige Entscheidung zu treffen. Nur eine solche echte Mitsprache führt zu klaren Erkenntnissen und schafft Ruhe im nun erwarteten lähmenden Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern der Leitidee.

Zudem: Wer kann von sich behaupten, die 300 Seiten umfassende Studie gelesen zu haben? Öffentlich verfügbar ist sie bisher nicht. Dies wäre Voraussetzung für eine echte Auseinandersetzung mit deren Inhalten.

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  • Quelle: red | Andreas Kohli | Fritz Rudolph Stänker | Foto: Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 01.04.2014 - 16:30Uhr | Zuletzt geändert am 01.04.2014 - 17:17Uhr
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