Fotoausstellung: Pflichtbesuch in Görlitz
Görlitz, 17. Mai 2015. Von Thomas Beier. Die gestern mit viel Aufwand eröffnete Fotoausstellung "Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ ist Pflichtprogramm - vor allem für "DDR"-Nostalgiker, dokumentiert sie doch am Beispiel Görlitz der Niedergang der Städte im realen Sozialismus, der mit einem Verlust an Kultur, bürgerschaftlichem Verantwortungssinn und Lebensqualität einhergeht. Das Langzeitprojekt des Dresdner Fotografen Prof. Jörg Schöner, der seit 1979 in Görlitz fotografiert, zeigt jedoch auch "was Menschen in 25 Jahren erreichen können, so der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der neben viel Prominenz aus Politik und Fachwelt zur Eröffnung gekommen war.
Die unwahrscheinliche Auferstehung von Görlitz dokumentiert
In der Tat war Görlitz während der SED-Diktatur dem Verfall preisgegeben. Zwar wurde einige wenige Altstadtwohnhäuser in privater Initiative unter den Bedingungen der Mangelwirtschaft saniert, doch der fortschreitende Verfall war unter den planwirtschaftlichen Bedingungen nicht zu stoppen. Kurz vor der Friedlichen Revolution Pläne, in der Altstadt Straßenzug um Straßenzug zu sprengen - ein Schicksal, dem das Quartier Teichstraße nach dem Einsturz eines Eckhauses zum Opfer fiel.
In seinem Grußwort erinnerte sich Ministerpräsident Tillich daran, wie er als Schüler in Bautzen auf dem Schulweg den EInsturz eines historischen Gebäudes miterlebte. Vielleicht sagt man ihm auch deshalb ein Faible für Investitionen in Infrastruktur nach und: Der Freistaat Sachsen und der Bund haben seit 1990 für Städtebauförderung und Denkmalschutz in Sachsen ungefähr 1,3 Milliarden Euro bereitgestellt. Hinzu kommen die Gelder der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die allein in der Görlitzer Altstadt 105 Objekte mit rund 10 Millionen Euro gefördert hat. Und nicht zuletzt erwähnt muss der unbekannte Spender der jährlichen Altstadtmillion erwähnt werden, umgerechnet eine Million D-Mark, die jährlich von einem Kuratorium an Bauherren historischer Gebäude für Sanierung und Wiederherstellung vergeben werden.
Dass der Kontrast zwischen dem baulichen Niedergang der "auf jeden Fall schönsten Stadt Europas" (Tillich) und dem heutigen Görlitz in der Fotoausstellung so eindrücklich dokumentiert werden kann, ist zwei Männern zu verdanken: Dem Nestor der sächsischen Denkmalpflege, Prof. Dr.-Ing. Hans Nadler (seit 1949 sächsischer Landeskonservator und 1952 bis 1982 Chefkonservator im Dresdner Institut für Denkmalpflege) und dem 1944 geborenen Fotografen Jörg Schöner, dem Nadler den Auftrag gegeben hatte, Görlitz zu dokumentieren, ehe es ganz eingefallen oder weggesprengt ist.
Die Arbeit in Görlitz, die nicht allein ein baugeschichtliche, sondern zugleich ein sozialgeschichtliche Fotodokumentation hervorgebracht hatte, wurde Grundlage für Schöners externes Diplom an der renommierten Hochschule für Grafik und Buckkunst in Leipzig. In der Ausstellung kontrastieren die damals entstandenen professionellen Architekturfotografien mit Aufnahmen der sanierten Objekte. Zu verdanken sei das, so Schöner, auch den Görlitzer Bürgerinnen und Bürgern, die vor allem in den siebziger und achtziger Jahren bereitwillig Zutritt zu ihren rivaträumen gaben und ihn dort fotografieren ließen.
Abbildung: In der ersten Reihe von links: Alexandra Prinzessin zur Lippe, der frühere Landtagsabgeordnete Volker Bandmann (CDU), Bürgermeister Dr. Michael Wieler, das Landtagsmitglied Octavian Ursu (CDU) mit Gattin, Prof. Rolf Karbaum, Görlitzer Oberbürgermeister von 1998 bis 2005. Nicht im Bild: Der Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer (CDU).
In kurzen Anssprachen erinnerten Oberbürgermeister Siegfried Deinege und Ministerpräsident Stanislaw Tillich an den scheinbar nicht mehr zu stoppenden Verfall von Görlitz, das, so Tillich, die beiden deutschen Diktaturen überstanden habe - mit relativ geringen Kriegsschäden die erste, einen Schritt vor der großflächigen Vernichtung die zweite. Alexandra Prinzessin zur Lippe stellte Prof. Jörg Schöner und seine Arbeiten näher vor. Musikalisch begleitete die Ausstellungseröffnung Michael Mönnig auf dem Saxofon, dem er nur genial zu nennende Töne und Rhythmen entlockte.
Ein wahrhaft "schöner Zug": Prof. Jörg Schöner überreichte dem Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege eine Klappkarte mit zwei Fotos. Das eine zeigt ein Bild einer Grenzbrücke zwischen der Türkei und Georgien, deren Abbildung auch im Internet kursiert. Für Deinege, früher General Manager des Görlitzer Bombardier-Waggonbauwerkes, war das zweite Foto zusätzlich interessant, zeigt es doch die Herstellerplakette des zur Brücke umfunktionierten Schlafwagens der Sowjetischen Eisenbahnen, wonach der Waggon 1954 im Görlitzer Waggonbau, einem Betrieb der Vereinigung Volkseigener Betriebe Lokomotiv- und Waggonbau (LOWA) und Vorläufer des heutigen Bombardier-Werks, gebaut wurde. Das ist kein Wunder: Sämtliche Schlafwagen der sowjetischen Staatsbahn kamen aus Görlitz.
Fotoband zur Ausstellung
Zur Ausstellung ist im MONUMENTE Verlag der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) ein Bildband erschienen: "Görlitz - Auferstehung eines Denkmals. Fotografien von Jörg Schöner." (ISBN 978-3-86795-097-8). Auf 144 Seiten werden mehr als hundert Abbildungen gezeigt. Außerdem stellt Christiane Schillig die Arbeit und Herangehensweise von Prof. Jörg Schöner vor und der Görlitzer Ratsarchivar Dr. Siegfried Hoche widmet den bedeutenden Görlitzer Fotografen Robert Scholz (1843 bis 1926) sechs Seiten - eine sympathische Ehrerweisung für den Fotografen, der Görlitz schon in den Anfangsjahren der Fotografie festhielt. Das Buch ist zum Preis von 19,80 Euro in der Ausstellung und bei der DSD (Bestell-Nr. BG0978) erhältlich.
Viele Unterstützer
Unterstützt wird die Görlitzer Fotoausstellung durch eine Kooperation der Stadtverwaltung Görlitz mit der Sächsischen Staatskanzlei mit einem Betrag von 30.000 Euro. Bei der Ausstellungsvorbereitung half auch das Jobcenter Görlitz mit engagierten Helfern. Besonders ins Zeug gelegt hat sich aber die Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH, die für die Ausstellungsvorbereitung, die perfekt inszenierte Vernissage und die komfortablen Öffnungszeiten verantwortlich zeichnet.
Prädikat: Unbedingt hingehen!
Bis zum 18. Oktober 2015 täglich von 10 bis 19 Uhr,
Pomologische-Garten-Straße 17, 02826 Görlitz,
(KEMA Betriebsgelände).
Der Eintritt ist frei!
Erfahren Sie mehr!
- in der Fotogalerie
- Görlitzer Anzeiger vom 06.05.2015: Ausstellung: 25 Jahre Sanierung von Görlitz
- Görlitzer Anzeiger vom 28.04.2011: Görlitz, wie es einmal war
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- Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 17.05.2015 - 11:11Uhr | Zuletzt geändert am 25.02.2020 - 17:17Uhr
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Kommentar:
Was an Schöners Fotos - neben der Erinnerung an den Verfall - berührt, ist, dass seine Bilder des sanierten Görlitz zwar exakt sind, aber nicht etwa einer "Hochglanzsanierung" frönen.
Die Sanierung von Bauwerken kann ja auch das Auslöschen von Geschichte bedeuten. Dieser Eindruck wird beispielsweise im Bau der Neuen Synagoge zu Görlitz vermittelt. Gar zu wuchtig wirkt die nahezu komplett wiederhergestellte Kuppel, die mehr über die Geschichte des einstigen Gotteshauses erzählte, als nur ein Segment restauriert war. Man stelle sich vor, am Dresdner Zwinger wäre die kyrillische Inschrift "Keine Minen! Kontrolliert: Chanutin" (übrigens ein offenbar jüdischer Rotarmist) entfernt worden - der Zwinger wäre eines existenziellen Teils seiner Geschichte beraubt.
Die handwerklich perfekte komplette Wiederherstellung des Synagogen-Innenraums in Görlitz kann auch anders interpretiert werden: Das schlechte Gewissen gegenüber den Juden, das zur Ausmerzung der realen Spuren des Rassenwahns im Dritten Reich und des späteren Verfalls des in der "DDR" als Theaterlager genutzen Hauses drängt. Eine Aufarbeitung der von Deutschen begangenen Verbrechen an den Juden fand unter der Diktatur der SED-Genossen nie statt, Israel wurde als Feind "der gerechten Sache des palästinensischen Volkes" einseitig dargestellt - Anschauungen, die in wenig denkenden Köpfen bis heute fortwirken und für Vorurteile wie Unsicherheit im Umgang sorgen.
Ist es vorauseilende politische Korrektheit, wenn aus den Fenstern der Innentüren der Görlitzer Synagoge die an Hakenkreuze - ein religiöses Symbol weiltweit unterschiedlichster Kulturen - erinnernden Motive entfernt und durch Fensterglas ersetzt wurden? Wenn anstatt von Juden nur noch von jüdischen Mitbürgern gesprochen wird?
Fragen, die aufkeimen nach dem Besuch der Fotoausstellung zur Wiederauferstehung von Görlitz. So sollen Ausstellungen wirken,
meint Ihr Thomas Beier